Fulminante Reise durch neoklassisches Tanzgeschehen

2. Juli 2012 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Bis an die Grenzen gehen, tänzerische Möglichkeit in großer Vielfalt und körperlicher Machbarkeit ergründen, das ist der Faden, der sich durch das vierteilige Ballettereignis „b.12“ zieht. Ein Abend, angereichert mit drei Meisterwerken dreier bedeutender Choreographen und dazu eine Uraufführung vom choreographischen Nachwuchs Antoine Jully, so gestaltete Ballettdirektor Martin Schläpfer die letzte Premiere dieser Saison an der Deutschen Oper am Rhein.

Marion Stuckstätte

Nach 20 Jahren kehrt er selbst als Tänzer auf die Bühne zurück, tanzt in Hans van Manens eindringlichem Liebes- und Lebens-Pas de deux „The Old Man and Me“. Seine für ihn wegweisende Choreographie „Lontano“ hat er 2009 als Gegenpart zu George Balanchines „Agon“ geschaffen. Beeindruckend die kontrastierenden Werke erstmals in einer Veranstaltung gegenübergestellt zu sehen.

In diesem Juli feiert er seinen 80. Geburtstag. Er ist einer der bedeutendsten Choreographen unserer  Zeit, ein Erneuerer des Klassischen Balletts. Eine Vielzahl an Auszeichnungen hat Hans van Manen erhalten, darunter auch außergewöhnliche Anerkennungen, wie die der niederländischen Menschenrechtsorganisation COC. Sie ehrte van Manen für die nach Freiheit strebende Kraft, die seinen tänzerischen, auch fotografischen Darstellungen von Männern und Frauen, von menschlicher Beziehung und von Sexualität so eigen ist. Ein Beweis der Feinfühligkeit und Tiefsinnigkeit seiner Werke. Ein berührendes Zeugnis seiner Kunst stellt die Choreographie „The Old Man and Me“ von 1996 dar. Sie durchleuchtet die Stationen einer Liebe, ist eine facettenreiche Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte eines Paares, von der ersten kecken Begegnung über Lust und Leid, über Hingabe und Zerrissenheit bis zum jähen Auseinanderdriften. Ein stimmungsvolles tänzerisches Glanzstück, lebhaft kantig wie sinnlich fließend zugleich und ins Feinste zur Musik ausgelotet; zum gleichnamigen Song des Bluessängers J.J. Cale und zu Klängen von Strawinskys „Circus Polka“ und dem zweiten Satz aus Mozarts A-Dur-Klavierkonzert. Im Januar überzeugte Eric Gauthier noch auf den Internationalen Tanzwochen Neuss mit diesem außergewöhnlichen Stück. Interessant, diese Choreographie im nahen Vergleich hier zu erleben. Denn keiner weniger als Ballettchef Martin Schläpfer übernimmt in der Oper am Rhein den männlichen Part, brilliert im Pas de deux mit seiner Primaballerina Marlúcia do Amaral in Ausdruck, Präzision und Authentizität. Formen, Licht, Pausen und Tempo perfekt gesetzt. Eine wunderbare Neueinstudierung, die vom Premierenpublikum verdient gefeiert wurde.

Dazu bietet der b.12-Ballettabend George Balanchine, an dem kein Weg der Tanzgeschichte vorbeiführt. Er prägte und erweiterte wie kaum ein anderer den klassischen Ausdruck im 20. Jahrhundert und gilt als Inbegriff neoklassischen Balletts. Sein umfangreiches Schaffen, insgesamt 425 Choreographien, füllt das Repertoire aller großen Compagnien. Klarheit durch Reduktion, Spannung durch Schrittversatz in Kanonstruktur und Bewegungsreichtum gestützt auf klassischer Grazie, das ist ein Merkmal seiner Arbeit. In „Agon“, eines seiner nachdrücklichsten Werke, bringt er dies zur Perfektion. Polyphone Effekte, kaum Passagen, in denen alle zugleich Gleiches tun. Zwölf Tänzer tanzen auf  zwölf verschiedenen Grundimpulsen. Doch tatsächlich werden die Passagen nicht absolut im Unisono wiederholt, sondern zu einem bannenden Tanzgefüge gebunden. Im Gegensatz dazu der Pas de deux. Hier geht es nicht um zeitliche Verzahnung, sondern um die Erforschung von Körperform und -möglichkeit. Eine extrem anspruchsvolle, akrobatische Herausforderung an die Tänzer im Spannungsfeld zwischen Zärtlichkeit und Aggression. Ein kunstvolles Changieren zwischen liebevoller Hinführung und kraftvollem Zwang in nahezu unmögliche Positionen bestimmen den Reiz dieser bekanntesten Passage aus Agon. Patricia Nearys Einstudierung spürt dem Grenzgang der Choreographie kraftvoll wie minuziös nach und lebt im vollen Umfang die pulsierende rhythmische Struktur aus.

Eine komplett andere Klang- und Bewegungswelt gestaltet Schläpfer vorab mit seiner György Ligeti-Choreographie „Lontano“. Subtil lastende, einzelne Töne legen sich auf die Bühne; düstere Klanggebilde ohne verbindlichen Rhythmus umklammern den Raum. Doch die Tänzer schneiden sich ihre Bahnen, klettern an und aus der Musik hervor. Was in zwei synchronen Pas de trois‘ aus jeweils zwei Tänzern und einer Tänzerin beginnt, zerlegt sich in Pas de deux‘, solistischen Passagen und Ensemble. Schläpfer baut Bewegung und Skulptur, fügt Strukturen ineinander, bedrängt und löst. Am Ende wieder zwei Pas de trois‘ und Tänzer, die langsam den Weg von der Bühne „bezwingen“. Nach 12 Minuten ist das Stück vorbei; die Emotionen aber hallen nach.

Wiederum in gänzlich abweichender Couleur der Beginn des Ballettabends „Inside“. Ensemblemitglied Antoine Jully präsentiert mit seiner ersten Choreographie fürs Haus eine heitere, verspielte Szenerie; eine tänzerische Malerei, die er mit Videoeinspielungen, nostalgischen Zirkusrädern und bunten Gymnastikbällen schmückt.

b.12 steht für einen Ballettabend großer Bandbreite; für Gegensätze, die den neoklassischen Raum ausloten. Eine überaus gelungene, reichhaltige Zusammenstellung mit vielen Akzenten, in kontrastierenden wie bindenden Elementen gut ausgeklügelt. Wer dies noch nicht erleben konnte, der sollte sich die Vorstellung am 2. Juli im Opernhaus Düsseldorf nicht entgehen lassen!

Nähere Infos unter
www.ballettamrhein.de

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