„Die kurze Geschichte der Menschheit“ im RLT

18. Dezember 2018 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Hightech-Buschtrommeln im Abgesang des Homo sapiens

Auf den ersten Blick scheint es eine Erfolgstory zu sein: die Geschichte der Menschheit. Angefangen irgendwo auf dem afrikanischen Kontinent als unbedeutendes Tier hat sich der Mensch hoch gearbeitet zur herrschenden Macht des Planeten Erde. Hört sich beeindruckend an. Der Mensch, er kann sprechen, denken, Visionen entwickeln. Sein Dasein baut auf Bildung, Ehrgeiz und Fiktion. Jedes System, das er schafft, jede Wahrheit, die er proklamiert, scheint am Ende dennoch nur Hypothese und Illusion zu sein. Wie die eigene Unsterblichkeit. Gemessen am Bestehen der Erde ist seine Existenz auf dieser nur ein Wimpernschlag. Nimmt der Mensch sich da nicht doch zu wichtig? Ist er so bedeutend, so klug – oder arbeitet er nicht seit Anbeginn an der Vernichtung seiner selbst? Die Weltuntergangsrevue von Sebastian Zarzutzki im RLT nach dem Bestseller des israelischen Historikers Yuval Noah Harari nimmt sich diesen Fragen an. Schrill, provokativ und im zynischem Showcharakter.

Als Historiker, der Interesse an der Zukunft hat, habe ich eine Sorge: dass nicht künstliche Intelligenz die größte Gefahr für die Menschheit darstellt, sondern natürliche Dummheit“, lautet ein Statement von Yuval Noah Harari. Sein Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ avancierte zum Bestseller. 500 Seiten, auf denen er Errungenschaften aus rund 100.000 Jahren Menschheitsgeschichte auf wenige Kernthesen verdichtet, und den Untergang schon vor sich sieht. Denn da sind sich viele Wissenschaftler einig, das letzte Kapitel der Menschheit ist aufgeschlagen. In ca. 1.000 Jahren verschwindet der Mensch.

Von der Keule zur Atombombe

Selbst schuld, mag mancher sagen. Die Mehrheit gibt sich irritiert. War es nicht der Mensch, der in derart kurzer Zeit „Unglaubliches“ geschaffen hat? Der Mensch hat Macht. Beherrscht. Die Keule war gestern, die Atombombe steht bereit. Weltumrundungen dauern keine Ewigkeiten, und die Erde, sie lässt sich mittlerweile aus Perspektiven anderer Planeten betrachten. Dennoch Klimawandel, Antibiotika-Resistenzen und nukleare Waffen verkünden unaufhaltsame Katastrophen. Der Mensch besetzt die Erde und regiert – mit Irrsinn. Beutet aus, greift ein und rodet. Höher, größer, weiter, schneller: Das Zeitalter der Optimierung bereitet den Untergang der Spezies.

Keine leichte Kost, die Menschheit auf dem Leuchttisch – gefasst in einen Film in rasender Geschwindigkeit. Aber hier auf der RLT-Bühne wird sie in Manier der Rocky Horror Picture Show durch Songs und knallig bunte Pfeilspitzen entblößt. Vier Gestalten, krass kostümiert, frisiert und angemalt, mit stechendem Blick und kreischenden Sounds, verheißen das Ende. Aber fangen wir am Anfang an. Am Anfang der Menschheit. „The Final Countdown“ ist angestimmt, das Höllenfeuer wirft schon Rauch. Doch noch erzählt man vom ersten Schritt, von der Errungenschaft des aufrechten Ganges. Die Party kann beginnen.

Der Hochmut vor dem Fall

Wir befinden uns in einer Höhle vor rund 300.000 Jahren. Mag sein, dass bereits da die Weichen ins Verderben gestellt wurden. „Bei uns musste jeder alles können“, berichtet ein Steinzeitmensch, der zum Hightech-Alien mutierte. Schließlich ging es ums Überleben. Wie auch bei der ersten Hirn-OP; vor etwa 7.000 Jahren, mit gespitztem Feuerstein. Ein Erfolg! Jede Entwicklung ist ein Gewinn; und ein Verlust – aber da sind wir noch nicht. „Sweet Dreams“ ertönt übers Mikro. Mit dem Träumen puscht sich der Mensch. Und mit dem Glauben ebenso.

In der Show ist man im Film der Menschheit ein Stück weiter. Der Mensch ist sesshaft geworden. Besitz ergreift Besitz. Und bahnt den Weg zum Größenwahn. Man ist in Babylon angekommen, König Hammurabi lässt grüßen. Doch da ist immer dieses irritierende Element, die Grauzone zwischen Fiktion und Wirklichkeit. So passt Babylon gut hinein. Gab es den Turm zu Babel wirklich, oder ist er nur Teil des Alten Testaments? Ein Turm, so hoch, dass er bis in den Himmel ragte. Ein Monument, mit dem sich der Mensch mit Gott auf Augenhöhe zu begeben wagte. – Gott missfiel es und zerschlug das Volk.

Der Mensch ein Hauch von Nichts

Gesetze, Rechte, Kartenhäuser und Hirngespinste – und Gewalt, die das System zusammenhalten soll. „Gott ist tot“ schallt es in den Raum. „Wir sind ein Erfolgsmodell.“

Längst hält es die Darsteller nicht in den Grenzen der Bühne, die sich teils selbst zerlegt. Sie tigern durch die Reihen, zischen ihre Prophezeiungen ins Volk. Der Mensch, in Glitzer und Glimmer gepackt und bis zur Unkenntlichkeit überschminkt, trommelt wie einst auf den Boden und ruft ins Leere die Apokalypse herbei.

Sebastian Zarzutzki setzt Extravaganz gegen Ohnmacht. Seine „überspannte Untergangsrevue“ ist ein exzentrisch wilder Tanz um den Abgrund, an Live-Musik, die den Bogen zwischen den akzentuierten Denkanstößen der 80-minütigen Aufführung spannt.

Der Vorhang fällt. „Die Welt, die wir geschaffen haben, überfordert uns.“ Hinter ihm alle Akteure begraben. Waren sie noch so laut, so wild, so unbeherrscht. Vom Einzeller zum Zerstörer. Die Geschichte nimmt ihren Weg. Und rauscht an der Menschheit vorbei.