Mobilität und Lebensqualität für die Kleinsten

7. Mai 2019 | Von | Kategorie: Aktuelles, Familie, Neusser Leben, Titelthema

Ein Verein aus Jüchen hilft gehbehinderten Kleinkindern

In Deutschland werden gehbehinderte Kinder meist erst ab etwa zwei Jahren mit einem Rollstuhl versorgt. Viel zu spät, fand Detlef Jackels, dessen Enkelin Lina zwar nicht laufen können wird, aber schon früh voller Tatendrang war. So baute er ihr einfach selber einen ersten „Rolli“, Linas Rolli. Inzwischen ist er Vorsitzender des Vereins Lina‘s Rolli‘s e.V. und stellt diesen Spezial-Rollstuhl für betroffene Familien in ganz Europa her.

Am Anfang stand die Diagnose ‚Spina bifida‘. Das ist der Fachbegriff für eine angeborene Fehlbildung der Wirbelsäule und des Rückenmarks, auch ‚Offener Rücken‘ genannt. Davon ist in Mitteleuropa etwa eines von 1.000 Kindern betroffen, Mädchen öfter als Jungen. Die Ausprägung der Fehlbildung ist unterschiedlich stark, aber bedeutet immer eine Einschränkung der Geh- und Stehfähigkeit der betroffenen Kinder, und „viele sind ein Leben lang auf einen Rollstuhl angewiesen“, erfährt man auf der Vereins-Homepage. Während gesunde Kinder ab dem 8./9. Monat langsam mobil werden, sich drehen, anfangen zu robben, dann zu krabbeln und sich so körperlich und geistig ständig weiterentwickeln, ist das den Babys mit ‚Spina bifida‘ nicht möglich: „Die Kinder liegen meist an einer Stelle, sitzen in einem Stuhl oder in einem ‚Rehabuggy‘.“ Detlef Jackels wollte nicht akzeptieren, dass seine Ende November 2016 geborene Enkelin Lina diese wichtigen Entwicklungsstufen verpasst, da ihr kein Hilfsmittel zur Verfügung steht. „Es ist so wichtig, dass die Kinder mobil werden und aktiv am Alltagsleben teilnehmen können. Sie blühen dabei richtig auf“, sagt der 53-Jährige. Wie jedes andere Kind auch sollte die lebhafte Lina ihr Zuhause erkunden, mit ihrer Mama und anderen Kindern spielen können und überall hinkommen. Dafür haben er und seine Frau Elke alle Hebel in Bewegung gesetzt.

Der erste Rolli und mehr

„Meine Frau hat im Internet ein Video von einer amerikanischen Familie gefunden, die auch so einen Rolli gebaut hatte. Darüber haben wir dann eine weitere Familie kennengelernt, die in den USA bereits mit dem Verein ‚Bellas Bumbas‘ Betroffenen hilft. Nach ihrem Vorbild habe ich dann Linas Rolli gebaut.“ Und später den deutschen Verein gegründet. Die beiden Vereine arbeiten inzwischen zusammen und die Familien sind gut befreundet. Jackels brauchte dann für den Bau des ersten Rollis gerade einmal knapp zwei Tage. So konnte sich Lina das erste Mal mit 11 Monaten in ihren Rolli setzen. „Es hat ein, zwei Tage gedauert, bis sie den Dreh raushatte, aber dann ist sie total aufgelebt“, erzählt der stolze Großvater. Die Familie postete Bilder von Linas Fortschritten in einer Facebook-Selbsthilfegruppe und bekam schnell Anfragen von anderen betroffenen Familien. Mittlerweile hat Detlef Jackels den 101. Rolli gebaut – alle ehrenamtlich und bis auf Verpackung und Versand kostenlos für die Kinder. So hat er schon Rollis nach Großbritannien, Österreich, Belgien, Frankreich, in die Türkei, die Schweiz und sogar nach Malaysia geschickt. Die Familien müssen wohl einen einfachen Nachweis über die Behinderung ihres Kindes vorweisen. Für den Bau eines Exemplars braucht der Hobbyhandwerker mit Vorbereitungszeit etwa drei Stunden. So ist eine Bestellung meist schon innerhalb einer Woche auf dem Weg, ganz schnell und unbürokratisch. Ein Lina-Rolli besteht aus wenigen Bauteilen, die Jackels aber in Handarbeit zusammensetzt und aufwendig anpasst. „Die Räder erhalte ich von einem deutschen Unternehmen, das Kinderwagen herstellt, die Sitze kommen aus den Niederlanden und sind in drei Größen verfügbar“, so Jackels.

Die Materialkosten liegen jeweils bei 110 Euro, die durch Spenden und Patenschaften finanziert werden. Zielgruppe sind Kinder im Alter von 10 bis 36 Monaten, das sei von der Körpergröße abhängig, erklärt Jackels. Wenn ein Kind aus seinem Rolli herausgewachsen ist, gibt es drei Möglichkeiten, denn die Rollis bleiben immer im Besitz des Vereins: „Entweder werden sie an uns zurückgeschickt oder sie werden nach Absprache direkt weitergegeben oder an eine Einrichtung in der Nähe der Familie gespendet, z.B. eine Kinderklinik.“

Erfolge und Pläne

Inzwischen kann der noch junge Verein auf eine Erfolgsgeschichte blicken. „2018 habe ich im ganzen Jahr 54 Rollis gebaut, 2019 allein bis April schon 36“, sagt Jackels. Dank des steigenden Spendenaufkommens hat Jackels inzwischen Material für 10 bis 20 Rollis vorrätig. Förderlich war sicher auch die Aufmerksamkeit, die der Verein durch Fernsehberichte im WDR und bei RTL bekommen hat. Diesen Monat ist Jackels zum CDU-Landesparteitag in Düsseldorf eingeladen: „Ich hoffe, mit den politischen Entscheidungsträgern ins Gespräch zu kommen, um auf die Problematik mit den Krankenkassen und Verordnungen aufmerksam zu machen.“ Seine Motivation: „Ganz klar, Lina!“ Es ist jedenfalls eine Freude zu sehen, wie die inzwischen zweijährige Lina jauchzend und lachend hinter ihrer Mutter her rollt, um sie zu fangen. Die Familie hat einen Clip dazu auf der Homepage gepostet. Dies und alle Infos zum Verein unter:

www.linasrollis.de