Marc Beckers „Aus der Mitte der Gesellschaft“ im TAS: „Wer früher aufsteht, ist früher unglücklich“

11. November 2019 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Sicher ist sicher. Zufrieden ist was anderes. Und denken kann gefährlich sein. Darüber kann man mal nachdenken: „Wenn ich darüber nachdenke, was ich alles mal so wollte. Wovon ich mal so geträumt habe. Und was dann im Laufe der Zeit daraus geworden ist. Beziehungsweise, wie ich immer wieder vergesse, was für ein Leben ich eigentlich gern besitzen würde.“ – So fängt es an. Und derart geht es weiter. Denn die erste Schauspiel-Premiere im TAS im Jubiläumsjahr erzählt keine Geschichte. Hier knallen die Worte ins Publikum, verweben, verknoten und entwirren sich. Um am Ende aller Irritation, Spitzlichter auf Ohnmacht, Gleichgültigkeit und Angepasstheit zu legen. Ein toller Einstieg. Geistreich, witzig – und kurzweilig.

Paarbeziehungen halten länger, wenn die Nachbarn materiell schlechter gestellt sind. Wussten Sie das? Dann können Sie hier noch viel dazulernen. Im Theater am Schlachthof, im aktuellen Schauspiel „Aus der Mitte der Gesellschaft“. Aber fangen wir vorne an: Es ist dunkel auf der Bühne. Annähernd. Menschen sitzen da. Auf kleinen Podesten. Einer höher, einer niedriger. Und Stimmen. Von zwei Männern und zwei Frauen. Man muss sie nicht sehen. Es könnte jeder sein. Denn sie reden von Durchschnittlichkeit. Sie sind der Durchschnitt: Sie tragen durchschnittliche Socken, haben ebensolche Frisuren und sind durchschnittlich groß. Alles in allem: Sie sind Durchschnittsmenschen. Da muss man nicht viel von ihnen sehen. Die kennt man ja.

Statistisch liegt der durchschnittliche Fernsehkonsum bei zweihundertfünfzehn Minuten täglich. Gut zu wissen. Besser nicht ausbrechen und sich lieber am Maß der Allgemeinheit orientieren. Wie beim Geschlechtsverkehr, hundertachtundfünfzig Mal pro Jahr. „Tralala – Wie schaffen die das bloß alle so oft?“ Egal. Dazugehören ist gut. Ist sicher. Nicht auffallen. Nicht anecken. In Haus, Job und Familie – das sein, was andere auch haben, können – möchten. Selbst bei der Anzahl der Kinder. Wobei, hier ist es doch schwierig – 1,37 Kinder im Schnitt. Das hat seine Grenze. Dennoch mittendrin ist nicht unten aufschlagen und ist nicht oben rausfliegen. Mittendrin ist „aus der Mitte der Gesellschaft“ – und auch wenn es die Mitte heute kaum mehr gibt, die die so sicher ist, so ist es doch nicht das Schlechteste, zu ihr zu gehören…

Nicht denken, lieber trinken

„Ich strenge mich an. Ich will dabei sein.“ Auch wenn: „Ich bin geschieden.“ Unproblematisch: „Ich bin geschieden. Was normal ist.“ Normal! Das heißt dann auch, im Kopf befindet sich Durchschnittsdenken. Weil es prinzipiell günstig ist, und zu viel denken eh unglücklich macht. „Also trinke ich mir hin und wieder ein paar Gehirnzellen weg. Für meinen guten Zweck.“ 113,9 Liter Bier pro Jahr sollte es im Durchschnitt sein. „Was mir ehrlich gesagt sehr wenig vorkommt. Naja.“

So muss man eigentlich nicht grübeln. Tut es doch. Und sucht nach guter Perspektive. Denn da ist diese Frustration. Glück, das sieht man eigentlich nicht; obwohl – obwohl man aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Da stimmt dann doch wohl etwas nicht. Drum dreht sich alles im Kopf. Auf der Bühne. Bei den Darstellern. Die, die mittlerweile aus der Dunkelheit getreten sind. Liegt die Zufriedenheit gar nicht im Wesen des Menschen?

Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle gedacht

So kommen einzelne hervor und berichten. Denken doch, nur mal so versuchshalber. Suchen nach Antworten, um der Verwirrung im Kopf Ordnung anzutun. Sie treten kurz heraus, aus der Mitte der Gesellschaft, bevor sie wieder in ihr verschwinden. Dorthin, wo sie herkamen, in eine undefinierbare Mitte. Um auch das Publikum irritiert zurückzulassen.

„Wenn jeder an sich selber denkt, ist an alle gedacht.“ – Eine TAS-Auftaktpremiere zur Jubiläumssaison, die „Wahrheiten“ der heutigen deutschen Mittelschicht auf skurrile Weise durchleuchtet. In kunstvoll durchdachten Wortergüssen, aus kritisch reflektierender Perspektive und an wohldosierter satirischer Spitze. Diesmal kein Stück mit lokalem Bezug und üppigem Erzählwerk. Kein Tamtam, keine Geschichte. Schlichtweg: Ein großer Treffer auf reduzierter Szenerie!

Karten gibt es im Vorverkauf für 17 € (ermäßigt 14 €) und an der Abendkasse für 19 € (ermäßigt 16 €). Termine, Vorverkauf und weitere Infos über das Internet: www.tas-neuss.de und telefonisch unter 02131 – 277 499.