25 Jahre freies Theater im TAS: Vom Podium zur Profibühne
9. September 2019 | Von Graef | Kategorie: Aktuelles, Neusser KulturNach der Sommerpause startet das Theater am Schlachthof mit besonderem Programm in die Saison. Zwei Wochenenden im Feiermodus stehen im September an. Denn 1994 öffnete das TAS erstmals seine Türen. Was als Auffangbecken für die freie Szene anfing, präsentiert sich heute längst als ein etabliertes professionelles freies Theater. Ein Grund, zu feiern und zurückzuschauen – auf Menschen, Ereignisse, Veranstaltungen und Songs. Vom 20. bis 22. September gibt es beim „Kabarett-Klassentreffen“ ein Wiedersehen mit bekannten Gesichtern aus Solo- und Ensemble-Produktionen, wie dem Neusser und Düsseldorfer STUNK. Das Folgewochenende steht ganz im Zeichen der Musik: „1994 unplugged“ lässt vom 27. bis 29.09. die musikalischen Highlights des Gründungsjahres im neuen Licht erklingen.
Am Anfang war ein… Nichts. Oder so ähnlich. Nein, ganz stimmt das nicht. Am Anfang war eine Lackfabrik. Aber die hatte noch nichts mit einem Theater zu tun. Das kam erst 1994. Und auch nicht so ganz einfach. Erst gab es Diskussionen. Etliche. Dann kamen Renovierungsarbeiten. Eine Menge. Und dann erst ging es los: Freie Theater- und Kabarett-Gruppen der Neusser Szene gründeten an der Blücherstraße eine Theaterstätte. Ein Vierteljahrhundert ist das her. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Heute steht hier ein Theater, das sich zum größten, professionell geführten freien Theater in Neuss und im Umkreis gemausert hat. Kamen anfangs einige Tausend Zuschauer pro Jahr, zählt man hier inzwischen rund 25.000 jährlich in den Schauspiel-, Kabarett- und Kindertheater-Vorstellungen im Neusser Barbaraviertel. Das TAS hat sich, allen voran mit dem STUNK, über Neuss hinaus einen Namen gemacht und blickt unter der Leitung von Markus Andrae und Britta Franken mit Vision und Tatendrang optimistisch in die Zukunft.
Der Blick aufs Startjahr
Doch schauen wir mal kurz zurück. Mit Man und Woman Power ging es los. Und ebenfalls mit einer Vision. Einer langgehegten. Mit der, dass sich die zahlreichen Kulturschaffenden in Neuss verwirklichen konnten. In Eigenregie. Die Vorarbeit gestaltete sich über Jahre. Denn der Grundstein für das TAS wurde schon 1987 gelegt, durch den bis heute als Trägerverein fungierenden EIGEN-art e.V.
Viel Schweiß und handfestes Schuften ging der Eröffnung voraus. Perfekt ging anders, aber dennoch konnten im Theater die ersten Veranstaltungen stattfinden. Dann kam schnell der erste Eklat: Martin Maier-Bode und Martin Schorn, die mit dem Kabarett-Duo exekution 27b erfolgreich unterwegs waren, sangen ein satirisches Lied, das sich mit der „Alternativlosigkeit“ von Helmut Kohl befasste und in einer ironisch überspitzten Forderung gipfelte: „Wann bringt sich endlich der Kohl um?“. Die Folge: Ein Aufschrei in konservativen Kreisen und bei einigen Neusser Politikern. Maier-Bodes Dozentenstelle in der Alten Post wurde nicht verlängert, die angesetzte Premiere des neuen Programms von exekution 27b wurde abgesagt. Die Reaktion: Die freie Szene in Neuss probte – wie sie es nannte – den „Zwergenaufstand“, im ausverkauften RLT. Dazu gab es einen bundesweiten Aufruf gegen das Berufsverbot. Maier-Bode zog sich aus den Vorstandsstrukturen des Hauses zurück, um das noch in den Kinderschuhen steckende Theater nicht zusätzlich zu belasten. Erst Jahre danach kehrte er als Dozent an die Alte Post und später auch in den Vorstand des Eigen-ART e.V. zurück. Die bundesweite Aufmerksamkeit beförderte seine Karriere mehr als ihm das Berufsverbot in Neuss schadete. Das hatten sich die Agitatoren wohl anders vorgestellt.
