Barfüßiger Tanz der Seele

9. Februar 2018 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Foto Brigid Pierce

Martha Graham Dance Company aus New York zu Gast auf den Internationalen Tanzwochen:
Einem glücklichen Zusammenwirken mit dem Holland Dance Festival und der Oper Bonn ist es zu verdanken, dass die berühmte Martha Graham Dance Company aus New York zum zweiten Mal bei den Internationalen Tanzwochen Neuss zu Gast ist. Am 17. Februar 2018 steht die „Dark Meadow Suite“, die Highlights aus einer längeren Arbeit von 1946 der legendären Compagnie-Gründerin zeigt, auf dem Programm. Dazu wird das kurze Solo „Ekstasis“ von 1933 und Martha Grahams außergewöhnliche Choreographie „Chronicle“ zu sehen sein. Letztere schuf sie im Zuge ihrer vehementen Absage an Hitler, der die Grande Dame des Tanzes mit ihrem Ensemble für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 1936 in Berlin gewinnen wollte. On top präsentiert die amerikanische Truppe Gegenwartskunst ebenfalls bedeutender Handschrift: die brandneue Choreographie „Mosaic“ von Sidi Larbi Cherkaoui.

1894 wurde Martha Graham in Pennsylvania geboren. Ob es am Beruf ihres Vaters lag, einem Arzt der Psychiatrie, oder an ihrer klugen, belesenen und in die tiefe forschenden Persönlichkeit, wer will das wissen. Klar ist, dass sie sich gern und stetig bis auf den Grund menschlicher Gemütszustände durcharbeitete, um das Wesen der Dinge zu erfassen; um den Antrieb, die Emotion und die Haltung der Menschen in verschiedenen Situationen, Beziehungen und Kulturen zutage zu bringen.
„Ich möchte nicht verstanden, sondern gefühlt werden“, lautete der künstlerische Anspruch Grahams, die selbst das klassische Ballett von Grund auf gelernt und perfektioniert hatte, bevor sie den Tänzerinnen den Spitzenschuh auszog und sie mit bloßen Füßen die Bühne einnehmen ließ. 1926 gründete sie in Manhattan die Martha Graham School of Contemporary Dance, aus der später die Martha Graham Dance Company hervorging. Eine Truppe, die unbeirrbar und stringent die Standardisierungen des klassischen Balletts sprengte, vorgefestigte Bewegungsabläufe auflöste und dem Gefühl den bedingungslosen Vorrang gab. In immer neuen Versuchen der Selbsterforschung entwickelte Graham ihr Spektrum der Tanztechniken auf den grundlegenden Bestandteilen der An- und Entspannung sowie des Atemflusses. Heute gilt der Bewegungsschatz der Graham-Technik, der sich durch Kraft, Dynamik und schroffe, spannungsreiche Motorik auszeichnet, als elementare Basis des Modern Dance.

Ausdruck von Leidenschaft, Leid und Leben

Sie war eine Tanzrebellin mit eigenen klassischen Wurzeln. Ihr Antrieb war die Überzeugung. Ihren wachsenden Ruhm nutzte sie, um Zeichen gegen Unrecht, Unterdrückung und Rassendiskriminierung zu setzen. So wundert es nicht, dass sie der Einladung Hitlers, die Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin mit zu gestalten, mit einer deutlichen Absage begegnete. Und mit künstlerischem Schaffen. In dieser Zeit ist ihre Choreographie „Chronicle“ entstanden, eines ihrer herausragenden Werke, das auch in Neuss am 17. Februar zu sehen sein wird. Zudem zeigt das bekannte Ensemble noch die „Dark Meadow Suite“, die sich aus Ritualen Mexikos und den südwestlichen US-Staaten nährt, und „Ekstasis“ aus dem Graham-Repertoire.

Geschichte und Gegenwart

181 Werke schuf die bewundernswerte Lady des Modern Dance. Ihre letzte Bühnenvorstellung gab sie mit 75 Jahren. Bis zu ihrem Tod vor 27 Jahren, kurz vor ihrem 97. Geburtstag, choreografierte sie noch. Sie hat fast 100 Jahre gelebt, hat die Tanzgeschichte geprägt, aber auch Welt bewegt. Doch die Truppe unter der Direktion von Janet Eilber der 1991 verstorbenen Altmeisterin steht nicht nur dafür ein, das Erbe zu pflegen, sondern auch dafür, Neues auf den Weg zu bringen. So darf man sich zudem auf ein taufrisches Werk des Ausnahmechoreographen Sidi Larbi Cherkaoui freuen. In „Mosaic“ erforscht er das Geheimnis der Ästhetik des Orients.
(Nähere Infos unter http://www.tanzwochen.de)

Marion Stuckstätte