Eine Welt für sich

1. Juli 2015 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Leben

Der Kinderbauernhof ist kein Streichelzoo. Das merkt man spätestens an den Bienenstöcken, die auf dem Gelände gleich hinter der Erft am Bienenhaus stehen. Zwei Hobby-Imker kümmern sich um vier Völker. Einer von ihnen ist Jannis Lambert.

Schon einmal hatte ich das Vergnügen, eine Story über Bienen zu machen. Damals stand ich mit Kollegen in einem Bienenhaus, komplett verpackt in Imkeranzüge. Andernfalls hätten wir den Zugang auch verneint. Der Imker damals, ein stattlicher Rentner, der sein Leben lang mit Bienen zu tun hatte, konnte über unsere Bedenken nur lachen. Er selbst beobachtete und bearbeitete seine Völker in völlig normaler Straßenkleidung: Jeans und kurzärmeliges Hemd. „Das piekst nur kurz, wenn die mal stechen, und dann merkt man das schon fast gar nicht mehr“, meinte der weißhaarige Imker über seine Völker. Als die Arbeiten vorbei waren, fiel mein Blick auf seinen Unterarm, der durch die Bienenstiche so angeschwollen war, dass man ihn fast als Oberschenkel hätte verwenden können. Ein bizarres Bild, das ich mir bis heute ungewollt merke. Warum ich das erwähne? Nun, um mein „Hurra-Gefühl“ zu verdeutlichen, als ich von Redaktionsseite hörte, dass ich mich erneut Bienen nähern durfte. Die sind zwar, wie ja jeder weiß, eigentlich ganz friedlich. Aber eigentlich auch nicht. Mein „Bienerisch“ ist nämlich äußerst minimal begrenzt, es reicht für die ein oder andere Tanzbewegung. Die scheinen die kleinen Honigproduzenten aber nicht zu verstehen und da sie mich auch noch nie in meiner Sprache angesprochen haben, gab es in meinem fortgeschrittenen Leben das ein oder andere Mal eine schmerzhafte Begegnung der schwarz-gelben Art– und ich spreche hier nicht von Niederlagen gegen Borussia Dortmund.

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Sie wissen gar nicht, welchen Schatz sie haben

Die Kick-ass-Brummer, die ich heute besuche, leben auf dem Gelände des Kinderbauernhofs. Jene Einrichtung, die nahezu jeder in Neuss kennt, weil er als Kind dort gewesen ist und die er deshalb verbal gerne mit einem vor Selbstverständlichkeit triefenden „ach, da“ oder einem unbegeisterten „klar, kenne ich“ belegt. Anders ist es bei Leuten, die von außerhalb kommen. Von „Kleinod mitten in der Stadt“ ist da die Rede oder von „sie wissen gar nicht, was sie hier für einen Schatz haben“. Das wissen häufig nur Eltern, die mit ihren Kindern hierher kommen und bei Weitem nicht nur den Ziegen beim Graskauen oder den Schweinen beim Suhlen zusehen. Auf dem Kinderbauernhof werden Hütten gebaut, gibt es ein Wasserlabor, wo das Wasser der Erft entnommen und untersucht werden kann, werken, backen und lernen Kinder gemeinsam mit anderen. Und hier betätigen sich auch die Älteren, indem sie zum Beispiel gärtnern oder einfach nur die Ruhe genießen. Nach dem Motto: Stiefel an, Arbeit raus, Leben rein. Ähnlich sieht es auch Hobby-Imker Jannis Lambert, der sich um eines der Bienenvölker kümmert. „Der Umgang mit den Tieren ist ein sehr guter Ausgleich zu meiner Arbeit“, so der Politikberater, „und hier auf dem wunderschönen Gelände des Kinderbauernhofs kann man wirklich einfach abschalten.“

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Kochen für das erste Jungvolk

