„GELATO!“-Ausstellung im Clemens Sels Museum: Kühler Genuss aus der Ferne
4. Juli 2017 | Von Stuckstaette | Kategorie: Aktuelles, Neusser KulturSie kamen aus der Not, aus armen Bergbauernverhältnissen. Und sie hatten eine Idee, die die Welt eroberte: italienisches Eis. Vor 100 Jahren zogen italienische Eismacher auch in unsere Region. Wo ihre Wurzeln liegen und wie sich ihre Anfänge gestalteten, zeigt die neue Themenausstellung im Clemens Sels Museum. Sie richtet sich an kulturgeschichtlich interessierte Besucher. In Fotos, Postkarten, Objekten und Texten zeichnet -„GELATO! Italienische Eismacher am Niederrhein“ vom 25. Juni bis 17. September die bewegende Geschichte dieser Menschen nach. Als Zugabe zur Schau lädt das Haus am 9. Juli zum „Festa del Gelato“ ein. Ein besonderer Tag, an dem es im Museum aus diversen Perspektiven ums Eis geht, ob zum Staunen oder zum Probieren.
Kühl, lecker und variantenreich; Schokolade, Erdbeere, Zitrone oder Stracciatella, im Becher oder im Hörnchen, mit oder ohne Sahne – italienisches Eis in mannigfaltigen Facetten gehört zum Sommer wie das Freibad oder die Sonnencreme. Für uns eine Selbstverständlichkeit. Vor gut 100 Jahren allerdings alles andere als das. So genussvoll sich das Produkt heute anbietet, so wenig angenehm waren die Anfänge der Produzenten. Denn sie kamen aus den venezianischen Dolomiten, einer der ärmsten Regionen Europas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Existenzangst ließ sie nach neuen Einnahmequellen Ausschau halten. Sie kamen als Saisonarbeiter und zogen im Winter zurück in die Heimat.
Heute gibt es etwa 4.000 Eiscafés in Deutschland, die meisten davon werden von italienischen Eismachern betrieben. Drei Viertel von ihnen stammen aus zwei Tälern in den Dolomiten, dem Val di Zoldo und dem Val di Cadore. Nur wenige Familien konnten sich dort durch die Landwirtschaft ernähren. Daher sahen sich die Männer häufig dazu gezwungen, den Sommer über als Wanderarbeiter in die Fremde zu gehen. Im Val di Zoldo und dem Val di Cadore fanden die Menschen eine ungewöhnliche Strategie zur Sicherung des Lebensunterhalts: Sie wurden Eismacher!
Kalte Köstlichkeit aus aufwändiger Prozedur
Allerdings war die Herstellung von Eis vor der Erfindung der Kühlmaschinen eine extrem aufwändige Prozedur. Der, der den Fertigungsprozess beherrschte, behielt ihn geheimnisvoll für sich. Denn wer gutes Eis produzieren konnte, besaß ein Wissen, das ihn von anderen unterschied. Und ein Kapital. Eines, das einzigartig in Europa war. So fanden die italienischen Eismacher zunächst in Österreich und später in Deutschland reichlich Abnehmer für ihre eiskalten Köstlichkeiten. Aber nicht gleich ließen sie sich dort nieder. Für die Männer aus den Dolomiten blieb die Migration weiterhin auf den Sommer beschränkt. Sie arbeiteten zumeist nur von März bis September in Deutschland, um den Rest des Jahres bei ihrer Familie in der Heimat zu verbringen.
Ende des 19. Jahrhunderts kamen die ersten italienischen Eismacher in die Städte zwischen Köln und Kleve. In den 1920er Jahren eröffneten sie die ersten Eisdielen, die dann in den 1950er Jahren überall zu festen Bestandteilen im Stadtbild wurden. Die Ausstellung „GELATO! Italienische Eismacher am Niederrhein“ im Clemens Sels Museum erkundet die berührenden Wege dieser Menschen, die ihre italienische Heimat verließen, um mit der Herstellung von Speiseeis ihr Glück am Niederrhein zu finden.
Einer von ihnen war Ernesto Zampolli aus Pralongo. Er entstammte einer Familie von Kleinbauern und Handwerkern. Im Jahr 1936 gründete er in Neuss ein Eiscafé. In der Ausstellung wird es auch um ihn und seine Geschichte gehen. Genauso wie um Lodovico Saguì aus Zoppè di Cadore, der 1896 als Eismacher in Mönchengladbach arbeitete und der in den 1920er Jahren eine Eisdiele in der Nähe von Ascoli Piceno eröffnete. Oder auch um Domenico Rizzardini, der 1928 als Eisverkäufer arbeitete. Seine Familie eröffnete 1958 eine Eisdiele in Neuss. Also ab in den Sommer, hin zum Eis – und zur Eisgeschichte!
(GELATO! Italienische Eismacher am Niederrhein vom 25. Juni – 17. September im Clemens Sels Museum am Obertor. Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 11 – 17 Uhr, Sonntag u. Feiertag 11 – 18 Uhr. Sonderveranstaltung „Festa del Gelato“ am 9. Juli von 11 bis 18, mit freiem Eintritt. Nähere Infos unter www.clemens-sels-museum-neuss.de oder unter Tel. 02131-904141.)
Marion Stuckstätte