Der Ruinengarten in Reuschenberg: Wo aus Trümmern etwas Neues entsteht
26. Oktober 2018 | Von Felicitas Rath | Kategorie: Aktuelles, Neusser LebenWährend wir das Wort Ruine mit Zerstörung, Krieg und Zerfall verbinden, verspricht uns ein Garten Wachstum und einen Neubeginn. In Reuschenberg entsteht derzeit ein sogenannter Ruinengarten, der beide Aspekte vereint. Die Idee hierzu hat einen sehr berührenden Ursprung.
In der Melissenstraße bewohnt Marcus Ertmer eines der typischen Häuser der sogenannten Reuschenberger Gartenstadt, die dort im zweiten Weltkrieg gebaut wurden. Entsprechend der damaligen Siedlungspolitik gehörte zu den Häusern ein großer Nutzgarten für den Anbau von Gemüse, Obst und zur Kleintierhaltung. Marcus und sein Sohn Lucas wollten aber keine Kartoffeln und Möhren anbauen, sondern hatten andere Pläne. Auf einer Gartenmesse hatten sie sogenannte Ruinengärten gesehen. Diese gefielen ihnen so gut, dass sie 2015 begannen, den eigenen Garten nach diesem Vorbild umzugestalten. Anstatt der Gemüsebeete entstand eine Rasenfläche mit Palmen und einem Olivenbaum, an Stelle des Holzzauns metzelten sie selbst eine „Ruinenmauer“ und der ehemalige Hühnerstall wurde zu einer Chill-Lounge umfunktioniert, mit einer Pergola, an der Weinreben ranken. Besonders gerne saßen Lucas und seine Freunde um die neue Feuerschale. Langsam entstand eine Wohlfühloase mit südlichem Ruinenflair …
Dieser Traum wurde jedoch jäh beendet, als bei Lucas Ertmer im September 2016 ein aggressiver Hirntumor diagnostiziert wurde. Durch das schnelle Wachstum des Tumors blieben Lucas nur noch wenige Monate zu leben. Auch Chemotherapie und Bestrahlungen konnten den Krankheitsverlauf nicht mehr aufhalten. Es begann eine schmerzvolle Zeit des Abschiednehmens, aber auch eine Zeit von großer Nähe und einem intensiven Zusammensein von Vater und Sohn. Die letzten Wochen seines Lebens wurde Lucas zuhause von seinem Vater gepflegt.
Was beiden jedoch enorm fehlte, war der Austausch mit der Außenwelt und mit Schicksalsgenossen. Offen mit anderen reden zu können und verstanden zu werden anstatt allein in den Trümmern zu stehen. Menschen aus der direkten Umgebung mieden plötzlich den Kontakt. „Es wurde viel über uns, aber nur selten mit uns gesprochen. Nachbarn wussten nicht mehr, wie sie mit uns umgehen sollten, trauten sich nicht, meinen Sohn zu besuchen. Aus dieser Erfahrung entstand mein Versprechen an Lucas, den Ruinengarten weiter aufzubauen, nicht nur im eigenen Garten sondern vor allem als digitale Plattform für Menschen mit einem ähnlichen Schicksal.“ so Markus Ertmer.
Lucas Ertmer starb am 31. März 2017 im Alter von nur 18 Jahren. Ein Jahr nach seinem Tod hat Marcus Ertmer mit dem Aufbau des digitalen Ruinengartens begonnen. Voraussichtlich ab Oktober 2018 wird diese Plattform mit Forum, Gedenkseiten, Blogs, Podcast und diversen Kontaktmöglichkeiten online gehen. Zudem wird es die Möglichkeit zu persönlichen Gesprächen über eine Telefonhotline geben sowie regelmäßige Treffen und Events. Denn der Bildschirm allein kann, so Marcus Ertmer, kein Ersatz für echte Gespräche sein. So soll auch die Türe zum Garten in der Melissenstraße regelmäßig geöffnet werden als offener Treffpunkt oder besser als offene Gartenpforte, an die Menschen anklopfen können, die sich Austausch und Unterstützung wünschen. Der Ruinengarten, sowohl der reelle als auch der digitale, soll ein Ort mit Herz von Menschen für Menschen sein. Der Name steht auch sinnbildlich dafür, aus den Trümmern des gemeinsamen Lebens von Vater und Sohn etwas Neues, Positives und Bleibendes aufzubauen. Dies war ein Herzenswunsch von Lucas.
Als erfahrener Marketingfachmann baut Herr Ertmer die Seite selbst auf. Da das Projekt dennoch mit großem finanziellem Aufwand verbunden ist, sind Spenden und Unterstützung sehr willkommen. Wer helfen möchte oder Ideen hierzu hat, findet alle Informationen unter http://www.ruinengarten.de .
Felicitas Rath