Vor ungefähr zwei Jahren zog der heute 29-jährige aufgrund einer neuen Arbeitsstelle von Ulm nach Düsseldorf. Von einem „Kinderbauernhof“ hatte er noch nie etwas gehört und auch von Bienen hatte er keine Ahnung. Als aber ein Arbeitskollege davon erzählte, dass in der Nachbarstadt jemand gesucht wird, der sich um ein Bienenhaus und seine Bevölkerungen kümmert, war das naturverbundene Interesse von Jannis Lambert geweckt. „Ich fand das Thema spannend. Dass ich keinen blassen Schimmer von der Imkerei hatte, spielte keine Rolle. Ich habe einen Einsteigerkurs bei einem Imkerverein in Grevenbroich gemacht, die haben da richtig Ahnung. Dort bekommt man auch sein erstes Jungvolk“, erzählt mir Jannis Lambert an der Hintertür des Bienenhauses, während er den Rauchbehälter bereit macht. Sein Jungvolk ist mittlerweile zu einem Wirtschaftsvolk herangewachsen. Einmal wöchentlich hat Jannis Lambert für seine Bienen gekocht. Nicht opulent, aber immerhin. „Eineinhalb Packungen Zucker in einem Liter Wasser auflösen, das war die Wochenration. Die Bienen hätten das zwar auch ohne mich geschafft, aber so ging es ihnen besser“, berichtet er.

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Begatten und bestatten

Aus den anfänglich ca. 2.000 Bienen auf zwei Waben-Brettern wurden so über 60.000 Tiere, die sich auf zehn Waben-Einheiten tummeln, pro Kasten. „Mein Stock hat vier Kästen übereinander. Daran kann man übrigens gut von außen erkennen, ob es sich um ein Jungvolk oder ein Wirtschaftsvolk handelt. Ein Jungvolk produziert nur wenig Honig und kommt mit zwei Kästen übereinander aus. Ab dem dritten Kasten weiß man: hier wird ordentlich Honig produziert.“ Unten wohnen, oben arbeiten – das erinnert mich spontan an mein Elternhaus, wo mein Vater unterm Dach sein Büro hatte. Dass dies die einzige Gemeinsamkeit ist, erfahre ich kurz darauf vom Hobby-Imker. „Die Arbeit erledigen bei den Bienen nur die Weibchen. Die sind übrigens viel kleiner als die Männchen und können stechen. Die männlichen Tiere, die Dronen, arbeiten nicht. Sie tun nichts. Sie stechen nicht mal. Sie werden von den Arbeiterinnen gehegt und gepflegt.“ Oh, Du schöne Bienenwelt, möchte ich anstimmen. Zum Glück ist Jannis Lambert mit seinen Erklärungen schneller. „Die Dronen haben nur eine Aufgabe: die Königin begatten. Danach ist ihre Aufgabe erfüllt und sie sterben.“ Oh Mann, das ist unfair. Und dabei schafft es nicht mal jede Drone bis zur Königin. Die verlässt bei Geschlechtsreife den Stock und wartet auf die Männchen. Aber nur die schnellsten dürfen sich mit ihr paaren. Hat sie genug und man ist als Drone bis dahin nicht zum Zug bzw. zur Königin gekommen – Pech. Sobald die begattete Königin im Bau ankommt, heißt es aus der Waben-Heimat: und tschüss! Dann lassen die Weibchen die Dronen nicht mehr rein. Die Herren der Schöpfung werden rausgeschmissen und verenden in freier Wildbahn. Hört sich an wie eine Folge aus Gute Zeiten, Schlechte Zeiten. Einmal begattet, legt die Königin dann täglich bis zu 2.000 Eier und sichert so den Fortbestand ihres Volkes. Hört sich auch an wie eine Folge aus Gute Zeiten, Schlechte Zeiten.

