„Jackie“ von Elfriede Jelinek auf der RLT-Studiobühne – Eigeninszenierte Selbstentleerung

8. Februar 2019 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Pillbox-Hüte und Designer-Garderobe rückten sie ins Scheinwerferlicht. Kein Makel, hübsch und strahlend in jeder Situation, das zeichnete sie aus: Jacqueline Kennedy. Ihre Auftritte, dezent wie auffällig, machten sie in den 60er Jahren zur USA-Ikone. Eine schillernde Präsidentengattin mit astreiner Fassade. Schön und gebildet. Sie war die perfekte Frau an seiner Seite. Die First Lady von John F. Kennedy. Sein Blut befleckte ihr rosa Chanel-Kostüm nach dem Attentat. Aber nicht nur das trübte ihr Dasein. Seine Affären, Fehlgeburten, Totgeburt und Kindstod belasteten ihre Ehe und ihr Leben. Doch sie glänzte weiter – an der Oberfläche. Ihr Inneres gab sie nie Preis. Ein Grund für die Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ihrer Persönlichkeit nachzuspüren und den Glamour abzukratzen. Der prasselnde Monolog wird jetzt auf der RLT-Studiobühne gezeigt. Jelinek, wie man sie kennt, fordernd provokant; und lohnenswert.

Worte prallen, winden und binden sich. Mit Wucht und Schwung, im Schwall. Auf eine vernichtende Melodie eingestimmt. Kratzend an allem, was Halt gibt. „Prinzessinnen-Dramen“ nennt Elfriede Jelinek den fünfteiligen Zyklus; im Obertitel mit „Der Tod und das Mädchen“ beschrieben. Auf dem Seziertisch liegen Frauen der Gesellschaft. Abstrakte, hoch komplexe Thesentexte entspringen ihnen. Diesen Toten, deren Worte lange keine Wahrheiten mehr sind. Nur noch Fiktionen, die den dahingeschiedenen Körpern angedichtet wurden und ihnen entfließen; sie philosophisch wie brutal entleeren.

Dafür lässt Jelinek ihre „Prinzessinnen“ auferstehen. Eine von ihnen ist Jackie, Jacqueline Lee Bouvier Kennedy Onassis. Sie war die Ehefrau des 35. US-Präsidenten John F. Kennedy und spätere Frau des 23 Jahre älteren griechischen Großreeders und Milliardärs Aristoteles Onassis. Keine Ehe bescherte ihr Glück. Sie selbst starb mit 64 Jahren an Krebs. Eine schillernde Gestalt mit traurigem Inhalt. Jelinek rückt ihr in gewohnt rücksichtslos entblößender wie schamloser Art mit Sprachgewalt und kunstvollen Wortkonstrukten auf den Leib. Jackies Rückschau wandert entlang einer Schar von Leichen, angefangen bei ihren Kindern über ihren Mann bis hin zu seiner Geliebten, Marilyn Monroe. Sie steht hier als die große Rivalin. Als Gegenstück. Doch sie läuft im gleichen Muster. Das ist die Tragik. Beide sind sie stilisierte Ikonen; Jackie als die „Queen of America“, Marilyn als die „Sexgöttin“.

„Sie sehen uns, aber sie sehen in Wirklichkeit sich selbst, in uns.“

Beide sind Objekte der Begierde, Kunstfiguren, gebaut aus Klatsch und Sensationslust. Zwei Frauen wie zwei Seiten derselben Medaille, zwei Frauen wie Licht und Schatten. Marilyn ist das Licht, trägt das Vergängliche an sich, Jackie ist beständig wie der Schatten. Marilyns Kleidung lässt sie nackt erscheinen, macht sie zu Fleisch. Jackie verschwindet hinter ihrer Kleidung. Ihre Kostüme dienen der Einbetonierung ihres eleganten, liebreizenden Erscheinungsbildes.

„Ich bin meine Kleidung, und meine Kleidung ist ich.“ Jackie existiert nur durch ihre Publicity. Aber Jelinek stellt sie nicht als Opfer dar. Zumindest nicht als passives. Denn sie hat selbst an ihrer Rolle gefeilt, ihren Objekt-Status mitgestaltet. Wie gewohnt geht es der Erfolgsautorin mehr um die beschränkten strukturellen Handlungsspielräume, in denen Frauen agieren und mit denen sie sich arrangieren. Sie werden zu Mittätern und tragen kräftig zur Stabilisierung und Konstruktion des eigenen Käfigs bei. Mögen ihre Träume am Anfang stehen. Am Ende holt die Realität sie ein. In voller Härte – im Kontext von Männern, Macht und Schönheitswahn.

„Also ich markiere mich selbst wie meine Taille, die ich nicht betone. Ich trage unbetonte Kleider. Meine Taille würde durch Betonung erzeugt und gleichzeitig betont, betoniert. Ach so, nein, ich entscheide gerade Wesentliches und entscheide mich anders: Meine Taille soll nicht betoniert, sie soll eher angedeutet werden. Sie ist nicht das, was ich an mir besonders hervorheben würde.“

Glamouröse Perfektion ins Kostüm gemeißelt

Jackies Monolog im Rheinischen Landestheater beginnt mit einer Rollerfahrt. Im Kreis um die Spielfläche. Jene, die Jackie kurz darauf betreten wird. Durch eine Tür, die sie nach dem Durchschreiten nicht mehr nach außen öffnen kann. So ist die Frau im hübschen Kostüm im Inneren gefangen. Sie würgt und spuckt; und zieht einen schier unendlich scheinenden Papierstreifen aus ihrem Mund: einen Worterguss.

Nina de la Parra lässt Jackies Worte von innen wie von außen ins Publikum rasseln. Sie hämmern sich in den Raum und lassen die Frau dabei zugrunde gehen. An ihrer Geschichte. An ihrer Rolle. An ihrem Objektstatus. „Meine Kleider waren individueller als meine Sprache, verstehen Sie…“ Die Welt, sie will es so. Wer mitspielt, der kann. Als Dank ein Prädikatssiegel: First Lady forever. Mediengekrönt.

Gedanken als Kettenglieder, die sich aufreihen. Einzelteile, die sich zum Ganzen fügen. Jedes für sich arbeitet sich am Thema ab. Ein erschlagender Monolog, komplex wie spannend. Ihm auf den Fersen bleiben, lohnt. Denn es ist nicht nur Jackie, um die es geht. Geschlechter im Kampf, miteinander, gegen- und untereinander wie ineinander verwickelt. Schonungslos. Ausweglos. Und allein gelassen – nicht nur auf dieser Bühne.