Kirche, Kasse und Nüsser Klüngel – „Jakobs Weg – Pilgern to go“ im Theater am Schlachthof vor ausverkauftem Haus

5. Oktober 2016 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Eine Äbtissin, die ihre Zwillinge in Sicherheit bringt. Ein Erbe, das an die Suche skurriler Reliquien geknüpft ist. Und zwei verfeindete Familien, protestantische Westfalen und katholische Rheinländer, die am Ende notgedrungen wie seelenverbunden an einem Strang ziehen. Das hört sich seltsam an? – Klar, ist es auch. Aber nicht im Theater, und nicht im TAS. Denn hier sitzt es wie Faust auf Auge am richtigen Platz und macht ordentlich Spaß. Die erste Premiere dieser Spielzeit „Jakobs Weg – Pilgern to go” trifft den Nerv der heimischen Anhängerschaft und läuft vor ausverkauftem Haus. Ein Volltreffer zum Saisonauftakt. Die wilde Niederrhein-Komödie aus der Feder von Jens Spörckmann ist humorvoll abgemischt mit kabarettistischem Instinkt; garniert an Heimatverbundenheit.

Blasenpflaster gefällig? – Denn die Reise kann lang und hart werden. Wie gut, dass es Unterstützung gibt. Johanna Kappsfeld oder Jakob Kaminski haben einiges in Sachen Wanderapotheke zu bieten, was das Pilgern erleichtert. Seien es nur die unzähligen kleinen Reliquien, die den direkten Draht nach oben bauen und die Füße überm Boden quasi im „heiligen Run“ schweben lassen. Doch obwohl das Geschäft schon seit Jahren läuft, machen Pilger-Apps wie „Jakobis Plus“ und Online-Handel den Händlern vor Ort das Leben schwer. Davon können Johanna und Jakob ein Lied singen. Ihre Dinge to go lassen sich nicht mehr verkaufen. Die meisten Pilger sind eh nur noch auf Pikachu-Jagd. Dagegen muss etwas unternommen werden. – Nur nicht gemeinsam, denn Johanna und Jakob können sich nicht ausstehen.
Umso schlimmer, dass sie sich zufällig im Büro der Nachlassverwaltung der Äbtissin Clara Maria begegnen, gemeinsam mit ihren jeweiligen Töchtern Maria und Klara. Denn die zwei zerstrittenen Familien, die Kappsfelds aus Neuss und die Kaminskis aus Essen, erfahren, dass sie Nachfahren der Äbtissin Clara Maria von Essen sind. Die hatte ein bewegtes Leben und musste zum einen ihre Zwillingskinder nach der Geburt zum Schutz in zwei getrennten Familien verbergen und zudem auf ihrer Flucht nach Köln wertvolle Reliquien in Neuss zurücklassen. Und dann kam ihr Tod. Das war vor 372 Jahren.

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Kommerzieller Weg vom irdischen Ablasszur himmlischen Gnade
Aber nun könnten ihre Nachkommen die Erbschaft antreten. Nur einen Haken hat die Aussicht auf den nahenden Reichtum: In sieben Tagen müssen die verlorenen Reliquien von Tante Clara Maria gefunden und vorgelegt werden. Von Existenznöten gepeinigt machen sich die Vier auf die Suche nach den heiligen Überresten, z.B. dem Schäufelchen, mit dem der heilige Quirinus die Äpfel seines Pferdes aufgesammelt hat, um damit seinen Kräutergarten zu düngen oder dem Anzünder vom Grill, auf dem der heilige Laurentius angezündet wurde. Das bringt sie an viele dubiose Orte und an fragwürdige Menschen. Nicht zuletzt in eine Kinderwunschpraxis, die sich in ihrer Reagenzglasfortpflanzung perfekt am Markt orientiert. Denn der Ansturm auf Superstar-Nachwuchs war gestern. Heute sind es die rückgratlosen Kinder, die das Geschäft ankurbeln. Denn viele Eltern haben die politische Karriere ihres Sprösslings schon im Visier.
Da haben alle ihr „Kreuz zu tragen“. Die erste Eigenproduktion der Saison 2016/17 vom Theater am Schlachthof hat es in sich. Die Hiebe fallen zielstrebig und lustvoll in Kirchen-, Heimat- und Gesellschafts-Fettnäpfchen. Die Produktion nach einer Idee von Markus Andrae und unter der Regie von Stefanie Otten lädt zum entspannten Schmunzeln ein. Ein ironischer Blick auf die Kommerzialisierung von Glaube und Spiritualität. Ein köstlich amüsanter Abend mit einnehmenden Schauspielern und pfiffiger Bühnenidee.
(Nähere Infos unterwww.tas-neuss.de und 02131 – 277 499.)