Sportangebote für Flüchtlinge
5. November 2015 | Von Graef | Kategorie: Neusser LebenIm Kampf gegen die Langeweile und für die Integration
Es war „Refugees-Day“ im Radio. Fast jeder Flüchtling, der live zu Wort kam, bedauerte, dass es in Deutschland schwierig ist mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen. Statt auf lockere Neugierde würden sie meist auf freundliche Distanz stoßen. Zufällig an diesem Tag fragte mich der Kreis-Sport-Bund Vorsitzende Thomas Lang: „Haben Sie sich schon mal mit den Sportangeboten für Flüchtlinge in unseren Vereinen beschäftigt? Ist ein spannendes Thema.“
Thomas Lang und ich treffen uns in einer Weckhovener Turnhalle. Hier hilft sein Heimatverein BV 08, dessen Vorstand er ist, einmal die Woche 15- bis 17-jährigen männlichen Flüchtlingen, ihr Trauma und ihre Zukunftsängste für einige Stunden beim Tischtennis hinter sich zu lassen. Sie kommen aus einer Unterbringung in der Nähe, welche speziell für männliche Minderjährige, die ohne Familie geflohen sind, eingerichtet ist. Für sie ist es nur eine Station auf dem Weg zum Asyl. In welche Stadt oder Region er führen wird ist für alle offen. Die Gruppe ist weder ethnisch noch religiös homogen. Doch weil sie in Weckhoven würdig untergebracht und behandelt werden, spielt dies keine sonderliche Rolle. Wie es eigentlich auch im Sport üblich ist. An diesem Abend werden sechs Jungs, zwei Syrer, zwei Libyer und zwei Afghanen, vom ehrenamtlichen Coach Michael Riedl und seinem Assistent Heinz Korbmacher in die Techniken des Spiels eingeweiht. Riedl auf Englisch und die Jungs untereinander auf Behelfs-Arabisch. Der Rest wird mit Gesten, also Händen und Füßen geregelt. Das ist Sport und Spaß pur. „Ist das nicht toll?“, fragt mich Thomas Lang. Dann berichtet er mir, dass die Integration Hundertausender Asyl-Suchender und Berechtigten nicht erst vor ein paar Wochen als gewaltige Aufgabe erkannt worden ist: „Schon Ende letzten Jahres hat der Landessportbund Nordrhein-Westfalen eine Sonderförderung initiiert. Dem hat sich der Sportbund im Rhein-Kreis Neuss sofort angeschlossen. Was unsere Sportvereine da leisten, wird von der informierten Öffentlichkeit gewürdigt. Wir wissen doch alle, Willkommen-Sein und Integration sind wichtige Voraussetzungen für ein respektvolles und friedliches Zusammenleben.“ Schon im Januar 2015 hatten im Rhein-Kreis die ersten Vereine die Förderung von 500 Euro als Sofortunterstützung beantragt. Darunter der KSK Konkordia Neuss e.V., der Taekwondo Club Neuss e.V. und die DJK Rheinkraft Neuss. Mittlerweile sind etwa 40 Vereine im Kreis mit Integrations-Angeboten aktiv. Wichtig auch, so Lang: „Jeder Teilnehmer an den Sportangeboten in den Vereinen erhält kostenfreien Versicherungsschutz über den Sportversicherungsvertrag NRW.”
Die Migranten können in sportlicher Hinsicht eine mannschaftliche Bereicherung sein. Da sind die Ringer des KSK Konkordia ganz weit vorne. Der Traditionsverein unter dem Vorsitz des Neusser Urgesteins Hermann Josef Kahlenberg profitiert von seiner Multikulti-Truppe. „Wir lassen die Jungs und Männer sofort bei unserem täglichen Trainingsprogramm mitmachen. Zwei Deutsche Meister seiner Junioren sind Flüchtlinge und zudem ringt ein Iranischer Meister für die Konkordia.
