„Die Jungfrau von Orleans“ im Rheinischen Landestheater:Gottes Werk und irdischer Beitrag
30. März 2017 | Von Stuckstaette | Kategorie: Aktuelles, Neusser KulturSie ist die Nationalikone Frankreichs. Viele Mythen ranken um sie: Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orleans. Friedrich Schiller hat ihre Geschichte als Grundlage für seine in fünf Aufzügen gebaute romantische Tragödie genutzt. Nicht die historischen Gegebenheiten standen bei ihm im Vordergrund, sondern der Konflikt zwischen religiöser Überzeugung und irdischer Realität. Im September 1801 wurde das Stück in Leipzig uraufgeführt. Heute sieht man es eher selten auf den Theaterspielplänen. RLT-Intendantin Bettina Jahnke hat es jetzt gestrafft und modifiziert auf die Bühne gebracht. Sie lässt den Worten ihre Kraft, fokussiert die Handlung eingebettet in beeindruckend beklemmender Atmosphäre und generiertem Spannungsfeld. Den Triumph, den gönnt sie der „Heldin“ nicht. Aber den Heiligenschein lässt sie dennoch über ihrer dominanten, tosenden Frauenfigur kreisen. Marion Stuckstätte
Es herrscht Krieg. Ein endloser. – Einer, der für Frankreich und seinen zukünftigen König Karl VII. verloren scheint. Massenhafte Verluste an der Front gegen die Engländer und ein Herzog von Burgund, der sich mit dem Feind verbündet hat. Die Lage ist verzweifelt, König Karl VII. auf dem Rückzug. Da greift er nach dem letzten Hoffnungsschimmer, der ihm bleibt: nach der Jungfrau von Orleans, nach Jeanne d’Arc, der Retterin. Sie soll von ihrem Vater, Thibaut d’Arc, wie ihre Schwestern verheiratet werden. Aber Johanna weigert sich, ist sie doch von göttlicher Stimme zu Höherem berufen: Sie solle ihr französisches Heimatland von den Engländern befreien und jeden töten, der ihrer Mission im Wege stehe. Als von Gott Auserkorene kann sie sich dann auch am Hof beweisen und übernimmt das Heer – und den Siegeszug.
Im August 1800 begann Friedrich Schiller mit der Arbeit an dieser Tragödie. Ihr zugrunde liegt die geschichtliche Überlieferung des lothringischen Bauernmädchens, das im Hundertjährigen Krieg (1339-1453) die Franzosen zum Sieg führte und dafür von den Engländern als Hexe 1431 verbrannt wurde. Eine umstrittene Erscheinung – in der historischen Betrachtung wie in der Überlieferung. Die Mythen um Jeanne d’Arc, sie sind voller Widersprüche. Aber darum ging es dem Dichter nicht. Er verfolgte keine historisch getreue Darstellung der Jungfrau. Sie diente ihm vielmehr als Rahmen für die Entwicklung des tragischen Konflikts zwischen dem Ideal der religiösen Idee und der unreinen Wirklichkeit, den er vollständig in die Person Johanna verlagerte.
Heilige
Jungfrau
Johannas „heiliger Auftrag“ ist mit dem Gebot verbunden, keinen Feind zu schonen und der irdischen Liebe abzuschwören. Doch nach den Triumphen, die König Karl zur Krönung nach Reims ziehen lassen, begegnet sie dem englischen Feldherrn Lionel, den sie aus einem plötzlichen Anflug der Liebe nicht töten kann. Diese „Schuld“ haftet schwer auf ihr. Die Krönung des Königs wird für Johanna zum Sühnegang. Auch schweigt sie bei den Vorwürfen, vom Teufel beraten zu sein, und wird verbannt. Als Hexe von Orleans gerät sie in Gefangenschaft, begegnet Lionel – entsagt sich ihm und besinnt sich ihrer Mission. Ihr Flehen an Gott wird erhört, die Fesseln fallen und sie zieht in ihre letzte Schlacht für Frankreich; in der sie einer tödlichen Wunde erliegt. So bei Schiller, bei Jahnke läuft es anders. Sie durchlüftet die pathetische Geschichte, verleiht ihr szenische Fokussierung und platziert die Schwünge des Textes im Moment.
Moderne Rebellin
Die Handlung stark gekürzt und auf Johanna als „mordende Kriegsbraut in der Männerwelt des Krieges“ zugespitzt, geht sie ihre Johanna als Rebellin an, als eine Kämpferin und eine Frau, die ihrer Zeit voraus ist. Sie droht und wütet, ist ebenso gequält und gepeinigt, ist starr und stark und zerbricht an der Liebe und ihrer Schwäche zugleich.
Viel geschlachtet wird in dieser Inszenierung nicht. Es sind die leisen, umso bedrohlicheren Töne, die stillen, verdunkelten, umso blutigeren Bilder, die Jahnke eindrucksvoll in Szene setzt. Extrem stark und wirkungsvoll die Bühne von Ivonne Theodora Storm. Die Spielfläche, ein riesiges, dahingestrecktes Kreuz, das sich dem Abgrund nach vorne neigt. Es dient als Laufsteg der Eitlen, als Verhandlungstisch der Mächtigen wie als Schlachtfeld des Krieges. Es glänzt im weißen Schein und blutet zwischen Gitterstäben.
Gottes Schwert mit Jeanne d’Arc
„Gott und die Jungfrau“ dröhnt es in den Saal. Und in der Schlacht. Ein Mensch instrumentalisiert; vom Glauben, vom Selbstwahn, von politischen Schacherern. Bomben in der Ferne – die Bedrohung ganz nah. Eine Mission, eine Rebellion – und Selbstzweifel. „Mit blinden Augen solltest du es vollbringen“, ruft Johanna. Doch schafft sie es nicht. Bei Jahnke bleibt ihr dadurch die Gnade und der Ruhm verwehrt. Und der Himmel verschlossen.
Kann das die Ankunft in der Gegenwart zeigen, die Auswahl einer „Jeanne d’Arc“ bleibt dennoch in dieser zwar konzentrierten, aber vom göttlichen Auftrag nicht losgelösten Version irritierend. Ein Töten im „heiligen Auftrag“ hallt im Raum. Die Skepsis an der „heiligen Mission“, sie sollte deutlicher ausfallen.