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Im Winter rund zwanzig Grad

Ab dem Frühjahr ist Jannis Lambert mindestens einmal pro Woche bei seinem Volk, um nach dem Rechten zu sehen. Ob Bienen eigentlich Winterschlaf halten, will ich wissen. „Nein, ab und an fliegt auch bei kalten Temperaturen mal eine kurz raus. In der Regel aber bilden die Bienen im Stock eine Formation wie eine große Traube. Im Inneren hält sich die Königin bei rund zwanzig Grad auf. So gewährleisten die fleißigen Bienchen das Überleben ihrer Königin.“ Das ist auch notwendig. Eine Winterbiene hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von vier Monaten, eine Sommerbiene schafft durch den täglichen Leistungsstress des Nektarsammelns gerade mal drei Wochen, bevor sie über den Jordan summen. Nicht gerade viel. Aber zurück zu Jannis. Der nebelt gerade sein Volk mit Rauch ein. Kenne ich, zur Beruhigung. „Ja und nein. Die Bienen erkennen in dem Rauch eine Gefahr und ziehen sich in ihren Stock zurück, um sich für eine bevorstehende Flucht satt zu essen. Und da sind sie nicht anders als wir Menschen: Wenn der Bauch voll ist, werden sie träge“, lächelt Jannis. Zur Schwarmkontrolle kippt er den oberen Teil des Stocks auf die Seite. „Um zu Erkennen, ob die Bienen eine neue Königin heranziehen“, erklärt er mir. Ist das so, muss er die Wabe zudrücken. Denn kommt eine weitere Königin auf die Welt, sammelt die alte ihren Staat und fliegt aus, um sich eine neue Heimat zu suchen. Das wäre weiter nicht schlimm, wäre da nicht die neue Situation, dass das verbliebene Volk zu klein ist, um Honig zu produzieren. Aber genau das will der Imker ja. Also, nur eine Königin pro Volk. Reicht ja auch. Nicht, dass es nachher noch Gezanke um die schönste Drone gibt.

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Neue Dronen braucht das Land

Für den nächsten Schritt muss eine Wabe entnommen werden. Die Bienen sind immer noch damit beschäftigt, sich die Bäuche voll zu schlagen. Kein Wunder, dass sie nicht mehr so gut fliegen können, denke ich. „Na ja“, entnimmt Jannis eine Wabe, „so ganz geheuer ist mir die Sache immer noch nicht.“ Er hält das „Dronenbrett“ hoch. Überall summt es, fliegen die Bienen umher. Und dann beginnt Jannis auch noch die Bienen von der Wabe abzuklopfen und zu bürsten. Während ich einen taktisch wohltuenden Schritt zurückgehe, hält Jannis die Wabe tapfer fest. Wieder klopfen, bürsten. Die Bienen summen um ihn herum. Gestochen wird er aber nicht. Schließlich ist die Dronenwabe frei. Jannis deutet auf die weißen Miniatur-Larven in den Waben. Man kann sehen, wie sie sich bewegen und plötzlich ist der Gesichtsausdruck des Hobby-Imkers nicht mehr entspannt. Ich ahne, was kommt. Die Bienen tun mir leid. „Die Varroa-Milbe legt ihre Eier gerne zu den männlichen Larven in die Wabe, kurz bevor diese von den anderen Bienen verschlossen werden. Die Milbenlarven greifen dann in der Wabe die Bienenlarven an und die schlüpfen dann verkrüppelt, können zum Beispiel nicht fliegen“, erklärt mir Jannis. „Es bereitet mir immer noch ein bisschen Bauchschmerzen, das zu tun. Aber ich mache das ja für das ganze Volk.“ Die Wabe wird mitsamt der Larven entsorgt und es steht fest: Neue Dronen braucht das Land – oder besser: Volk.
Zwei Stunden sind vergangen wie im Bienenflug. Die Welt der kleinen Nektarjäger und -sammler ist faszinierend. Ein Besuch des Bienenhauses auf dem Kinderbauernhof ist sehr empfehlenswert. Wenn man dabei auch noch das Glück hat, auf Jannis Lambert oder seinen Kollegen zu treffen, umso besser. Sie freuen sich über interessierte Besucher und geben gerne auch mal spontan Einblicke in die Welt der Bienenvölker. Nur trauen muss man sich.