Kai Hensels „Glück im 21. Jahrhundert“ im TAS: Angst vor außen von innen gepflegt

7. März 2018 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Da ist dieses Unbehagen, trotz Glück. Job, Familie, Haus – gar Reichtum – was will man mehr. Zudem herrscht Frieden und Demokratie. Da dürfte kein Zaudern, kein Verzagen sein. Dennoch will sich der Genuss des Lebens nicht richtig einstellen. Die Ängste sind groß, die Gefahren lauern außen. Schließlich stehen die „Fremden“ vor der Tür und wollen einem ans Geld. Der erfolgreiche Bühnenautor Kai Hensel lässt auch in seinem Stück „Glück im 21. Jahrhundert“ kein heiles Haar am alltäglichen Treiben des modernen Wohlstandsmenschen. In gewohnt bissig überspitzter Form rückt er der „funktionierenden“ gutgestellten Kleinfamilie auf den Leib; und entlarvt den Wahnsinn ihres Strebens. Marika Rockstroh bringt das Stück mit Schwung und Schall auf die Bühne des Theaters am Schlachthof.

Wie ist das mit dem Glück? Wer ist glücklich – darf es bzw. sollte es sein? Lässt sich Glück definieren, ja, nein – „jein“? Na ja, gehen wir mal von den äußeren Faktoren aus: Einkommen, Familien- sowie Wohnsituation, dazu die wirtschaftlich und politische Lage im Lande, da dürfte das Murren und Knurren sich eigentlich in Grenzen halten. „Näher am Paradies kann man auf diesem Planeten kaum leben. Eine stabile Demokratie. Ein Rechtsstaat, der auch die Schwachen schützt. Eine immer noch starke Wirtschaft… Warum sind wir nicht glücklich?“, fragt der Autor Kai Hensel und wirft „einen Blick auf einen besonders sonnigen Flecken dieses Paradieses“, auf die wohlsituierte, gebildete und optimierte deutsche Kleinfamilie. Da wäre der Vater Johann, der in gehobener Position im Finanzbereich arbeitet. Dazu kommt Anne, seine Ehefrau. Sie ist – noch immer – attraktiv, kümmert sich liebevoll um Kind, Haus und Garten und hat Erfolg als Model, präzise als Fußmodel. Eigentlich braucht die Familie Annes Geld nicht, aber sie lockt die Herausforderung. Die Tochter Jasmin haben beide gut im Griff, überspringt diese doch bereits Klassen in der Grundschule, spielt Geige und hält sich brav von allen Gefahren des Alltags fern. „Wer sein Kind liebt, der schützt es vor anderen.“ Denn: „Eltern im 21. Jahrhundert müssen andere Wege suchen.“ Schließlich lauern die Gefahren überall. Tödliche Viren, fatale Religionen, neidende Zuwanderer – da kann man nicht vorsichtig genug sein. „86,9 Prozent der Menschheit sind weniger glücklich als wir“, weiß Johann. Da müssen Menschen auf der „Überholspur des Lebens“ Familie wie Hab und Gut schützen. Um die eingezäunte Wohnanlage mit Kameras, Wachtürmen, Stacheldraht und Sicherheitspersonal kommt der verantwortungsvolle Vater nicht herum. Freiheit braucht Schutz.

Heile Welt an der Rasierklinge

Alles ist perfekt. Das Haus vielleicht etwas zu groß. Aber damit kommen sie klar. Johanns Büro ist im 18. Stock. Kann Angst machen, tut es aber nicht. Schließlich ist Johann da ganz oben angekommen. Auch das ist Freiheit. Sie alle, sie fahren der Masse davon. Und sie sind stolz darauf. Meistens. Nur wenn es scheint, dass sie keiner drum beneidet, dann schmerzt es irgendwie. Aber in der Regel bekommen sie es nicht mit. Ihr Schutzraum ist sicher.
Und doch im „Schatten des Glücks“ macht sich Unbehagen breit. Denn „auch böse Kinder werden groß“, da lässt sich wenig ausrichten. Und vielleicht sind andere doch noch glücklicher. Die Sorge lässt das Spiegelbild beschlagen und zudem sind viele Ängste immer mit an Bord. Solche vorm Versagen und andere vor der Sinnlosigkeit. Doch lassen sich handfestere Probleme besser angehen: der Sozialneid oder die Infektionsgefahr. Und natürlich der Terror, der dann auch greift.
Kai Hensels Stück, das 2007 in Wien uraufgeführt wurde, ist ein amüsant böser Beitrag zur Wertediskussion, der sich lustvoll leidenschaftlich in die klaffenden Wunden einer konsumverwöhnten Industrie 4.0-Gesellschaft bohrt. Der Autor setzt sein Seziermesser präzise im Gewebe an, um Schicht für Schicht „abgestorbenes“ Gewebe freizulegen.
So taucht man auch im TAS beschwingt in die Geschichte ein. Allerdings wird der Zuschauer mit Absicht immer wieder dem Schmunzeln entzogen, wenn im Irrsinn der Protagonisten eigene Wahrheiten des Lebens zutage treten. Ob der Mensch – im Stück wie im Theatersaal – am Ende dem Glück näher rückt, diese Antwort gibt die Satire nicht. Einfach ist es eben nicht, diese Sache mit der Zufriedenheit. Aber man kann drüber nachdenken…

Der Premierenabend im Theater am Schlachthof brachte viel Applaus. Und das berechtigt. Ein raffiniertes Stück, gut umgesetzt und besetzt, weder zu dick noch dünn aufgetragen. Die Illusion der heilen Welt wird lustvoll an scharfen Kanten abgewetzt. Regie und Bühne wissen hier gut, Akzente zu setzen und die Heiterkeit in nachdenkliche Stille zu ziehen. Hingehen empfehlenswert!

Marion Stuckstätte