Die Musik des Bildes
6. März 2013 | Von Stuckstaette | Kategorie: Neusser Kultur
Videoinstallation zum „Erft-Projekt“ von Jürgen Hille im Romaneum
Bilder rauschen an einem vorbei, Wasser, Insekten, Blüten, Steine und Blätter. Bilder gleiten über die Leinwand, die Seitenwände, umziehen den Raum. Nehmen ihn ein. Natur. Naturschauspiel. Realitätsforschung. Und Klang. Der Klang der Natur. Was die Fotos und Videos von Jürgen Hille zeigen, findet sich in der Welt und in der Erft-Landschaft von Neuss. Und doch hat man es so noch nie gesehen. Der Medienkünstler eröffnet eine faszinierende Sicht auf die Elemente der Erde, auf das Zusammenspiel der Details und auf Alltäg.
Man könnte es selber sehen: den Stein, der sich mit einer Wasserschicht umhüllt, als sei er in Glas gefasst oder den entwurzelten Baumstamm, den die Natur zerklüftete, dessen spitze Holzabspreizungen sich wie Sägezähne gen Himmel strecken. Genauso wie den Lichtkegel auf gewölbter Wasseroberfläche, der sich darstellt, als würde eine Lampe vom Grund nach oben leuchten. Es ist Realität. So war es vor Ort, so hat der Künstler es gefunden. Aber das, was er erfasst, ist keine Ablichtung von Naturwundern. Es ist der besondere Moment, der besondere Blick, der außergewöhnliche Ausschnitt, durch den er das Bild zur Kunst erhebt. Nichts ist einfach da, alles ist Komposition, wenngleich ohne Eingriff.
Jürgen Hilles Bilder sind voller Ruhe und Poesie, selbst wenn sie die Kraft der Natur im reißenden Eftstrom erfassen. Sein Auge weist dem Betrachter einen eigentümlichen Weg, die Einzigartigkeit seiner Fundstücke und deren Anordnungen zu erkennen. Doch bleibt die Betrachtung nicht am Detail, nicht am Kieselstein in Grimlinghausen, nicht an der Wasserblase der Erft hängen. Vielmehr zieht sich der Blick vom Einzelnen auf zur Größe der Welt. Ein kleines Stück als Teil des Ganzen. Die Realität, die in abstrakte Sphären verweist.
Vor sechs Jahren zog der gebürtige Düsseldorfer (Jahrgang 1961) nach Neuss. Nach seinem Studium der freien Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf arbeitete er anfangs mit Materialien wie Gips, Wachs, Karton und Holz, entwickelte Plastiken und Rauminstallationen. Eine Videodokumentation seiner Ausstellung im Kunsthaus Essen (1993) intensivierte sein Interesse am Medium Film. Bildhauerisches Gestalten schien ihm begrenzter als videografisches Sehen und Raumgestalten. Ortserkundungen an Landschaft, Zeche, Menschen und Leben wurden zum experimentellen Inhalt. Es entstanden subjektive Dokumentationen wie 1995 über das israelische Künstlerdorf „Ein Hod“ oder 1997/98 über einen Schlüsseldienstbetreiber. Videografische Interpretationen an der Halde Haniel folgten, u.a. die komplexe Bild-Tonmontage „Aus der Nacht in den Tag“, die die gewaltigen energetischen Prozesse des Untertagebaus den Freizeitaktivitäten auf der Halde gegenüberstellt. 2005 unterhielt Hille im Düsseldorfer Goethe-Institut ein offenes Atelier, in dem er ortsspezifische Beobachtungen künstlerisch reflektierte und in variierenden Wandbildinstallationen zur Diskussion stellte. Später kamen Videoportraits von Menschen, die mit und für die Musik leben. Aus seinem Interesse an Klängen und musikalischen Strukturen entwickelte sich eine Arbeit mit Kieselsteinen, die auch Bestandteil einer experimentellen Sendung bei arte.tv war und die er in verschiedenen Ausstellungen mit Monitoren und realen Steinen im Raum installierte (http://kiesl.blogspot.de).
Neue Wirklichkeit aus dokumentarischen Ansätzen
Mit dem Umzug nach Neuss ging die Erkundung hiesiger Landschaft einher. Seither ist er ständiger Gast des Erft-Areals zwischen dem Wiesenwehr in Gnadental und der Rheinmündung in Grimlinghausen. Die Bilder und Videos des noch in der Entwicklung befindlichen Erft-Projekts sammelt er in seinem Internetblog http://juergenhille.blogspot.de, das als virtuelles Archiv seiner Wahrnehmung stetig wächst. Zurzeit befinden sich 6776 Bild-und Videoarbeiten in diesem Kanal, der an manchen Tagen von bis zu 500 Usern kontaktiert wird. Aus dieser Arbeit konnten, dank der Jubiläumsstiftung der Sparkasse Neuss, im Februar erstmals 10 großformatige Fotografien im Romaneum zur Ausstellung gebracht werden. Am 6. April nun zeigt Hille im Pauline-Sels-Saal des gleichen Hauses eine erste Video-Installation zum Erft-Projekt.
Seine Kunst ist, die Dinge neu zu beleben. Aus dokumentarischen Ansätzen baut sich neue Wirklichkeit. Es ist wie ein Spiel mit Wahrnehmung, Bildern und Betrachtungsperspektiven. Mögen die Standbilder gar in ihrer Ruhe und Tiefe wie Meditationspole wirken, so gegensätzlich quirlig, dynamisch, auch hektisch fügen sich gleiche Naturauszüge in einzelnen Videosequenzen zusammen. Rasante Schnitte, harte Brüche und der Bewegung gegenläufige Kameraführungen koppeln sich an Stillstand und unberührte Natur. Eigenwillige Lebendigkeit entsteht. Eine, die über der der Naturereignisse liegt. Unbedingt anschauen!
(Infos zum Künstler und seinen Projekten unter www.juergenhille.de; nächste Projektpräsentation: Mehrkanalvideo-Installation am 6. April im Pauline-Sels-Saal des Romaneums, geöffnet von 15 bis 20 Uhr, Eintritt frei, Trailer unter http://youtu.be/1fFN8joAGeU)