Jubiläumsprogramm zum 25. Shakespeare-Festival in Neuss

28. Mai 2015 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Von Neuerungen, Überraschungen und Promis

Aus einer Idee entsteht eine Vision. Wenn im entscheidenden Moment die richtigen Leute aufeinander treffen, die sich verstehen und sich gegenseitig anspornen, dann wächst aus einem kleinen Keim auch mal ein riesiges Gewächs. Etwas zum Bestaunen, auch wenn keiner anfangs zu ahnen vermag, welche Dimension die Saat eröffnet. So in Neuss geschehen vor 25 Jahren, als zum Jubiläum des Neusser Bauvereins ein Theaterfest für die Bürger auf dem Münsterplatz veranstaltet werden sollte. Am Ende kam ein Globe aufs Rennbahngelände; dauerhaft. Aus einem Fest wurde ein Festival – und das mit Riesenerfolg, weit über die Neusser Grenzen hinaus. Vom 28. Mai bis 27. Juni wird in diesem Jahr das Vierteljahrhundert gebührend gefeiert, mit frischem Input und besonderen Highlights.

Es war das Jahr 1991, als anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Neusser Bauvereins eine ungewöhnliche Holz-Stahlkonstruktion aus Bühne, Holzbänken und zwei Rängen von Rheda-Wiedenbrück nach Neuss verfrachtet wurde. Ein zwölfseitiges, mobiles Theaterhaus, inspiriert durch Shakespeares Globe, das zur Bundesgartenschau geschaffen wurde und nun einen neuen Besitzer suchte. Und da der Bauverein seinen runden Geburtstag nicht nur in Insiderkreisen mit Sekt und Musik zelebrieren, sondern auch die Stadt und ihre Bewohner mitfeiern lassen wollte, kam die Idee eines innerstädtischen Theaterspektakels auf. Was dann kam, war nicht vorhersehbar, mehr eine Fügung aus zufälligen Begegnungen, freundschaftlichen Banden und enthusiastischem Agieren der Beteiligten. Eine Art schicksalhafte Verkettung von Ereignissen rund ums Globe und um Shakespeare. Ganz so, wie sie auch im Geschmack des Meisters auf die Bühne gepasst hätte. Das Globe landete als beständige Spielstätte im Rennbahnpark, ein Festival war geboren. Das Shakespeare-Festival. In diesem Jahr findet es zum 25. Mal statt.

Tans Hamlet aus Rio de Janeiro,
Impro-Oper aus München

Wurde im Geburtsjahr lediglich eine Compagnie eingeladen, die „bremer shakespeare company“, die an vier Spielterminen vier verschiedene Stücke auf die Bühne brachte, so hat sich das Angebot immens erweitert. Vier Wochen lang wird das heute rund 500 Zuschauer fassende Neusser Globe mittlerweile Jahr für Jahr bespielt. Rund 15.000 Besucher zieht es pro Saison an, und das lange nicht mehr nur aus der Stadt und dem engen Umland. Sie kommen aus rund 150 Städten und Kreisen. Die Compagnien, sie reisen aus aller Welt an, ob aus Indien, Japan, Afghanistan oder den USA; oder wie in diesem Jahr die Companhia Copleta Mente Solta (deutsch: mit völlig freiem Geist) mit ihrer „Tans Hamlet Formation“ aus Rio de Janeiro.

2015 wird es die 600ste Vorstellung geben und obendrein wird der 250.000ste Besucher erwartet. Zum Silberjubiläum kommen 13 Ensembles, die insgesamt 34 Veranstaltungen präsentieren. Und das von verschiedenster Couleur: von der Shakespeare-Revue des berühmten Berliner Schauspielers und Chansonniers Dominique Horwitz über „Romeo and Juliet“ aus Bristol von der 28-jährigen Polina Kalinina, Shootingstar unter den jungen Regisseuren Englands, hin zur Impro-Oper. Letztgenannte ist ein Geschenk des Festivals an die Besucher. Zum Sonderpreis von 10 Euro auf allen Plätzen lädt das Festivalteam zum originellen Geburtstagsevent ein. Das Ensemble „La Triviata“ reist am 10. Juni aus München an, um eine ungewöhnliche zeitgenössische Oper auf die Bühne zu bringen, einen improvisierten Musikabend. Auf Zuruf bauen die klassisch ausgebildeten Akteure Sequenzen ein und greifen die Stimmungen aus den Zuschauerreihen auf, um die Handlung zu entwickeln. „Wenn ein Gefühl so groß ist, dass man anfangen muss zu singen, dann wird eine Oper daraus“, so der künstlerische Festivalleiter, Dr. Rainer Wiertz. Was entsteht, weiß vorher keiner, weder er, die Darsteller noch das Publikum. Garantiert ein „einmaliges“ Erlebnis.

