Das ganze Jahr dreht sich um Kirmes

23. August 2023 | Von | Kategorie: Aktuelles

Ralf Weyers

Seit knapp 30 Jahren organisiert er. Und dass Ralf Weyers noch die Seniorchefs der Schausteller-Dynastien kennt, ist für den „Kirmesarchitekt“ vom Neusser Ordnungsamt wichtige Grundlage seines exzellenten Netzwerks. Das macht vieles möglich und einfacher, verringert das Arbeitspensum aber nicht. Oft sitzt Weyers schon morgens um kurz nach 5 Uhr am Schreibtisch.

An die inoffizielle Bezeichnung „Kirmesarchitekt“ musste er sich anfangs gewöhnen, so der oberste Platzleiter. Gemeinsam mit seinem Team aus Michael Dickmanns (verantwortlich für die Wasserversorgungen), René Dienstbier (verantwortlich für Auf- und Abbau, Stromversorgungen usw.) und Ömer Yanik (Springer) stellt er insgesamt 19 Kirmesse im Neusser Stadtgebiet auf die Beine. Damit dreht sich fast das gesamte Jahr des Quartetts um unsere Volksfeste. Zurzeit trudeln bereits die Bewerbungen für 2024 von den Schaustellern ein. Für jede gewünschte Kirmes jeweils eine. Betriebshaftpflichten, Reisegewerbekarten und diverse Zertifikate gehören neben Präsentationen der Fahrgeschäfte und Stände dazu. Bis Ende Oktober reicht die Frist, dann werden die jährlich rund 2.500 eintreffenden Bewerbungen erfasst und ausgewertet. Allein das braucht sechs Wochen Zeit. Im Dezember kommt dann eine Kirmeskommission zusammen und beschließt, welcher Schausteller für welche Stadtteil-Kirmes und die beiden größten hiesigen Kirmesse, Furth und Neuss, die Zusage erhält. Bis Weihnachten laufen diese Planungen, ab Jahresbeginn werden die Verträge geschlossen. Alles in Allem dauert dieses und begleitende Prozedere bis Anfang März. Und dann? „Dann fahre ich meistens 14 Tage in den Urlaub“, lacht Ralf Weyers über die Zeit, bevor die heiße Phase beginnt, „und nach meiner Rückkehr läuft das Finetuning.“ Und das hat es in sich.

Volle Organisation voraus

Welcher Schausteller reist wann an und braucht welche Strom- und Wasserversorgung? Müssen Standorte kurzfristig angepasst werden? Welche Baustellen gibt es zu beachten? Welche Straßen müssen ab welchem Zeitpunkt gesperrt und zwischendurch freigegeben werden? All dies sind nur ein paar wenige Aufgaben, die zu erledigen sind. Eine umfassende Organisations-Spirale wird in Gang gesetzt, unter anderem involviert sind das Ordnungsamt, das Amt für Verkehrsangelegenheiten, die Stadtwerke Neuss und nicht zuletzt natürlich die Schützenvereine. „Das Verhältnis zu den Schützenvereinen ist von Wertschätzung geprägt. Wir arbeiten miteinander auf Augenhöhe. Auch in dem Wissen, dass es die Schützenvereine nicht einfach haben“, gibt Weyers zu bedenken. Umso wichtiger und höher zu werten ist der Einsatz der jeweils Beteiligten. Zum Neusser Bürger-Schützenfest sagt der Kirmesarchitekt: „Wir haben hier das größte Schützenfest der Welt, das von einem einzigen Schützenverein ausgerichtet wird, nämlich dem NBSV (Neusser Bürger-Schützen-Verein 1823). Was dieser NBSV ehrenamtlich leistet, das ist unglaublich. Das gibt es sonst nirgendwo, und das wissen die wenigsten.“

Junger Mann zum
Mitreisen gesucht

Was sich bei Weyers und seinem Team von Jahr zu Jahr stärker bemerkbar macht, ist der Personalmangel, vor dem auch die Schausteller nicht gefeit sind. Nicht nur der Betrieb von Zelten wird dadurch schwieriger. „Nehmen wir ein Fahrgeschäft, das bis dienstags auf der Kirmes in Rosellerheide steht. Das muss in der Nacht abgebaut werden und nach Holzheim zum nächsten Fest. Donnerstag wird es wieder aufgebaut, Freitag erfolgt die Sicherheitsprüfung. Das funktioniert, ja. Passiert aber etwas Unvorhersehbares, zum Beispiel ein Platten bei einem Lkw, wird es schon eng. Wo man früher sechs Leute hatte, stehen heute vielleicht drei Personen zur Verfügung. Und man kann nicht alles hydraulisch regeln. Zum Aufbau eines Riesenrads zum Beispiel braucht man Muskelkraft.“

200-jähriges Weltkulturerbe

Beim Neusser Bürger-Schützenfest ist man dahingehend aber relativ entspannt. Denn für die Betreiber großer Fahrgeschäfte ist unsere Kirmes Bestandteil eines gut planbaren 14-tägigen Dreisprungs, bestehend aus „Cranger Kirmes“ (Herne), „Neusser Kirmes“ und „Pützchens Markt“ (Bonn). Routine, Planungssicherheit und Manpower reichen aus. Kommt es dennoch zu kurzfristigen Absagen, greifen die Organisatoren auf nachrückende Bewerber zurück, die schnell und unkompliziert an Ort und Stelle sein können, zum Beispiel die Automatenbetreiber. Was alle Schausteller gemeinsam haben, ist die Bewältigung der allgemein gestiegenen Lebensmittel-, Rohstoff- und Energiepreise. Ein Beispiel: Für den Transport eines millionenschweren Großfahrgeschäfts benötigt man nicht selten drei Sattelschlepper. Hinzu kommen die Fahrzeuge für das Personal. Da kann einem schon beim Tanken schwindeliger werden, als bei der Fahrt auf dem Karussell. Insofern erwartet Weyers, dass die Schausteller einen Teil der Kosten an die Besucher weitergeben werden. Dies sollte aber die Besucherzahlen zum 200. Neusser Bürger-Schützenfest nicht negativ beeinflussen. Schon gar nicht nach dem Hinweis von Ralf Weyers: „Kirmes ist mittlerweile Weltkulturerbe“.