Von Wundern aus Wäldern und der Sehnsucht nach Geld

13. Oktober 2017 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Das kalte Herz“ im Rheinischen Landestheater: Eine ungewöhnliche Auftaktpremiere hat sich die RLT-Hausherrin zum Saisonstart 2017/18 erwählt: „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff aus dem Jahr 1827 in einer jungen Bühnenfassung von Rebekka Kricheldorf. „Ein Kunstmärchen mit Musik“, so lautete die Ankündigung von Bettina Jahnke über diese Regiearbeit, ihre letzte am RLT. Märchenhaft, fantasievoll und kulissenprächtig dann auch die Realisation. Ein Glasmännlein, das als kluger, Waldkauz brilliert. Ein Peter Munk als armer, verrußter Köhler, der sein Herz für Reichtum und Ansehen verkauft – und auf der Bühne glänzt. Dazu Livemusik und der Lauf von Gut und Böse. Wie ein Gemälde mit Performance setzt sich das Werk zusammen, schillernd, markant gespielt, auch überzeugend im Gesang.

Da hocken sie auf zwei Bäumen im Schwarzwald, zwei Geister mit Macht und Wunderkraft: der Holländer-Michel und das Glasmännlein. Der eine verkörpert das Böse, den Teufel und die Verlockung. Der andere steht für Vernunft. Mit beiden wird Peter Munk zu tun bekommen. Er ist ein armer Kohlenbrenner, wird verhöhnt und hat keine Chance auf ein besseres Leben. So zieht er in den mystischen Wald, um als Sonntagskind vom Glasmännlein beschenkt zu werden. Und in der Tat, er findet es und hat drei Wünsche frei. Peter sprüht vor Forderungen, die sich alle um Vermögen und Prestige drehen. So will er unter anderem so toll tanzen können wie der Tanzbodenkönig, immer so viel Geld in der Tasche haben wie der reiche Ezechiel, eine Glasbläserei besitzen, eine Kutsche, ein Pferd und vieles mehr. Doch das Glasmännlein unterbricht seine Wunschflut und mahnt ihn das Richtige zu wünschen. Was Peter nicht versteht. „Verstand“, so schimpft das Glasmännlein erbost und schockiert. „Wünsch dir Verstand!“

Er schickt Peter mit einem Sack voll Geld und der Gewährung der erstgenannten Wünsche fort und hebt einen dritten Wunsch für ihn auf. Er solle das Wirtshaus meiden und sein Geld nicht verprassen, mahnt er noch. Erreichen tut er Peter nicht. Der protzt mit Reichtum, verzockt sein Geld und ruiniert die gekaufte Glasbläserei. So rasant er zu Geld kam, so schnell verliert er es. Und da das Glasmännlein keinen Taler mehr für ihn herbeizaubern will, lässt sich Peter auf die dunklen Machenschaften des Holländer-Michels ein: Er überlässt ihm sein Herz und erhält dafür an gleicher Stelle einen Stein. Und Reichtum, unbegrenzt.

Märchenabenteuer mit skurrilen Figuren

Ein guter Deal, die störenden Emotionen obendrein noch abgelegt. Schulgefühle und Sentimentalitäten gehören der Vergangenheit an. Die Mutter will er nicht mehr erkennen und wirft sie aus dem Haus. Das schönste Mädchen im Dorf, Lisbeth, wird seine Ehefrau. Nur erschlägt er sie, da sie das Almosenspenden nicht lassen will. Und erst als das Glasmännlein droht, ihn ableben zu lassen, macht er sich auf den Weg, sein Herz zurückzugewinnen. Jetzt mit Verstand.

Gezeigt wird ein phantastisches Märchen mit Geistern, redlichen und lasterhaften Menschen. Mit Versuchung, Dummheit und Gier. Eine frühe Kapitalismuskritik, so steht es im Programmblatt. Doch dafür ist es zu simpel gestrickt. Dennoch versprüht es einen märchenhaften Zauber, denn die Rollen sind „zauberhaft“ besetzt und die Darstellkunst betörend. Allen voran Johanna Freyja Iacono-Sembritzki. Ihr Glasmännlein tänzelt die Bäume hoch und runter, flink, verschlagen und „kauz“-genial. Ein Hingucker, eine wunderbare Kunstgestalt! Auch Josia Krug als Peter Munk versteht das Publikum zu bannen, sowohl im Spiel wie im Tanz. Seine Gesangseinlage „Ooh du hübsches Ding, ich versteck meinen Ehering“ mit dem Tanzbodenkönig (Richard Lingscheidt) von Seeeds berühmten Song „Ding“ ist ebenso gelungen wie Anna Lisa Grebes (in der Rolle der Lisbeth) „Liebe ist alles“ von Rosenstolz. Dazu kommt eine Bühne, die bestechend ins magische Reich entführt. Eine Galerie rot pochender Herzen ziert die stählerne Wand, deren zwei Tore sich in grelle bunte Welten öffnen. Davor der schummrige Schwarzwald mit den kahlgefressene Kletterbäumen in bedrohlich grün-blaue Dunkelheit gepackt.

Die letzte Inszenierung als RLT-Intendantin von Bettina Jahnke – die in der kommenden Saison die Führung des Hans-Otto-Theaters in Potsdam übernimmt – ist ein Augenschmaus, in der Faszination eines kunstvoll gestalteten Fantasyfilms. Leichte Unterhaltung im Zeitgeist, anspruchsvolle Untertöne sucht man vergebens. Aber eine bezaubernde Märchen-Show, perfekt und farbenprächtig in Szene gesetzt.

(Nähere Infos unter http://www.rlt-neuss.de)

Marion Stuckstätte