Mehr Wohnqualität für Menschen mit geistiger Behinderung: Wohnen im Wandel – mit Rücksicht auf Persönlichkeit und Gemeinschaft
1. März 2018 | Von Der Neusser | Kategorie: Aktuelles, Neusser Leben, TitelthemaVerschiedene Träger bieten in Neues unterschiedliche Wohnformen für Menschen mit geistiger Behinderung an. Am Beispiel der Wohnprojekte der Lebenshilfe Neuss wird deutlich, wie sich das Wohnen im Laufe der Zeit verändert hat und heute persönlicher Entfaltung und Aktivität Raum.
Aktuell baut die Lebenshilfe Neuss das Wohnhaus an der Theresienstraße 16 um. Der Umbau ist Zeichen des Wandels.
„Denn seit dem Erstbezug im Jahr 1978 hat sich viel getan“, so Gesine Eschenburg und Winfried Janßen, Geschäftsführer der Lebenshilfe Neuss GmbH, „im Verständnis der Gesellschaft wie auch an den Vorschriften.“
„Als 1967 Eltern von Kindern mit geistiger Behinderung die Lebenshilfe Neuss gründeten, war es ihr primärer Wunsch, für ihre Kinder Perspektiven zu entwickeln“, so Winfried Janßen. „Dabei stand die Sorge, wie die Kinder nach dem Tod der Eltern weiter unterstützt werden können, zunächst im Mittelpunkt. Der Vorläufer der „Inklusion“, das so genannte „Normalisierungsprinzip“, spielte erst ab 1974 eine Rolle.“
Die ersten Wohnprojekte
Die Lebenshilfe Neuss startete den Bereich Wohnen in Weckhoven an der Theresienstraße 18, indem Anfang der 70er ein Haus angemietet wurde, das 23 Menschen Platz in drei Gruppen bot. Genutzt wurden dafür klassische Wohnungen, die nicht gezielt am Bedarf ausgerichtet, sondern verfügbar waren. Einige der ersten Bewohner zogen aus dem St. Alexius Krankenhaus hier ein. 1978 folgte der erste eigene Bau in der Nummer 16. Bald darauf konnten auch Menschen mit einem geringeren Unterstützungsbedarf in Wohnungen der Theresienstraße 14 sowie der Alex-Schmorell-Straße ziehen.
„In den ersten eigenen Bau der Neusser Lebenshilfe flossen bereits eigene Anforderungsprofile ein. Es gab große Gemeinschaftsräume und eine Küche, die noch heute alle BewohnerInnen versorgen kann“, so Gesine Eschenburg. „Allerdings gab es bis Mitte der 90er Jahre viele Doppel- und Dreibettzimmer und keine eigenen, sondern Gemeinschaftsbäder.“
Angepasstes Wohnen für individuelle Ansprüche
„„Die Lebenshilfe Neuss entwickelte in der Folge ganz unterschiedliche Wohnangebote. Neben nunmehr fünf Wohnhäusern im ganzen Stadtgebiet entstanden ausgelagerte Wohngruppen, in denen Menschen wohnen, deren Unterstützungsbedarf geringer ist, die aber eine feste Anbindung an die Wohnhäuser haben“, erklärt Winfried Janßen. „Dazu kamen ambulante Angebote, die individuelle Unterstützung im eigenen Wohnumfeld, wie in WGs oder der eigenen Wohnung.“
Die Standards für Wohnhäuser haben sich dabei stetig entwickelt. „Doppelzimmer sind heute nur in ganz geringem Umfang zulässig“, so Gesine Eschenburg. „Bei uns wird es zukünftig ausschließlich Einzelzimmer geben – es sei denn, ein Paar wünscht sich gemeinsames Wohnen.“ Neben den neuen Vorschriften zu Größe, dazugehörigen Freizeit- und Gemeinschaftsflächen sowie dem Außengelände stehen die Vorstellungen der BewohnerInnen 2018 hoch oben im Umbauplan. „Ebenso spielt Pflegebedürftigkeit eine Rolle. Bei uns finden auch Menschen ein Zuhause, die schwerst mehrfach behindert sind. Die Pflege wird von den MitarbeiterInnen des Wohnhauses und ggf. ergänzend von unserem Pflegedienst erbracht.“
Mitbestimmung der BewohnerInnen
Das baldige Ergebnis kann sich sehen lassen: Mittels einer Aufstockung konnten vier neue Zimmer gewonnen werden. Alle 24 Bewohner werden ein Einzelzimmer mit Bad haben. Die gemeinsam genutzten Wohnzimmer bekommen einen Balkon. Zudem wurden die neuesten Sicherheitsvorschriften, z.B. Brandschutzvorschriften, berücksichtigt. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben dabei mitentschieden, wie ihr neues Haus aussehen soll. Die Flure in allen Etagen erhalten jeweils einen andersfarbigen Fußbodenbelag. Der in den Zimmern wird neutral sein, um zu allen individuellen Möbeln zu passen – vor allem auch zu den Wandfarben, die sich jede/r Bewohner/-in individuell aussuchen kann. In den ersten acht fertiggestellten Zimmern dominieren Rot und Beige. Aber auch ausgefallenere Wünsche finden Berücksichtigung: so die grüne Wand eines Benutzers, die alle bisherigen Betrachter an einen Fußballverein aus der Neusser Umgebung denken lässt.