Der komplette Erlös dieser Veranstaltung geht an die Neusser Globe Education, die auch in diesem Jahr wieder mit einem umfangreichen Angebot aufwartet. Hintergrundwissen, tiefe Einblicke in die Stücke und in die Gedankenwelt Shakespeares werden vermittelt, ob im Studientag mit der bremer shakespeare company, den Führungen von Adelheid von Werden oder den Stücke-Einführungen und Publikumsgesprächen von Dr. Vanessa Schormann. Zudem gibt es eine Reihe spannender Workshops, zum Experimentieren, zur Selbsterfahrung oder zum Austausch, die von Festival-Regisseuren wie Polina Kalinina (Tobacco Factory) oder Stephen Jameson (Mountview Academy London) geführt werden.

Sieben Deutschlandpremieren
und eine Auftragsproduktion

Eine jugendlich frische „Was Ihr wollt“-Inszenierung hat der katalanische Regisseur Adrià Aubert im Gepäck, wenn er mit seinen neun Darstellern des „Els Pirates Teatre“ aus Barcelona anreist. „Nit de Reis“ ist eine Auftragsproduktion des „Festival Shakespeare Barcelona“ und wird in Deutschland am Neusser Rennbahnpark zum ersten Mal zu sehen sein. Ein Leckerbissen auch das Stück „Measure for Measure“ von Dan Jemmett, das vom 16. bis 18. Juni gespielt wird. Zugleich eine Neuheit auf dem hiesigen Festival, denn die Inszenierung ist die erste Auftragsproduktion der Neusser Festivalleitung, die durch die Zuwendung des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums ermöglicht wurde. Das soll es von nun an öfters geben, denn Ziel von Kulturreferent und Programmmacher Dr. Rainer Wiertz ist, alle Shakespeare-Werke im Neusser Globe einmal zu zeigen; auch die, die schwer zu inszenieren und selten oder nie zu sehen sind.

Der erste Auftrag ging so an Jemmett, denn er ist seit Jahren gefeierter Gast auf dem Neusser Shakespeare-Festival. Gerne erinnert man sich an seine temporeichen und spritzigen Inszenierungen mit seinem Théâtre Vidy und der Compagnie „des Petites Heures“. „Maß für Maß“ wird er mit seiner englischsprachigen Company „Eat a Crocodile“ auf die Bühne bringen. Auch darauf darf man gespannt sein. Im Vorfeld verraten hat er, dass seine Interpretation des 1604 uraufgeführten Stückes, das heute zu Shakespeares „Problemstücken“ zählt, eine Kammerspiel-Version wird. Als Schauplatz dient ein Bestattungsinstitut. In ihm wird der Herzog von Wien in Funktion des Leichenbestatters, sowohl als eine Art Beichtvater wie tödlicher Puppenspieler, die Fäden ziehen.

So gibt es einige Deutschlandpremieren, neben der Auftragsproduktion sieben an der Zahl. Denn anlässlich des Jubiläums wurden die „Freunde“ des Festivals – Regisseure, die lange mit ihm verbunden sind – gefragt, ob sie speziell etwas fürs Jubiläum vorbereiten wollen. Die Resonanz war so überwältigend, dass einzelne Projekte auf 2016 verschoben werden mussten. So hat Stephen Jameson extra fürs Neusser Festival „Love’s Labour’s Lost“ erarbeitet und die Theaterachse aus Salzburg „Die lustigen Weiber von Windsor“. Guy Retallack, der seit 1998 hier mit erstklassigen Inszenierungen der Wild Thyme Productions besticht, kommt dieses Jahr mit seiner neuen Compagnie Piper Productions und „Macbeth“. Die Inszenierung lief bereits im Londoner Bridge House Theatre und konnte zwei Off West End Awards sowie einen Broadway World Award für die beste Regie einstecken. Sicher wieder eine Bereicherung fürs Festival. Am 7. Juni stellt er sich im Anschluss dem Publikumsgespräch.

