Saisonstart mit Doppelpremiere: „Die Nibelungen“ Teil 1 und 2 – Kraftvoller Gewaltakt im Blechrauschen

5. Oktober 2013 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Keine Angst haben vor neuen Herausforderungen, so könnte das Motto des Saisonauftakts im RLT lauten. Denn „Die Nibelungen“ als Gesamtwerk über einen Abend zu erleben, ist sowohl für die Macher wie auch fürs Publikum ein Wagnis. Doch die frische Interpretation des ersten Teils und die bildgewaltig eindringliche Umsetzung des zweiten machen die Doppelinszenierung zum Theatererlebnis.

 

Noch ist es friedlich am Hof von Worms. Zwei Personen stehen im Blickfeld: Kriemhild, die Schwester des Königs Gunther, und Ute, ihre verwitwete Mutter. Zwei große Blechfelder ragen von der Decke herunter, in die die zwei Frauen Schrammen ritzen. Spuren wie Narben. Die Welt scheint heil, aber das Blech bebt schon. Gesprochen wird von Liebe und von Leid und davon, ob sich das eine lohne, wenn sich das andere immer mit einstelle. Ist es Schicksal, was dem Menschen, das Leben, die Liebe und das Leid beschert, oder sind es die Menschen, die ihre Wege leiten und sich selbst in den Untergang führen.

Die Nibelungen von Friedrich Hebbel sind in vielen Richtungen ausgedeutet worden. Auch wenn der Dichter seinem Publikum zu Lebzeiten versicherte, dass es in seinem dreiteiligen Trauerspiel nicht darum gehe, ein modernes Lebensproblem zu illustrieren, so wurde die Trilogie in der Wilhelminischen Epoche zum Hohelied der „Nibelungentreue“ hochstilisiert. Andere Bedeutung als dann auch die Vereinnahmungsversuche durch nationalsozialistische Kulturpolitik erhielt das Stück in den Achtzigern des 20. Jahrhunderts als Kalter Krieg und Hochrüstung ein neue Perspektive auf die „Nibelungentreue“ richtete: den Wahn zur totalen Auslöschung. Jede Zeit hat ihre Sichtweisen. Die heutige begreift das Werk dann wieder in des Dichters Wunsch, „in dem Trauerspiel hinter der Nibelungen-Not nichts zu suchen als eben der Nibelungen-Not selbst“. Erkundet werden wieder die Menschen, nicht ein Wirken von außen, sondern die Qualen, die von innen aufbegehren. So sind es auch im Rheinischen Landestheater nicht die Helden, die im Zentrum stehen. Gebaut wird das Drama mit den Gekränkten, die Demütigung, Neid, Eifersucht und ihre Schmach nicht ertragen und nach Rache sehnen. Macht ein ebenfalls zentraler Punkt. Doch wird nicht aufgelöst, ob die Macht über andere, die Macht des eigenen Leids zu lindern vermag. Vielmehr geht es hier in Richtung des fatalen Untergangs, in den sich alle einreihen.

Übermut der Jugend gegenüber Lebenslast der Alten

Hebbels Trilogie, uraufgeführt 1861 in Weimar, wird am Neusser Theaterhaus mit „Siegfried“ und „Kriemhilds Rache“ in zwei Teile gefasst. Die Jugend wütet im ersten Teil, in all ihrem Übermut, im Kräftemessen und in wilder, begehrender Vernarrtheit. Siegfried, der den Drachen besiegte und so zum Hüter des Nibelungenhorts wurde, ist durch sein Bad im Blut des Ungetüms unverwundbar geworden. Er zieht an den Hof von Worms, um mit König Gunther um sein Reich zu kämpfen. Dort verliebt er sich in dessen Schwester Kriemhild, die er aber erst bekommen soll, wenn er für Gunther die Männer abweisende, körperlich nicht bezwingbare Walküre Brunhild entmachtet und Gunther zur Ehe mit ihr verhilft. Mit Nebelkappe getarnt schlüpft er in des Königs Rolle und überlistet Brunhild mit seiner übermenschlichen Kraft. Doch fliegt der Schwindel auf. Denn Kriemhild und Brunhild geraten am Hof aneinander und Siegfrieds Liebe verrät den Betrug und gleich darauf dem vermeintlich treuen Helfer Hagen Tronje noch dazu die einzig verwundbare Stelle von Siegfrieds Körper. So bereitet Kriemhild ihrem Geliebten den Tod und sinnt seit daher auf Rache, die sie so unbeirrbar verfolgt, dass sie selbst ihre ganze Sippe auslöscht, um an ihr Ziel, den Tod von Hagen Tronje zu kommen. Die Liebe ist nicht die Sehnsucht, auch nicht die Leidenschaft. Der Tod ist es in diesem Werk.

Am Anfang des Stückes sind die Wege noch offen. Siegfried muss sterben, weil er mit seiner Macht, die der anderen verhöhnt. Die Inszenierung von Esther Hattenbach ist jung und lebendig. Verspielt und angeödet in Langeweile sucht der König mit seinen Gefolgsleuten nach Abwechslung. Die Werbung um die schöne Brunhild ist ein willkommener Zeitvertreib. Ebenso das Kräftemessen mit Siegfried. Richtig ernst wird es erst nach Siegfrieds Tod. In der zweiten Inszenierung des Abends von Intendantin Bettina Jahnke ist die Leichtigkeit, auch Witz gewichen. Wo Bleche vorher beben, scheppern und krachen, mehr mahnend als allgegenwärtig sind, da fangen sie bei Jahnke in tiefsten Tönen zu dröhnen und zu drohen an. Gewalt und Rache blitzen in den Augen. Rote Farbe erzählt von Blut. Aus Spiel ist Krieg geworden, aus hinterhältigen Attacken gebärdet sich frontaler Angriff. Sie reden von Ehre und Zusammenhalt. Von Treue. Doch wem sind sie treu, den anderen oder sich selbst? Den Werten oder dem Hass?

Es ist ein langer Premierenabend, zwei Inszenierungen über insgesamt fünfeinhalb Stunden mit drei Pausen und einer kulinarischen Stärkung mittendrin. Aber es ist auch ein sehr beeindruckendes Erlebnis, die Geschichte und ihre Entwicklung als Ganzes in Folge zu sehen. Denn das, was sich hier baut, ist sorgsam aufeinander abgestimmt. Die Bühne in Blech gerahmt, die im zweiten Teil noch eine rotgefasste Empore freigibt, von der aus Kriemhild richtet. Stille, Wortgewalt und Musik gehen auseinander hervor. Das gesamte Ensemble ist hier im Einsatz und das mit beachtlicher Leistung. Neuzugang Pablo Guaneme Pinilla kann als Siegfried auf facettenreiche Art überzeugen. Auch wunderbar Sigrid Dispert als Kriemhild in Teil 1, die durch ihre Wandlungsfähigkeit besticht. Erzählerische Leichtigkeit zu Anfang mündet in eindrucksvollen Bildern in düsterer Totenstille. Der Abend klingt nach, auch wenn man am Ende dann doch auch müde ist.

(Teil 1 und 2 können auch als Einzelvorstellungen besucht werden. Als Doppelveranstaltung gibt es „Die Nibelungen“ noch am 12.10. und 7.12. Weitere Infos unter www.rlt-neuss.de)