„Ich weiß, dass ich nichts weiß.“
12. September 2014 | Von Stuckstaette | Kategorie: Neusser KulturSaisonstart am Rheinischen Landestheater
Mit der neuen Spielzeit 2014/15 beginnt die zweite Hälfte der Intendanz von Bettina Jahnke am Rheinischen Landestheater. Mit „träumen!“, „kämpfen!“, „lieben!“, „glauben!“ und „spielen!“ nahm sie den menschlichen Antrieb näher unter die Lupe, in den kommenden fünf Spielzeiten werden es die Tugenden sein. So lautet das Motto dieser Saison „#weisheit“, die anderen Kardinaltugenden „#gerechtigkeit“, „#tapferkeit“ und „#mäßigung“ werden folgen. Mit drei Premieren im September geht es los. Den Auftakt bereitet am Freitag, den 5. September, die Inszenierung „Das Himbeerreich“ des vielfach ausgezeichneten Autors und Regisseurs Andres Veiel unter der Spielleitung der Theaterchefin.
Das sind die Weisen, die durch Irrtum zur Wahrheit reisen. Die bei dem Irrtum verharren, das sind die Narren.“ – Das Zitat von Friedrich Rückert deutet aufs Motto der neuen Spielzeit am Rheinischen Landestheater. Was ist ein tugendhafter Mensch, ist Tugendhaftigkeit heute noch wichtig? Werte gibt es, aber viele sind Äußerlichkeiten und dem Egoismus entlehnt. Was ist ein weiser Mensch? Vielleicht einer, der den Sinn des Lebens sucht; einer, der durch den Irrtum hindurchgeht und dessen Blick sich dadurch weitet. Sokrates sagt: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ und begibt sich auf die Suche. Mehr erfahren, kann nur der, der nicht ängstlich auf der Stelle stampft; nur solch einer, der der Gefälligkeit des Alltags und des Mainstreams entgegengeht.
„Es sind die Weisen und die Narren, die nicht mit dem Strom ziehen“, so Intendantin Bettina Jahnke. Mit der ersten Tugend, der Weisheit, die sich das RLT-Team vornehme, lande man auch bei ihrem Pendant, der Torheit. Denn: „Die Toren oder Narren waren und sind für das Theater extrem interessant und bevölkern seine Dramentexte. Den Narren sind ungewöhnliche Blicke auf die Gesellschaft erlaubt, und sie haben ‚Narrenfreiheit‘, das zu formulieren, was kein anderer aussprechen darf.“ Verwirrung mag die Welt auf den Kopf stellen und die Sicht auf die Dinge ändern. „Die Narren, die ‚anders Weisen‘ sagen und tun Unerhörtes. Und wir als Zuschauer werden zu geistiger Beweglichkeit angeregt, das Verstandene, Verdaute und Unumstößliche zu hinterfragen.“
„Wer auf uns zeigt, meint sich selbst.“
Wachsam sein oder es werden. Klar und hellhörig die Welt und sich selbst betrachten. Wahrnehmung ändern oder schärfen. Da ist das Theater bei sich angekommen, bei seiner Kraft, wenn es nicht nur spielt – oder gerade das tut. Verwirren. Und Ansätze der Verwirrung gibt es genug. Auch hier und heute. So steht dann auch ein aktuelles und weit beachtetes Stück am Anfang der Saison, dem man nicht nur „hinterhertrotten“ kann. Hochkomplizierte Sätze sind das Eine, die komplexen Gefüge im Bankermanagement und die verwickelten Mechanismen in die Finanzkrise, das Andere. „Das Himbeerreich“ von Andres Veiel wirft den Blick ins Machtzentrum der Welt, auf das Treiben von Finanzbossen und Wirtschaftsjongleuren, der Topakteure der Bankenwelt. Aufgrund von Interviews mit über 20 führenden Bankern und mehr als 1500 transkribierten Seiten entwirft er sein dokumentarisches Krisenprotokoll. Sechs fiktive Akteure, vier Banker, eine Bankerin und ein Fahrer, treffen aufeinander. Alle befinden sich im beruflichen Abseits, wurden ausrangiert. Jeder hat seine Geschichte, jeder seine Perspektive auf die Welt. Sie berichten und brechen das Schweigen, lüften wohlgehütete Geheimnisse des sonst schwer einsehbaren und nachvollziehbaren Machtapparats.