Medea – Einzelprobe zu dritt“ im TAS

1. März 2024 | Von | Kategorie: Aktuelles

Frauenpower von Euripides keimt im Bühnenalltag

Die Medea von Euripides war anders als die Frauen ihrer Zeit; zu eigenwillig, zu dominant, zu „männlich“ für die Uraufführung 431 v. Chr. Selbst heute übt man sich gern im lebendigen Diskurs, wie sie zu verstehen sei. Auf der TAS-Bühne streiten sich drei: ein Regisseur, seine Assistentin und die Darstellerin. Dass Letztere eine Affäre mit Ersterem hat, würzt noch nach. Das neue Stück auf der Kleinkunstbühne im Barbaraviertel, in dieser Saison schon die vierte Uraufführung, stammt aus der Feder von Franziska Flachs und Martin Maier-Bode. Ein Treffer, nicht nur im Zeitgeschehen, sondern vom Unterhaltungswert wie von der Vortragskunst.


Leere Stuhlreihen, nur zwei Plätze sind besetzt. In der vordersten Reihe aalt sich Michael in intellektuellen Posen. Er liest in seinem Skript. Dicht hinter ihm hält Fabi ihre szenischen Eindrücke und Problemstellen im Notizblock fest. Angesetzt ist eine Einzelprobe, Leonie trägt vor. Medea steht auf dem Spielplan. Alle Augen sind auf sie gerichtet; die vom TAS-Publikum inklusive. Der Text ein wenig spröde für diese Zeit, doch Leonie lässt es vergessen. Tragik pur entrinnt ihren Lippen, aus Herz, Leib und Seele sprudeln die Worte.

Dann ein Cut; das Publikum und Leonie aufgerüttelt. So geht es nicht. Schließlich sind wir im Theater. Und was an Tatendrang, Leidenschaft und Wut im antiken Text steht, sorgt hier für reichlich Diskussion und Brennstoff. Mann-Frau-Verhältnisse einstiger Welt treffen auf Geschlechterkämpfe der Gegenwart; noch dazu im Schauspielmetier. #MeToo – und die Konstellation der Truppe puscht den Disput unweigerlich: Er ist ein dominanter Macher, schick, klug und einfühlsam; zumindest gibt er sich so. Zudem sitzt er am Machthebel – und lässt es gern raushängen. Dies unter einem zarten Hauch von souverän dargebotener Empathie. Die macht sich gut – und bringt noch Vorzüge, manch Schauspielerin hat er damit schon rumgekriegt. Flirts beleben den Schaffensprozess; man ist ja unter Kreativen. Blöd nur, und das ärgert Martin schon, dass einige manches überinterpretieren. Egal, schließlich sagt er, wo es langgeht. Und wer widerspricht da schon…

Medeas Erwachen im Hier und Jetzt

Leonie bestimmt nicht. Sie bewundert ihn. Für die Chance, bei einem derart renommierten Regisseur im Dienst zu stehen, ist sie dankbar. Als seine Geliebte fühlt sie sich quasi doppelt wertgeschätzt; was sie bei ihrer maroden Ehe auch gut gebrauchen kann. Wäre da nicht die junge, noch unerfahrene, aber vor allem aufmüpfige Assistentin, dann würde eigentlich alles reibungslos laufen. Doch die Querulantin aus der hinteren Reihe greift stetig ins Spiel. Die Rolle der Frau passt ihr nicht, am Wording und Gendern müsse dringend gearbeitet werden.

Denn: Medea ist eine dominante Frau. Schon bei Euripides. Leonie könnte lernen. Selbst sie, selbst heute. Noch ist sie passiv, wie das Bild der Frau in der Antike. Noch arbeitet sie weisungsorientiert – leise, diszipliniert und widerspruchslos. Doch der Keim von Fabi setzt sich langsam fest. Die Wut und Wucht von Aufstand und Gegenwehr der Frau ihrer Rolle zieht in ihre Persönlichkeit ein. Medea erwacht. Diese Medea, die ihrem Mann Jason und dem Vater von Jasons neuer Geliebter in jeder Argumentation überlegen ist. Nicht Leid, noch Flehen, noch Schmerz, wie in Martins Blick, sind ihre Waffen. Weibliches Geschick, Wildheit und Zielstrebigkeit nehmen Oberhand. So bekommt Schicksal Stellschrauben und Selbstbewusstsein Lebenswirklichkeit. Leonie setzt sich durch. Am Ende im Gleichlaut mit ihrem Bühnenteam…

Kostenloser Eintritt für Besucherinnen
am Weltfrauentag

Es ist eine überzeugende Verquickung von alten wie neuen Rollenbildern, die hier ins Rampenlicht gezogen wird. Der spröde Text von Euripides fesselt dank kurzer effizienter wie wunderbarer Darbietung – und bindet sich dank dem Spiel mit „Reim dich oder ich fress dich“ in neue Sprachfindung ein. Monika Sobetzko als Leonie und Daniel Cerman als Michael glühen in ihrem Spiel und finden sich fließend leicht in den Rollenswitch ein. „Zicke“ Fabi (Julia Jochmann), wie Martin sie nennt, wirbelt kräftig rum. So schleicht sich vortrefflich die Gegenwart in die Antike ein.

Euripides‘ Medea, gern als erste Emanzipierte der Weltliteratur bezeichnet, behauptet sich hier gleich zweimal. Kleinkunst, wie sie sein soll – und Publikum bindet. Mit Stoff, Spiel und Gedanken klug und spritzig angereichert. Emotion und Kritik, in diesem Stück ist viel drin. 1 ¾ Stunde Vorstellung inkl. Pause, die ruckzuck vergeht und amüsiert. Anschauen lohnt! Ein Tipp: Am Weltfrauentag, dem 8. März, ist der Eintritt für Besucherinnen kostenlos.

Infos zu weiteren Terminen, Preisen und zum Vorverkauf unter www.tas-neuss.de.