Auf den Spuren zu Fremdem und sich selbst

12. Dezember 2012 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Theaterabend rund um Goethes West-östlichen Divan im RLT 

Posaunenspiel, fremdländisch und experimentell – orientalische Klänge. Dann Stimmen im Wortduell, im Gedicht, Gesang, in Fragen und im Gespräch. Zwei Schauspieler, eine Frau, ein Mann, die sich im Wort berühren, Sprache ergründen, um zueinander zu finden – und zu sich selbst. Orient und Okzident, sie begegnen sich hier auf einer für den Sprachfluss freigeräumten Fläche. Wo ist der Mensch, was macht ihn aus? Auf der Grundlage Goethes Gedichtzyklus „West-östlicher Divan“ gestaltet Regisseurin Sahar Amini einen eindringlichen, wortgewaltigen Abend, eine Collage aus Goethes Poesie, modernen Texten und persischen Märchen; zart, leise und zugleich dröhnend, kraftvoll im Dialog umgesetzt.

Wachsam sollte man sein. Mittendrin ist man. Wenn der Zuschauer die Studiobühne zur Aufführung des West-östlichen Divans im Rheinischen Landestheater betritt, ahnt er, dass er sich in ein Theaterexperiment begibt. Es gibt keine Bühne im eigentlichen Sinne. Eine Fläche in der Mitte, an drei Seiten eine zweistufige Treppe als Sitzgelegenheit. Rechts und links hinter dieser eine Laufsteg für die Schauspieler, die sich auch anfangs aus den Zuschauern erheben. Drei schiebbare Podeste, etwas Stoff und zwei Standmikros ist ihr Begleitwerkzeug; und ein Musiker, der den Abend eröffnet und präzise immer wieder zwischen die Worte dringt.

„Sei das Wort die Braut genannt, Bräutigam der Geist; Diese Hochzeit hat gekannt, wer Hafisen preist.“ Goethes West-östlicher Divan ist eine Auseinandersetzung mit der persischen Dichtung, ein poetisches Zwiegespräch, in zwölf Kapiteln verfasst, über Land, Liebe und Religion. In seinem Spätwerk wendet sich der Dichter fremden Literaturen zu, insbesondere der orientalischen. In der Übersetzung von Josef v. Hammers las er den Divan des persischen Dichters Hafis (14. Jahrhundert) und ließ sich von ihm zum 1819 erscheinenden West-östlichen Divan inspirieren. Er baute eine Begegnung zwischen Abendland und Morgenland, vorurteilsfrei und visionär, eine Kontaktaufnahme deutsch-orientalischer, lateinisch-arabischer wie christlich-muslimischer Gedankenwelten.

Du mein/dein „Orient“! – Muslimische Bedrohung oder duftende Schönheit?

Goethe hebt sich ab von Scheu oder Abkehr gegenüber dem Anderssein, schöpft in der Schönheit der reichen Kultur des Orients. Diesen Geist des poetischen Dialogs, antasten, zuhören und antworten, sich nähern über Gebräuche und Ideen, greift die RLT-Bearbeitung auf und führt ihn fort – ins Jetzt und Heute. Am Anfang stehen sich einzelne Worte der Kulturen gegenüber, aus den Zuschauerreihen. Dann betreten die Schauspieler die „Spielfläche“ und geben Gedichten, Fragen und Wortgefechten Raum. Es wird erzählt, gesungen und angeprangert. Auch geschwiegen. Das Märchen „Der König der Schwarzgewandeten“ des persischen Dichters Nisami aus dem 12. Jahrhundert ist zu hören. Ein schwarzgekleideter Wanderer. Eine Sehnsucht erwacht – und zerplatzt. Was bleibt ist „ein Ideal, das bei der Suche einer unreifen Hoffnung verloren ging.“ Dazu Liebeslyrik. Daneben die im Westen heute weit geprägte Sicht auf den Orient als eine Welt muslimischer Attentäter. „Doch ich lache. – Immer wenn man es mir sagt.“ Und rundherum immer wieder Fragen, Fragen über Fragen: „Wer nimmt sich dem aufgewühlten Herzen an?“, „Warum hat man die Schicksalsbriefe ohne uns versandt?“, „Warum verbrennst du das Herz?“, „Was bedeutet diese große Hast?“ – „Was sollen wir tun?“ – Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Nicht an diesem Abend. Den Weg muss jeder für sich selbst bestreiten. Wenn er es wagt, nicht scheut, in seine Tiefen vorzudringen. Und so heißt es auch am Ende: „Botendienst ist Sprechen. Und damit gut.“