Weitere Highlights sind das neue Pflegebad, das einen Hauch von Wellnesscharakter bekommt, ein zusätzlicher Snoezelraum (Raum für Entspannung mit Wasserbett/ Lichttherapie) und der umgestaltete Garten. „Es sollte dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich auch in Zukunft um eine Gruppenwohnsituation handelt, in der jedem Einzelnen nur begrenzt individueller Raum zur Verfügung steht“, so Gesine Eschenburg. „Insgesamt verfügt das Haus nach der Sanierung zum einen über Rückzugsräume für jeden, zum anderen über attraktive Gemeinschaftsräume und Freiflächen. Dies unterstützt den respektvollen Umgang im Zusammenleben sehr.“
Komfort, auch für die MitarbeiterInnen
Auch die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter/-innen der Lebenshilfe verbessern sich durch den Umbau. Das Haus ist beispielsweise mit moderner Technik ausgestattet, u.a. mit sogenannten Deckenliftern, um Menschen, die nicht selbstständig laufen können, zu heben.
Obwohl der Umbau im laufenden Betrieb erfolgt, die Begeisterung und die Vorfreude im Haus lassen sich nicht trüben. „Unser Architekt Ahlfs sorgt mit seinem Team dafür, dass die Baumaßnahmen im vorgesehenen Zeitrahmen absolviert werden können“, betont Gesine Eschenburg. „Die Handwerker nehmen viel Rücksicht auf den Umstand, dass die Bewohnerinnen und Bewohner auch während des Bauens vor Ort sind.“
Respekt und Rücksicht, das sind Leitgedanken der Lebenshilfe, die auch hier greifen. Aber nur der Wille führt nicht zum Erfolg. „Ohne Förderungen von NRW-Bank und Stiftungen (hier insbesondere die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW) wäre ein solches Projekt undenkbar“, erklärt Geschäftsführer Janßen. „Ohne Spenden könnten wir eine derartige bedürfnisorientierte Ausstattung nicht erreichen. Für diese zusätzlichen Mittel ist die Lebenshilfe allen Unterstützerinnen und Unterstützern sehr dankbar“, betonen beide Geschäftsführer. Denn es geht weiter, die Ziele der gemeinnützigen Gesellschaft sind ambitioniert, ein nächstes großes Projekt in Sachen Wohnen steht bereits im Startblock: Ab Frühjahr 2018 wird in Gnadental ein neues Wohnhaus gebaut – als Ersatz für die Theresienstraße 18.
Die Koordinierungsstelle
Die KoKoBe, Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungs-Stelle, beantwortet Fragen zum Thema Wohnen für Menschen mit geistiger Behinderung oder mehrfachen Behinderungen. Die unabhängige Beratungsstelle, die von der Lebenshilfe Neuss, der St. Augustinus Behindertenhilfe und der Lebenshilfe Rhein-Kreis Neuss getragen wird, erteilt Auskünfte zu allen Wohnbelangen, hilft in der Findung der geeigneten Wohnform und der nötigen Unterstützung sowie im Antragsverfahren.
KoKoBe, Erftstr. 56, 41460 Neuss, Telefon: 02131 – 133 03 22,
Claudia Pilatus