Ich frage Korbmacher, ob er nicht frustriert wäre, wenn seine Kämpfer dank irgendeines Verteilungsschlüssels weit weg verlegt würden. Für Korbmacher eine schlimme Vorstellung: „Unser iranischer Meister ist in Mönchengladbach untergebracht. Wir haben ihm ein VRR Ticket gekauft. Es wäre für ihn sicher besser mehr Zeit im Ring als in der Bahn zu verbringen. Über sowas müssen wir mit der Stadt reden.” Ich hoffe, er findet die richtigen Ansprechpartner, die den Imagegewinn erfolgreicher Sportler für Neuss zu schätzten wissen. Ansonsten: Das Training steht jedem Interessierten offen. Die Flüchtlings-Jungs aus dem Barbaraviertel machen davon regen Gebrauch. Wenn jetzt das „Container-Dorf“ in unmittelbarer Nähe eröffnet, können er und sein Sport-Vorstand Dieter Wuttke sich sicher kaum noch vor dem Ansturm retten. Es sei denn, dass auf der anderen Straßenseite die SVG Weissenberg zum Kicken einlädt.
Eine, die sich gut mit dem Thema auskennt, ist die Abgeordnete der Grünen im Kreistag, Rechtsanwältin Nilab Fayaz. „Bereits im Februar hatten wir im Kreistag einen Antrag gestellt, Fördermittel für ein Projekt „Vereinssport für Flüchtlinge“ zur Unterstützung von Sportvereinen zur Verfügung zu stellen. Der Antrag wurde damals zurückgestellt, weil der Landessportbund (LSB) im Januar für ein ähnliches Projekt Fördermittel in Höhe von 500 Euro pro Verein einstellte.“ Damals hatten sich leider nur 9 Vereine im Kreis beteiligt. „Ich kann jedoch aktuell beobachten, dass das Interesse der Vereine den Flüchtlingen Sport näher zu bringen, wächst. Die herausragende Bedeutung des Sports in persönlicher, sozialer und gesundheitlicher Hinsicht ist allseits bekannt. Sport sorgt nicht nur für das eigene Wohlbefinden, sondern ist auch eine gute Möglichkeit, andere Menschen aus seiner Umgebung kennen zu lernen. Bezüglich Fördermittel ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, wir werden den Antrag weiter verfolgen“, so Nilab Fayaz. Neben finanzieller Unterstützung sind ihr insbesondere die kleinen, persönlichen oder ehrenamtlichen Engagements sehr wichtig. Zufälligkeiten auch, wie das Beispiel BV Weckhoven 08 zeigt. Da war sie aktiv involviert. „Das ursprüngliche Angebot der Baseballer Neuss Rebels erwies sich mit komplexem Regelwerk und versierten Taktiken nicht als das Richtige für die Jungs. Aber mit Tischtennis haben wir das Richtige gefunden, auch wenn Fußball die Sportwahl Nr. 1 bleibt“, bestätigt Nilab Fayaz. „Ferner ist die Initiative und das Engagement von uns Bürgern wichtig – Vermittler spielen eine große Rolle. Viele Vereine leiden unter Mitgliederschwund, daher dürfte es für beide Seiten eine Win-Win-Situation sein. Es wäre zu begrüßen, wenn Sportvereine, die sich in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften befinden, die Flüchtlinge über ihre zahlreichen Sportangebote informieren würden; das Gleiche können auch Einwohner und die vielen ehrenamtlich Tätigen machen (was bereits teilweise geschieht). Wir müssen weiter motivieren und am Ball/Sport bleiben.“
Was ist eigentlich mit Fußball?
Na da geht doch was: Bei der DJK Rheinkraft wird auf der Ludwig-Wolker-Sportanlage jeden Mittwoch ab 16 Uhr gekickt. Unter der Leitung eines versierten iranischen Ehrenamt-Coachs werden hier Fußballer von den Unterkünften an der Bergheimer Straße und St. Alexius trainiert. Das ist schon mal sehr gut. Aber da muss noch mehr passieren.
Ein unangenehmes Thema muss aber dann doch noch Erwähnung finden. Gerade jetzt, wo der Winter vor der Tür steht, ist die kurzfristige Inanspruchnahme von Sporthallen kontraproduktiv. Die Vereine haben das Gefühl, dass nicht sorgfältig genug nach Alternativen gesucht wird. Thomas Lang befürchtet: „Andere Liegenschaften bleiben unberücksichtigt, weil Sporthallen schneller greifbar sind und auch vermeintlich besser versorgt werden können. Die Sportvereine stehen dabei vor einem zweifachen Dilemma; einerseits soll der Hallensport weiterhin aufrechterhalten werden, auf der anderen Seite soll noch zusätzlich Sport für Flüchtlinge und Asylsuchende in Hallen angeboten werden.“ Es ist nicht immer einfach, vernünftige Lösungen zu finden.