Festival der Freunde

All diese Inszenierungen hat man hierzulande noch nicht gesehen. Spannend, auch ein Wagnis. Aber die liebt man in Neuss auch, das macht einen Teil des Reizes des Neusser Shakespeare-Festivals aus. Etwas anders sein und Neuland erforschen, denn experimentieren gehört zum Erfolgsrezept. Genauso wie die Freunde. So lautet der Jubiläumstitel auch „Festival der Freunde“, und das macht Sinn. Denn da sind alle mit gemeint, die Künstler, die Zuschauer und die Förderer. Schließlich entspringt der beliebte Event gewissermaßen auch freundschaftlichen Bindungen. Amt, Beziehung und Festlichkeit, die drei Komponenten lassen sich in der Quirinusstadt nicht trennen, wie uns die Vergangenheit lehrt. Wie einst zwischen Klaus Harnischmacher, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden des Neusser Bauvereins und dem Kulturdezernenten und Stadtdirektor Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff und seinem Neusser Schulfreund Norbert Kentrup. Der eine wollte ein denkwürdiges Fest, der andere ein Kulturhighlight und der Dritte brachte Shakespeare und das Globe ins Gespräch. Schließlich hatte Kentrup gerade die „bremer shakespeare company“ gegründet. 1991 war sie die erste und einzige Schauspieltruppe auf dem Fest, eröffnete dies mit „Der Widerspenstigen Zähmung“ und beendete mit „Die lustigen Weiber von Windsor“. 2015 kommt die Compagnie mit „Shakespeares Könige. Mord Macht Tod“, sieben Königsdramen in einem Stück. Die zweieinhalbstündige Spielfassung von Johanna Schall, Enkelin von Bertolt Brecht, wird an vier aufeinanderfolgenden Tagen, vom 11. bis 14 Juni, zu sehen sein.

Heute ist die „bremer shakespeare company“ hier nicht mehr wegzudenken, wie viele andere Ensembles auch, die im Laufe der Zeit eine tiefe Bindung zum Neusser Festival entwickelt haben. Sie bleiben ihm treu, selbst wenn sie mittlerweile zu international gefragten Truppen zählen, wie beispielsweise die englische Propeller Company. Vor 18 Jahren gründete Edward Hall eine kleine Touring-Company, die 1997 erstmals in Neuss mit „Henry V“ auftrat. Das war vor vielen Jahren. Heute ist die Propeller Company auf der ganzen Welt bekannt, doch Neuss schätzt die UK-Truppe nach wie vor. Neben Schauspielergrößen wie Sebastian Koch, Senta Berger und Gustav Peter Wöhler (der auch dieses Jahr wieder einen Festivalbeitrag leistet) findet Edward Hall im Jubiläumsmagazin lobende Worte fürs hiesige Festival: „Since then ‚Propeller‘ has grown into a worldwide touring company playing all over the world but we have always returned to Neuss to this very special theatre and this very special audience. Thank you Neuss and thank you Rainer for giving us so many wonderful evenings in your theatre.”

(Das vollständige Programm, die Edu-cation-An-ge-bote und weitere Infos zu -Tickets und Preisen unter www.shakespeare-festival.de. Zum Neusser Shakespeare-Festival ist ein großformatiges, 24 Seiten umfassendes Jubiläumsmagazin mit vielen Hintergrundberichten zum Festival, den Ensembles und den Stücken erschienen, das kostenlos bei den Vorverkaufsstellen, im Buchhandel, in der Touristeninformation am Rathaus und im Kulturamt Neuss erhältlich ist.)