„Die Jüdin von Toledo“ im Rheinischen Landestheater : Opfer für den trügerischen Frieden

23. März 2018 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Verschiedene Religionen, Rollen und Prophezeiungen – der Mensch wird in eine Welt geboren. Ob er selbst seinen Weg bestimmen kann? „Die Jüdin von Toledo“ von Lion Feuchtwanger spielt im 12. Jahrhundert. Doch die Fragen, die der 1954 veröffentlichte Roman aufwirft, sind von heute. Genau diese greift Moritz Peters in seiner Inszenierung am Rheinischen Landestheater auf und bringt Geschichte und Gegenwart auf den Punkt. Er untergräbt die scheinbar unantastbaren soliden Unterbauten der Kulturen. Die Figuren lässt er denken, auch hinterfragen, doch ihrem tragischen Lauf können sie sich nicht entziehen. Als sei da ein großes Ganzes, eine alles überlagernde Kraft, die beständig von außen wirkt. Egal an wen sie sich richtet. Und eine Geschichte, die sich unter dieser zwangsläufig zuzieht, als gäbe es keine Auswege im Kampf der Menschen – sich zu bekriegen.

Lion Feuchtwanger, selbst Flüchtling und Jude, war ein bekannter, im 20. Jh. viel gelesener Geschichtenerzähler. Ein Intellektueller, links orientiert, einer aus wohlhabenden Verhältnissen, die er auch im späteren Exil nicht missen musste. 1884 in München als Fabrikantensohn einer jüdisch-orthodoxen Familie geboren, entdeckte er früh seine schriftstellerische Neigung. Die Gefahren eines Adolf Hitlers und die einer heranwachsenden NSDAP erkannte er vorausseherisch. Seine Kritik ließ ihn rasch in den Fokus der Nationalsozialisten kommen, denn er galt ihnen als einer ihrer geistigen Hauptgegner. So folgte die frühe Flucht, bereits 1933 nach Frankreich, die ihn jedoch 1940 als „étranger indésirable“ (unerwünschter Ausländer) in das Internierungslager „Les Milles“ führte. Mit Hilfe des amerikanischen Konsulates von Marseille endete seine unfreiwillige Reise in den Vereinigten Staaten. Bis zu seinem Tod 1958 lebte er in Kalifornien.

Anschein und Innenleben

Durch die hohen Auflagen seiner Bücher und durch die Verfilmung dieser hatte er zeitlebens ein gutes Auskommen, auch ein Sprachrohr. Dennoch war er ein Heimatloser – ein Andersdenkender. Nach dem Krieg wurde er als Linksintellektueller ebenso von den US-Behörden der McCarthy-Ära beobachtet, nicht zuletzt wegen Theaterstücken wie „The Devil in Boston“ von 1947. Am Lebensende befasste er sich wieder mit jüdischen Themen. In seinem Roman „Die Jüdin von Toledo“ hat er auf der Grundlage historischer Ereignisse seine Erfahrungen und die Brüche seines Lebens verarbeitet.

Die Geschichte: Spanien im 12. Jahrhundert – christliche Spanier und islamische Mauren teilen sich das Land. Es herrscht ein unsicherer Frieden zwischen dem weit entwickelten muslimischen Süden und dem katholischen Norden des Landes. Die jüdische Bevölkerung kann ihren Glauben nur unter christlicher Herrschaft ausüben. Daher ist der angesehene Kaufmann Jehuda Ibn Esra mit seiner Tochter Raquel nach Toledo gekommen. Dank seines Geschicks und seiner methodischen Anpassungsbereitschaft tritt er als Minister in die Dienste des kriegsfreudigen Königs Alfonso. Hier gelingt es ihm, die wirtschaftliche Lage des Königreiches entscheidend zu verbessern. Durch geschicktes Taktieren vermeidet er einen Krieg gegen die weit überlegenen Mauren. Doch dann verliebt sich Alfonso in Raquel und die Tragödie nimmt ihren Lauf. Der Machthaber von Toledo baut ihr ein Liebesnest, vergisst Amt, Aufgaben und Stellung und provoziert seine einflussreiche Ehefrau Eleonore. Diese weiß, die Fäden zu ziehen und das Kriegshandwerk zu beleben. Mag Jehuda die Verbindung seiner Tochter mit dem König anfangs noch diplomatisch nutzen und diese für eine Politik der Mäßigung einsetzen, so gleiten ihm seine scheinbar intelligenten Machenschaften, auch Errungenschaften für die flüchtigen Juden, mehr und mehr aus der Hand. Dem idyllischen Frieden drohen die geschärften Schwerter. So wird der Sohn, den Raquel Alfonso schenkt, kein Bindeglied, sondern alsbald zum Feuerball. Der Krieg ist entfacht, offenbart sich als nie erloschen, sondern nur zeitweise unter Kontrolle gehalten. Ein Jehuda hat sich und seinen Einfluss deutlich überschätzt. Und muss dafür büßen.

Ritterskraft im Liebesnest

Es ist ein tragisches Stück, das dem Abgrund entgegen tänzelt. So sehr die Menschen agieren und operieren, sie unterliegen einem scheinbar höheren Gesetz, das sie auf fatale Wege zwängt. Diesen Gedanken greift Moritz Peters in seiner RLT-Inszenierung gekonnt auf. „Spielen wir Rollen? Entsprechen wir nur unserer Prophezeiung? Unserem Auftrag? Oder sind wir im Strudel aus Religion, Krieg, Wirtschaft und Liebe frei, unsere Entscheidungen selbst zu fällen und die Verantwortung für sie zu übernehmen?“, so sein Ansatz, mit dem er das Stück aus dem 12. Jahrhundert ins Hier und Jetzt holt.

Eine packende, in der Geschichte, in szenischen Einfällen wie in der Übertragung bindende Bühnenarbeit, die Akzente setzt und Grausamkeiten aufdeckt, ohne sich im Detail zu verlieren. „Eine Unze Frieden ist mehr wert als eine Tonne Krieg“, erklärt Raquel. Und übt sich noch im Aufwiegen. Doch so leicht lässt sich die Rechnung des Lebens nicht aufstellen. Die emotionsgeladenen Religionsvertreter, die den Lauf von zwei Seiten durchleuchten, sind der Skepsis näher. Denn die Spannungsbögen sind enorm: die Ritterskraft im Liebesnest, eine Sicherheit an Goldbarren geschnürt und fesselnde Familienbanden, die sich im Tauziehen befinden. Die Distanz der Religionen scheint hierhinter bedeutungslos. Alle Netzwerke sind an zarten Fäden gewoben. Da wo der Argwohn beginnt, zerstört sich Kultur – egal welche. Und das Lust-, Luft- und Hoffnungsschloss zerbricht.

Marion Stuckstätte