Streben nach musikalischer Wahrhaftigkeit

2. Juli 2012 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Er ist keiner, den man zwangsläufig kennt, selbst unter Klassikbegeisterten. Dennoch ist er einer, bei dem es sich lohnt, genauer hinzuhören: Der Komponist Heinrich Kaminski galt schon zu Lebzeiten als Individualist, als ein weltabgewandt-verzückter Ekstatiker. Seine Musik, authentisch aus innerster Überzeugung geboren, galt ihm als Zeugnis spontanen Glücks. In den Wirren zweier Weltkriege hat er viele persönliche Schicksalsschläge erlebt, dennoch seinen wenig konformen, eigenwilligen Weg gewählt. So auch in seiner Musik. Die neueste CD der Deutschen Kammerakademie Neuss unter der Leitung von Lavard Skou-Larsen widmet sich einem Teil seines Schaffens. Kaminskis „Werk für Streichorchester“ ist jetzt im CPO-Label unter der Cover-Mitgestaltung des Clemens-Sels-Museums als Ersteinspielung auf dem Markt erschienen.

Marion Stuckstätte

Mag es ein profaner Titel für eine Komposition sein, Heinrich Kaminskis „Werk für Streichorchester“ ist im Inhalt alles andere als ein schmucklos genügsames Musikgebilde. Er war ein Meister der klassischen Form, aber einer, der dem Orchester viel abverlangte. Seinen Mitmenschen ebenfalls. Er glaubte ans Mysterium der Urzusammenhänge, war ein Mystiker in weitreichender Ausprägung. Er lebte mit und für seine Musik. Sicherheiten gab es für ihn, seine Ehefrau und seine fünf Kinder wenige. Notwendige Anstellungen waren unerlässlich, aber in gewisser Weise mehr erschwerende Ablenkung. Sein musikalischer Weg gelangte ihm vor allem durch die frühe Unterstützung und Führsprache vielzähliger Mäzene. Nicht das Tun bestimmte sein Leben, sondern das Sein das Tun. Die Reinheit des Denkens und des Tuns hatte Vorrang vor allen inhaltlichen Erwägungen. Die Komposition fußte im hochgeistig transzendenten Bereich. Es sei nicht Sache der Kunst, Gefühle auszudrücken, so Kaminski selbst. Sondern: „Musik ist da, um zu klingen und lebendig zu sein. Sie stellt nichts dar. Sie ist Leben an sich.“

Kompositionslehrer von Carl Orff

Zeit seines Lebens war er von Existenzsorgen bedroht. Gelang es ihm zwar, sich im ersten und zweiten Weltkrieg dem Einsatz an der Front zu entziehen, so konnte er sich aber weder in der Kompositionslehre noch als Künstler längerfristig behaupten. Berufungen als Professor an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin oder als Dirigent des Bielefelder Musikvereins waren nicht von Dauer, auch wenn er Schüler wie Carl Orff und Reinhard Schwarz-Schilling aus seiner Meisterklasse entließ. Obwohl seine Musik zeitweise große Beachtung fand und seine Werke nach 1933 noch von großen Künstlern wie Wilhelm Furtwängler dirigiert wurden, so verschwand sein Schaffen doch letztendlich in der Aufmerksamkeit. Zeitweises Aufführungsverbot der Nazis wegen unreinem Stammbaum, der Tod dreier seiner fünf Kinder, die Erkrankung seiner Ehefrau und das spurlose Verschwinden eines weiteren Sohnes, all das musste er an Schicksalsschlägen ertragen, bis er in sich zusammenbrach und am 21. Juni 1946 starb, nicht einmal sechzig Jahre alt.

Was er hinterlässt, ist sehr bewegende, tief emotionale, dennoch nicht plakative Musik. Er ist ein Außenseiter in der Musik des 20. Jahrhunderts, aber einer, den es lohnt in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Das meinte auch dkn-Chefdirigent Lavard Skou-Larsen, als er sich entschied, Kaminskis „Werk für Streichorchester“ eine CD-Einspielung zu widmen. „Es ist ein extrem schweres Stück“, so der dkn-Chefdirigent. „Ein wahres Monster an Musik.“ Drum habe sich vermutlich noch keiner ran gewagt. Aber solche Herausforderungen mag Skou-Larsen, Neuland erkunden ebenso. Umso zufriedener ist er mit dem Ergebnis: „Ein normales Orchester kann das so nicht schaffen. Hier ist von A bis Z alles o.k.“. Intensive Proben waren ein Muss für dieses technisch extrem anspruchsvolle Werk, betont er. Wir sagen: Das hat sich gelohnt!

(CD-Ersteinspielung von Heinrich Kaminskis „Werk für Streichorchester“, erschienen im CPO-Label, zu beziehen über www.jpc.de, der dkn und dem Clemens-Sels-Museum. Covergestaltung in Zusammenarbeit mit dem Clemens-Sels-Museum.)