Alles Theater – wie es das Leben schrieb

10. Oktober 2019 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

„Streichholzschachteltheater“ von Michael Frayn zur RLT-Spielzeiteröffnung.

Es ist die erste Premiere der neuen Intendantin Caroline Stolz am Rheinischen Landestheater. Mit Neugier wurde diese erwartet, mit großer Aufmerksamkeit betrachtet – und mit Genuss aufgenommen. Eine Komödie von Michael Frayn gab den Auftakt. Nicht verwunderlich, ist es doch das Genre, mit dem sich Stolz bereits mehrfach auszeichnete. Dennoch anfangs beunruhigend, denkt man an die RLT-Inszenierung von Frayns Erfolgsstück „Der nackte Wahnsinn“ 2016. Doch die Skepsis gegenüber leichter Unterhaltung oder locker flockigem Klamauk kann hier getrost zu Hause gelassen werden. Hier lacht man auf Niveau über sensibel klug entblößtem Witz. Es ist das Leben, das die besten Szenen schreibt. Und es ist das wachsame Auge, das in großen und kleinen Tragödien den Humor entdeckt, um ihn nach außen zu kitzeln. Prima Einstand!

Stellen wir uns vor, wir sitzen im Theater. Reihe 6 oder Reihe 13. Wie auch immer. Plötzlich gesellt sich ein Mann mit sperrigem Koffer dazu, auf den Platz nebenan. Warum nicht. Gut, er ist etwas altertümlich gekleidet. Was soll‘s. Blöd ist nur, dass es nicht losgeht. Der Vorhang zieht nicht auf. Das Licht brennt im Zuschauerraum. Obwohl der Einlass schon geschlossen ist. Dann fängt der Herr von nebenan auch noch zu plaudern an. – Wie die Frau von Reihe 13. Und die anderen vier, verteilt aufs Publikum. Und schwups ist man mittendrin. Ach so, im Theater, keine Barriere. Kein Schutz. Alles Theater. Dann geht es doch noch oben auf der Bühne los. Wie unten inmitten des Publikums. Episode für Episode. Aus dem Leben. Aus dem Theater. So groß ist der Unterschied dann auch eigentlich nicht.

Schauen wir mal näher auf die Ereignisse: Es ist eigentlich nur ein kleines Ding. So eines hinten drum herum. Es ist kaputt. Daher läuft das Gerät nicht mehr. Kein Problem, dann kommt ein Handwerker und repariert das Ding. Wenn da nicht diese Frau wäre, die das Ding drum herum nicht von dem innen drin unterscheiden kann. Selbst, wenn „Mann“ es erklärt. Aber „Frau“ es scheinbar besser weiß. Sie reden und reden. Leider ohne Konsens. Den ersetzt dann die Lautstärke; oder die Leidenschaft. Und von Letzterer haben beide genug. Ähnlich wie in vergleichbarer Szene: Er redet. Sie schneller. Kein Wunder, dass sie seine Sätze zu Ende bringt. Wir leben im Zeitalter der Effektivität. Schließlich denkt sie zügiger. Ist intelligenter. Meint sie auf jeden Fall. Zumindest, wenn er aussprechen würde, was er sagen wollte, dann wäre das Gespräch schon ganz woanders. So viel steht fest. Daher kommt er darauf, mit zunehmender Verzweiflung, dass er sie umbringen könnte. Aber vermutlich würde sie ihm zuvorkommen. Wenn nicht, dann bekäme er wohl 15 Jahre. Allerdings könnte er die dann wenigstens ohne Unterbrechung zu Ende bringen…

 

Es sind die kleinen Geschichten, solche, die tagtäglich überall stattfinden, die hier Geltung finden. Szenen, wie sie jeder kennt. Hier werden sie seziert, bis auf ihren Ursprung durchleuchtet. Bis zur Eskalation begleitet. Mit Schmunzeln bis zum Erhellungsmoment. Mit feinem Händchen wird der Nerv aufgedeckt und der Humor rausgekitzelt. Was wie Kommunikation erscheint, läuft im Fehlermodus. Sender und Empfänger sind weder in Codierung noch im Signal abgestimmt. Sprache scheint Illusion. Die Menschen reden miteinander aneinander vorbei. Jeder will sich und sein Recht behaupten. Mit Eifer, ohne Resonanz.

30 kleine Unterhaltungen, unter Paaren, im Café, beim Arzt, unter Mathematikern, wo auch immer, wie auch immer, hat Michael Frayn 2015 in einem wunderbaren Roman namens „Matchbox Theatre“ zusammengefasst. Voller Esprit, Intellekt und köstlichem Vergnügen. Dieser Autor ist bekannt für seine blühende Fantasie, paradoxe Strukturen und den schrillen skurrilen britischen Humor. Ein Buch, stilsicher ins Deutsche übersetzt von Michael Raab, das zündet. Genauso wie die Inszenierung von Caroline Stolz, als deutschsprachige Erstaufführung mit Texten von Olivier Garofalo (Dramaturgie). Rituale und Floskeln werden entblößt, ob unter Akademikern, in TV-Shows oder am Politiker-Pult. Jeder will bedeutend sein. Und wird es hier auch. Das erklärt sich schon zu Beginn: „Bitte stellen Sie sicher, dass Ihre Handys und weiteren elektronischen Geräte alle angeschaltet sind. Ihre Anrufe sind uns wichtig! Essen Sie! Trinken Sie! Schlafen und schnarchen Sie!  Rennen Sie ruhig mittendrin raus, wenn Ihnen danach ist, klappen Sie dabei Ihre Sitze möglichst laut nach oben und knallen Sie die Ausgangstüren beherzt zu!“ – Na dann, lassen Sie Ihren Gefühlen freien Raum! Gehen Sie, wenn Ihnen danach ist! Doch ich vermute, Sie bleiben.