Wie dem auch sei, der Anfang, so mühsam, holprig und beschwerlich, forcierte stets den Tatendrang. Die Keimzelle das war geboren. Um Gedanken, Ansichten und Statements nach außen zu tragen. Frei. Deckel drauf, das war und ist nicht die Grundidee. Damals nicht, und heute ebenso.
„Jeder, der will, soll auch können!“
Das Motto der Frühphase lautete „Jeder, der will, soll auch können!“ Der Gedanke dahinter hieß Basisdemokratie. Die Realität war, verdient wurde woanders. Hier machte jeder alles. Und das nicht zu knapp. Bis Stimmen nach Entlastung und mehr Professionalität immer lauter wurden. So kam Reinhard Mlotek, Ende 1995, erst als ABM-Stelle, später im Amt als Geschäftsführer und künstlerischer Leiter des Hauses. Ende der 90er-Jahre formierte sich ein festes Ensemble.
Zahlreiche TAS-Produktionen wirkten auch über das Haus hinaus. „Die weiße Rose“ und das Nachfolgestück „Kein schöner Land“ von Jürgen Eick mit Claudia Brasse, Jens Neutag, Jens Spörckmann und Harry Heib tourten von 1997 an erfolgreich durch ganz Deutschland. Mit dem Stück „Vermummte“ unter der Regie von Vera Ring erhielt man eine Einladung zum Theatertreffen. Im Jahr 2001 gab es mit dem Stück „Crazyface“ von Sven Post letztmalig das einige Jahre stattfindende Sommertheater auf der Open-Air-Bühne in Zons. Die Kabarett-Sparte wurde vor allem durch die vielen dem Haus verbundenen Gruppen bestritten. On top gab es zahlreiche Gastspiele.
So ging es weiter nach vorne. Auch zur Nachwuchsförderung. Mit „Zeitrave“ wurde 1999 der TAS-Jugendclub gegründet, der bis heute unter dem Namen „Spielstarter“ unter der Leitung von Sven Post neben den „Impro-Duellen“ jährlich ein neues Stück produziert. Die Sparte Kindertheater wurde initialisiert; bekannte wie eigene Stücke auf die Bühne gebracht. Beispielhaft „Eine mutige kleine Hexe“ von Martin Maier-Bode, die 2002 Premiere feierte und bis heute immer wieder auf dem Spielplan erscheint.
Von der Berg- zur Talfahrt
Doch der Höhenflug des Theaters ab 1999 endete 2011 in tiefem Fall. Zwar hatte sich das TAS als Kulturstätte fest in der Stadt verankert, aber die Ausrichtung, der Führungsstil und die Marschrute waren im Kreis der TAS-Kreativen arg umstritten. Der Vorstand in Auflösung begriffen, die Finanzlage dramatisch – dazu kam im November 2011 – sehr überraschend – der Tod von Reinhard Mlotek. Das TAS befand sich in der Krise. Was tun? War das TAS noch zu retten? Und wie? Viele Fragen, kaum Antworten. Ein neuer Kurs musste her. So fanden sich Vorstand, Ex-Vorstandsmitglieder und Weggefährten zusammen, um aus dem inneren Scherbenhaufen eines nach außen auf hohem Niveau funktionierenden Theaters eine „gesunde“ Spielstätte zu generieren. Die Idee der selbstorganisierten freien Kultur ohne „Lenkungsdiktat“, mit der man 1994 angetreten war, trat wieder in den Vordergrund. Zugleich wurde die Zusammenarbeit mit Vertretern der Stadt Neuss ausgebaut, indem der Vorstand des EIGEN-art e.V. durch die städtische Kulturdezernentin Dr. Christiane Zangs und den Kulturamtsleiter Harald Müller als Beisitzer ergänzt wurde. Eine Doppelspitze wurde eingeführt, die künstlerische Leitung übernahm Markus Andrae, die Geschäftsführung Britta Franken. Und der Vorstand wurde zu mehr Einbringung aufgerufen.
