Soloprogramm „Sie und Ich“ im Kulturforum Alte Post: Warum kann man nicht Kind bleiben?

8. Mai 2018 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Als Kind darf man noch zaghaft sein und vorsichtig die Fühler ins Leben strecken. Doch zack ist man erwachsen und dann gibt es keine Rücksicht mehr: Beruf-, Finanz- und Beziehungsstress – alles will geklärt und geregelt werden, doch man selbst bleibt dabei auf der Strecke. Einmal noch mal klein sein und sich unter der Kuscheldecke verkrümeln, das wäre toll. Warum gibt es keinen Schutz im Erwachsenendasein? Tanja Emmerich geht der Problematik in ihrem Tanztheater-Solo auf den Grund. Mit Bewegung, viel Mimik und Gestik und kurzen Video-Einspielungen reflektiert sie in einem einstündigen Programm eindrucksvoll das Erwachsenwerden.

Es braucht nur Fragmente, ein Blick, eine Bewegung oder einen Impuls, dann baut sich was. Am Anfang steht ein Tisch. Darauf sitzt abgekehrt ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen. Bis es sich zur Menge dreht, braucht es ein Weilchen. Keck grinsend wendet es sich schließlich, doch kommt es mit der Aufmerksamkeit nicht ganz zurecht. Drum sucht es sich erst einmal ein geschütztes Plätzchen unter dem Möbelstück. Von dort aus streckt es nach und nach die Fühler nach außen, um sich in die Welt vorzutasten.
Denn das, was kommt, ist nicht ohne Herausforderung: Die Liebe beispielsweise haut das heranreifende Mädchen zurück. Die Arbeit, Freunde, die Gesellschaft – da gibt es vieles, das nicht rund laufen mag. Doch ehe „Sie“ sich‘s versieht, ist sie im Sog des Lebens. Die Zöpfe sind ab und die Kinderdecke bietet keinen Schutz mehr. Doch was, wenn „Ich“ gar nicht weiß, wie es weitergeht?

Tanja Emmerich bewegt sich langsam und gefühlvoll von einer Lebensphase zur nächsten. Viel braucht sie nicht dazu. Einen Tisch, einen Stuhl und einen Kleiderständer mit diversen Outfits – eine Bettdecke zum Verkrümeln. Ihr Ausdruck ist ihr Kapital. Ihr Gesicht spricht Bände. Aus einem Karton kommen wenige Utensilien zutage. Das war es. Und reicht. So spult sie ein Leben ab, das sie von dem kecken Kind zur reifen Frau bewegt. Vom Liebesfrust zur Lebenslust braucht es aber Zeit.

Assoziative Selbstfindung

Da sitzt sie am Computer mit dem grünen Tee, den sie jeden Morgen zu sich nimmt. Und starrt ins Leere. Ihr Gehirn schläft noch. Ist ja auch egal, denn es weiß ja, was sie macht. Jeden Morgen das Gleiche. Aber halt, irgendwas ist falsch. Denn wie soll dabei etwas Neues entstehen?
Nach außen wirkt „Sie“ witzig, sagt man. Nach innen will sie nur noch traurig sein. Und erwachsen sein, will sie nicht. Warum alles jetzt kompliziert ist, was früher einfach war, macht keinen Sinn. Und alle „Hilfestellungen“ des Alltags mögen hier wenig bringen. Auch nicht in der Liebe, denn Selfie-Shooting, Dating-Portal und Typwandlung hat sie hinter sich. Da hilft nur „Fallenlassen“. Die anderen wollen nicht, dass sie sich verändert. Aber ohne geht es nicht. Nur wie erkennt man sich selbst?

„Sie und Ich“ geht der Frage nach, was geschieht, wenn aus einer starken Figur eine zweifelnde Person wird? Will sie dann noch erwachsen werden? Und gibt es überhaupt eine andere Option? Gezeigt wird eine assoziative Selbstfindung aus Tanz, Videoelementen, Musik und Schauspiel, die sich klug und akzentuiert baut und der Figur den Weg ins Leben öffnet.
„Sie“ ertastet, balanciert und erobert sich den Raum – ohne Worte. Manchmal kommen diese von außen, als Gedanken oder als Interview-Einspielung über die Leinwand. Manchmal nur Musik – je nach Stimmung. Und oft ist es still. Denn aus der Stille entsteht die Kraft, klar zu sehen, zu fühlen – und zu spazieren; raus in die Welt. Oder gar zu springen, zu tanzen und zu lachen. Leben zu genießen.

Ein Soloprogramm über das Verlieren und Wiederfinden von dem, was man so unbedeutend Kindheit nennt. Eine interessante Ausarbeitung, mit Aufmerksamkeit auf Details, die Wesentliches bewegen.

Marion Stuckstätte