„Peggy Pickit“ im Rheinischen Landestheater – Menschliches Streben ins Leere

5. Juni 2013 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Roland Schimmelpfennig gilt als einer der meist gespielten Gegenwartsautoren. Zahlreiche Auszeichnungen schmücken seine Vita, wie der Nestroy-Preis oder der Else-Lasker-Schüler-Förderpreis. Sein Werk „Der goldene Drache“ brachte 2010 den Mülheimer Theaterpreis und wurde in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Stück des Jahres gewählt. Das RLT zeigt derzeit Schimmelpfennigs „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“; eine schonungslose, in Textstreifen und Gesten zerlegte Suche nach dem Sinn des Lebens. Eine kühne Schlammschlacht gesellschaftlicher Heuchelei und seelischen Selbstbetrugs plakativ und einfallsreich in Szene gesetzt.

Zwei hohe Stufen, die man erklimmen muss, alles in Weiß und von den Decken lange Bahnen Alufolie. Kühl ist die Bühne ausgestattet, grell und karg. Vier Schauspieler, zwei Männer, zwei Frauen, reihen sich mit Blick ins Publikum auf. Einer um den anderen schert aus, um eine Ohrfeige zu verteilen. So geht es los. Im Sinne auch so weiter. Satzteile, Wiederholungen, Vorwegnahmen und Aussagen im Stakkato, mal aus dem Jetzt, genauso wie aus der Zukunft oder der Vergangenheit. Die Chronologie ist aufgehoben. Hier Deutschland, dort Afrika – hier Wohlstand, dort Elend. Was kann der Mensch dagegen tun?

Ein netter Abend soll es werden. Nach sechs Jahren Auslandsaufenthalt sind Martin und Karen erstmals wieder zu Besuch bei ihren Freunden eingeladen. Sie haben gemeinsam Medizin studiert. Doch ihre Lebenswege sind weit verschieden verlaufen. Liz und Frank wohnen in einem schönen Einfamilienhaus mit ihrer Tochter, genießen Geld und Ansehen. Sie haben keine Sorgen, so scheint es, das Leben läuft. Martin und Karen gingen einen anderen, harten Weg, arbeiteten in Afrika auf einer Krankenstation, um aidskranke Kinder zu versorgen. Ein Waisenmädchen nahmen sie unter ihre Obhut, für das auch Liz und Frank aus Deutschland regelmäßig Geld und Spielzeug schickten. Doch dann kam der Bürgerkrieg und sie verließen fluchtartig das Land; und das Kind. Von Krankheiten und schlimmen Erinnerungen geplagt, versuchen sie sich verarmt wieder in Deutschland einzufinden. Auch bei ihren Freunden. Doch angenehm ist das nicht. Vorwürfe und Schuldzuweisungen gehen hin und her, Lebenslügen und Heucheleien werden freigesetzt und tiefe Abgründe offengelegt. Der Mensch in Erklärungsnot.

Realität gleicht nicht der Vision

Die Inszenierung von Katka Schroth geht hier kompromisslos vor. Die Figuren winden und regen sich, teilen aus in abrupten Wortgebilden. Was man von Roland Schimmelpfennig kennt, dass es keine Ruhe im Dialog, keinen chronologischen Textfluss gibt, setzt sie konsequent im Neben- und Gegeneinander fort. Kein Schutz für Schauspieler, auch nicht für die Zuschauer, den quälenden Gedanken und der Trostlosigkeit des Lebens zu entgehen. Mag es um Afrika thematisch gehen, der Inhalt ist der Sinn und Betrug persönlichen Strebens. Die Wahrnehmung der westlichen Wohlstandsgesellschaft steht auf dem Prüfstein und wird mit kraftvollen Mitteln aufgemischt und Bruchstück für Bruchstück auseinanderdividiert. Da tanzen sie, da singen sie, da starten sie eine Spendenaktion für Afrika. Mal Lärm, mal Ruhe. Widersprüchliche Bilder anein-andergesetzt. Dann wieder Angriff, Beleidigung und Worthülsen im Fluss. „You better close your eyes“ ertönt es schon zu Anfang. „Ich habe immer gesagt, wir können ja nicht die Verantwortung übernehmen“, dann im Laufe des Spiels.

Lösungen gibt es nicht. Verständnis auf keiner Seite. Viel Verzweiflung, die in Aggressivität und Zynismus ausufert. Und doch irgendwo, irgendwann liegen sie auf der obersten Stufe alle ineinander verschlungen zusammen. Wie Kinder am Lagerfeuer, die träumen – schutzsuchend und nach Visionen ringend. Auch nach Zärtlichkeit. Viel an lebenswertem Gefühl existiert nicht mehr. Das ist dem Leben abhandengekommen. Nur wer ist schuld?

Am Ende gleicht die Bühne einem Schlachtfeld. Schwarze Farbe, zerrissene Alubahnen, nicht nur die Optik ist beschädigt. Die Seelen sind ausgegraben. Der Mensch steht nur noch als Fassade da. Der Kampf um Wert und Wertigkeit ist verloren. Der „Gutmensch“ nicht auszumachen. Eine Inszenierung mit vielen Irritationen. Fragen bleiben und wirken weiter. Krass und ideenreich der Moment und mit Nachdruck inspirierend umgesetzt!

(Nähere Infos unter www.rlt-neuss.de)