Schrumpfen, um zu wachsen
„Gesundschrumpfen, um wieder und dann angemessen wachsen zu können“ – diese Prämisse sollte die permanente Überforderung aller Ressourcen im personellen, finanziellen und logistischen Bereich stoppen. Innerhalb kürzester Zeit gelang es, gemeinsam die Insolvenz abzuwenden. Als große Hilfe zeigte sich dabei der damalige Bürgermeister Herbert Napp, der dem Haus schon lange freundschaftlich verbunden war und den das Ausmaß der finanziellen Verbindlichkeiten ebenso schockierte wie den Vorstand und die Mitgliederversammlung.
Aber noch war es nicht zu spät. Veränderungen mussten her, auch im Programm. Aus dem „Gemischtwarenladen“ wurde ein strukturiertes, Synergien nutzendes großes Ganzes gestaltet. Das Konzept dazu kam von Markus Andrae. Oberster Leitgedanke war, dem Theater ein übergeordnetes Dach zu verleihen und die einzelnen Sparten zu verknüpfen. Ihm war es wichtig, dem Haus ein Profil zu geben und es auf eine künstlerische Basis zu setzen, die auch ökonomisch ein Überleben garantierte und einen Weitererhalt der Fördergelder rechtfertigte. Andrae hielt es für unerlässlich, das Theater konsequenter an den Interessen und Bedürfnissen von Stadt und Publikum von Neuss auszurichten. Sein Schwerpunkt lag im Schauspielbereich und auf der gezielten Ausrichtung der Stücke auf gesellschaftlich relevante Themen, im besten Fall lokalorientiert. Dazu vorzugsweise auch humoristisch, um mit den Inhalten zugleich das Kabarettpublikum zu erreichen. Ein Erfolgskonzept, wie sich zeigte. „Fiese Matenten“ schnell ein Beleg dafür. Ein Stück, das mit seinem lokalen Bezug und historischem Anteil viele neue Zuschauer generierte.
Hausgemachtes Kabarett auf Erfolgskurs
In der Musiksparte wechselte man von großdimensionierten Revuen auf Musiktheaterproduktionen mit kleinem Ensemble. Und wieder mit Geschichten, mit historischer, politischer wie gesellschaftlicher Relevanz.
Nicht zuletzt und durchschlagend erfolgreich dann auch die Änderung im Kabarettbereich: Statt dominierender Gastspiele traten die Hauskabarettisten in den Vordergrund. Die „Rathauskantine“ gab von nun an den Ton an. Das Hausensemble mit Jens Spörckmann, Stefanie Otten und Dennis Prang mischte politische Aktualität mit Schmackes auf – und traf den Neusser Nerv der Zeit.
25 Jahre sind um. Viel ist passiert. Viel wurde diskutiert. Hier ist ein Haus entstanden, das lebt und steht, sich aus der Krise gezogen hat und nun konsolidiert, mit Kooperationspartnern verknüpft, neu ausgerichtet und gut vernetzt in der Neusser Kulturlandschaft verankert ist. Das Theater am Schlachthof ist im Jahr 2019 mit seiner langjährigen Geschichte engagierter Theaterarbeit vieler Kreativer und „Überzeugungskünstler“ aus der Neusser Kulturlandschaft nicht mehr wegzudenken.
Wir gratulieren!
Herzlichen Glückwunsch liebes TAS.