Blind, mobil und gut vernetzt

8. Februar 2017 | Von | Kategorie: Neusser Leben

Sehbehinderten- und Blindenverein auch in Neuss

„Wir nehmen 85 Prozent unserer Informationen mit den Augen auf. Steht diese Informationsaufnahme nicht mehr zur Verfügung, tut sich für die Betroffenen zunächst ein Abgrund auf. Sie fallen in ein Loch.“ Das weiß Ernst Balsmeier, seit 2009 Vorsitzender des Sehbehinderten- und Blindenvereins für den Rhein-Kreis Neuss e.V., aus eigener Erfahrung.
Er ist zertifizierter BPA-Berater. BPA steht für „Blickpunkt Auge“. Wer eine BPA-Beratung in Deutschland aufsucht, bekommt eine Beratung nach einheitlichem Qualitätsstandard auf höchstem Niveau. Das hat der Bundesverband, der Deutsche Blinden- und Sehbehinderten Verband e.V. (DBSV) in Berlin beschlossen.

.
BPA: Beratung auf höchstem Niveau
„Wer sein Sehvermögen verliert, steht vor der Aufgabe, vieles zu lernen, um Lebensqualität aufzubauen und wiederzugewinnen. Die Barriere zu einem neuen Leben, in dem das Sehen keine Rolle mehr spielt, besteht vor allem im Kopf. Wenn es gelingt, den Schalter umzulegen, wird eine ganz neue Lebensqualität möglich“, so Ernst Balsmeier.
„Wenn ich im Restaurant esse, käme niemand auf den Gedanken, dass ich blind bin. Die Sicherheit ist das Resultat eines aktiven Trainings. Wer einen Menschen mit dem weißen Langstock sich draußen bewegen sieht, kann sicher sein, dass er den nicht einfach im Internet gekauft hat. Er hat eine Schulung gemacht: Orientierung und Mobilität. Mit dem Stock als verlängertem Arm ertastet er den Boden. Der Trainer kommt mit mehreren Stöcken zu ihm nach Hause. Dann wird der Stock ausgesucht, der am besten passt. Er sollte etwa bis zum Brustbein reichen. Die Spitze kann eine Kugel oder Scheibe sein. In jedem Fall muss der Stock so angepasst sein, dass er dem Benutzer um zwei Schritte voraus Sicherheit verschafft.“
Wahrscheinlich sind jedem beim Gang durch die Stadt hin und wieder Felder mit Querrillen, Noppen oder Schienen aufgefallen. Mit dem weißen Langstock erhält der Blinde so Informationen, um sicher durch die Stadt geführt zu werden oder einfacher eine Straße queren zu können.
Neuss bietet durch den „Runden Tisch“ dem SBV, aber auch vielen anderen Selbsthilfeorganisationen die Möglichkeit, Vorschläge einzubringen, damit die Stadt barrierefrei wird.
„Wir sind keine Architekten, Ingenieure, vor allem aber keine Besserwisser“ so Herr Balsmeier. „Nur ob die sicher immer gut gemeinte Planung dem Betroffenen auch wirklich hilft, das wissen wir eben einfach besser“.
Das ist auch der Grund, weshalb die Beratung im Sehbehinderten- und Blindenverein ausschließlich von Betroffenen durchgeführt wird. Unabhängig davon, ob für die Betroffenen selbst, deren sehende Partner, Familienmitglieder oder Freunde. Die Beratung ist kostenlos. Eine Mitgliedschaft im Verein ist nicht Voraussetzung, obwohl der Verein ausschließlich von Mitgliedsbeiträgen lebt.
Ziel der Beratung ist, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die helfen, sich im Alltag möglichst selbstständig zurecht zu finden, Hilfsmittel-angebote wahrzunehmen, mit Ämtern und Behörden klar zu kommen.

.
Offenheit: Einander ohne Scheu begegnen
Die Sprachausgabe am Computer, die Farberkennung an der Kleidung, die Braille-Schrift für Menschen, deren Fingerkuppen noch sensibel genug sind: all diese elektronischen, akustischen und tastbaren Helfer sind ebenso wichtig wie der offene Umgang miteinander. „Wenn ich mich mit meinem Langstock Menschen nähere, verstummen sie oft und dann kann ich sie nicht mehr finden.“ Ernst Balsmeier weiß, dass viele im Umgang mit Blinden unsicher sind, Bedenken haben, sich falsch zu verhalten.
Um diese Barriere auszuräumen, besucht er Schulen und Gymnasien, ist immer wieder erfreut, wie die Kinder ohne Scheu fragen, wie es ist, blind zu sein. „Hier erreiche ich die Multiplikatoren für Offenheit, gegen Ausgrenzung.“
Beeindruckt ist er auch immer wieder von der Hilfsbereitschaft vor allem jüngerer Leute in der Stadt, die unbefangen fragen „Kann ich Ihnen helfen?“
Öffnung heißt auch die Parole der gesamten Blindenselbsthilfe. Im Jahr 2000 öffnete sich der Verband auch für Sehbehinderte mit einem Restsehvermögen von nur noch 30 Prozent. Seit 2012 können auch Personen Mitglied werden, die an einer Augenerkrankung leiden oder von Blindheit bedroht sind.
Den SBV Neuss erreichen Sie telefonisch unter 02131-5248138 oder per Email: info@sbv-neuss.de
www.sbv-neuss.de