Tänzelnde Hinrichtung unter trügerischer Maskerade

4. April 2018 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Foto: Björn Hickmann / Stage Picture

Shakespeares „Othello“ im Rheinischen Landestheater:
Er ist anders als die anderen. Ein Außenseiter, ein Fremder. Einer mit großen militärischen Erfolgen. Er ist ein Held – klug, besonnen und aufrecht. Aber er kann nicht unterscheiden zwischen Gut und Böse, zwischen Liebe und Verleumdung. Denn er hat keine Bodenhaftung. In der RLT-Inszenierung von Mario Holetzeck wird Othello vom Dunkelhäutigen zum Albino, dem ungeliebten „weißen Afrikaner“. Desdemona ist nicht lieblich, dennoch ehrlich. Und der boshaft raffinierte Jago wird zum Tänzer facettenreich wandlungsfähiger Zerstörung; zum einflüsternden, teuflischen Kumpanen, der alle besticht – mordet und morden lässt. Ein Jago, der alle an die Wand spielt, brillant verkörpert von Michael Meichßner.

Fangen wir die Geschichte mal von hinten an. Da liegt Jago auf Othello. Erschöpft, verzweifelt. Unglücklich. Nur er ist über. Auf der Bühne ein Leichenfeld. Othello hat sich absichtlich in sein Schwert gestoßen. Desdemonas Vater ist in der Auseinandersetzung versehentlich erdolcht worden. Kurz nachdem er Othello aufklärte, dass der vermeintliche Widersacher und Geliebte seiner Frau Desdemona, Leutnant Cassio, auf Männer stand. Stand – denn auch er liegt unweit der anderen gelyncht am Boden. Neben Roderigo, ein wilder Verehrer von Desdemona, den Jago auf dem Gewissen hat. Und Desdemona, die Othello selbst erwürgt hat. Ein Schlachtfeld, das Jago mit Tücke, Eifer und Hingabe bereitete. Und doch ist er am Ende nicht zufrieden.

Souffleuse der Niedertracht

Gehen wir zum Anfang. Es ist Maskenfest in Venedig. Die Menschen tanzen, feiern und flirten. Die Stimmung ist ausgelassen. Die Farben prächtig und bunt. Die hübsche Desdemona bezirzt im leuchtenden Rot. Othello, der bleiche Albino, ist in Schwarz gekleidet. Mag das schon ein Hinweis auf das Unheil sein, dessen Handwerkzeug er bald wird. Gesellschaftlich gilt Othello als Randfigur, trotz großer militärischer Erfolge. Er ist nicht wie die anderen. Seine Hautfarbe, seine Herkunft, seine Art – sie unterscheiden ihn. Man lässt es ihn wissen, immer und überall. Und rückt ab. Aber nicht Desdemona. Nicht dieses bezaubernde Objekt der männlichen Begierde, das jeden leicht für sich gewinnen könnte. Sie tanzt mit Othello durch Venedigs Karneval. Seine Stärke, seine Klarheit und seine zielsichere männliche Kraft haben ihre Liebe und stürmische Leidenschaft für ihn entflammt.

Doch noch sind alle hinter ihren Masken versteckt. Noch kann der Zuschauer nicht viel von ihnen erfahren. Nur einer, der sticht sofort heraus. Müht sich ab, am schweren Bühnenvorhang, der ihm einfach nicht gehorchen mag und sich schließt und öffnet – nach eigenem System. Es ist Jago; im festlichen Gewand und hinter venezianischem Gesichtsschmuck. Bis er den Trick raus hat. Und der Vorhang seinen Anweisungen folgt; wie im Stück später alle Figuren. Er legt die künstliche Maske ab und verlässt sich auf die ihm eigene. So beginnt sein fieses boshaftes Spiel.

Trugbilder der Angst

Shakespeares Drama behandelt den tragischen Lebenslauf eines Außenseiters. Ein Zuwanderer, der trotz seiner immensen Bemühungen, Tugendhaftigkeit und großen Leistungen nicht angenommen, sondern verachtet und gehasst wird. Außer von Desdemona, die er dafür abgöttisch liebt. Doch die Angst, auch sie könne es nicht ehrlich mit ihm meinen, öffnet den Intrigen Jagos die Türen. Zweifel, Eifersucht und Raserei ziehen bei Othello ein, bis er keinen anderen Ausweg sieht, als sich von der angehimmelten, vorab verherrlichten und nun als Hure empfundenen Ehefrau zu befreien und sie – trotz ihrer durchgängigen Unschuldsbeteuerung – kaltblütig zu ermorden.

Mario Holetzeck fokussiert Shakespeares Werk auf die manipulative Zuspitzung. Othellos Fähnrich Jago wird zum gewitzten Machthaber des Geschehens, in dessen ausgeklügelten Racheplänen sich alle anderen wie Wachs formen lassen. Auf Jagos Frau kann der Regisseur verzichten, auf Cassio als Nachfolger in Othellos Amt ebenso. Auch Desdemona ist bei ihm nicht zart, weich, unterwürfig lieblich, sondern aus dieser Welt. Eine abenteuerlustige Frau, kernig, wild und selbstbewusst. Aber wie sich ihre Charaktere auch gestalten, Jago hat sie wie eine Spinne im Netz. Seinem zerstörerischen, geschmacklosen und fiesen Treiben entkommt keiner. Er hat es perfektioniert. Das ist sein Lebensinhalt. Die Vernichtung. Bis er, in der RLT-Version, allein am Ende übrigbleibt. Nicht als Sieger, sondern als elend Verzweifelter…

Die von Holetzeck gezeichnete Gesellschaft, aus der heraus sich Neid, Missgunst und Intrige entwickelt, sie könnte überall sein. Als warte der Mensch nur auf den Auslöser, seine Aggressionen abzubauen. Motive werden hier nebensächlich. Es geht um die Lust am Demolieren, am Zersetzen. Warum auch immer. Ein Fremder kommt da wie gerufen. In instabilem Leben hat die Manipulation leichtes Spiel. Diskriminierung macht den Andersartigen zum Opfer und Täter zugleich.

Eine durchdachte Inszenierung, die schon allein wegen Michael Meichßners grandiosem Jago lohnt, anzusehen. Jetzt im Rheinischen Landestheater und im Sommer zudem auf dem Shakespeare Festival im Globe. Besuch empfehlenswert!

Marion Stuckstätte