Letzte Premiere der RLT-Intendantin in Neuss

8. September 2017 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Spielzeitauftakt am Rheinischen Landestheater: Sie kam vor acht Jahren mit Elan, Kampfgeist und einer Menge beeindruckender Ideen – und entsprechend wirkungsvollen Inszenierungen. Die Auseinandersetzung mit dem Publikum ist ihr wichtig. Ihr reger künstlerischer Geist und tiefe Reflexion ebenso. Bettina Jahnke hat während ihrer Intendanz am Rheinischen Landestheater deutliche Akzente gesetzt. Jetzt präsentiert sie ihre letzte Premiere fürs hiesige Schauspielhaus, denn ab der Spielzeit 2018/19 hat Jahnke mit der künstlerischen Leitung des Potsdamer Hans-Otto-Theaters eine neue, große Herausforderung angenommen.

Mit „Wie im Himmel“, einer musikalischen Bühnenbearbeitung des erfolgreichen schwedisch-dänischen Filmdramas stieg Bettina Jahnke zur Spielzeit 2009/10 als Intendantin am RLT ein. Mit einer großen Geschichte, sanften Klängen und klirrenden Untertönen. Das ist ihre Handschrift, von dieser sollten wir in den kommenden Jahren noch deutlich mehr erfahren. Sie hat ein Faible für epische Stoffe; selbst für jene, die man glaubt nicht auf die Bühne bringen zu können. Mit den „Nibelungen“ als Gesamtwerk eine Saison zu eröffnen war gewagt, auch anstrengend, aber zugleich ein großes Theaterereignis. „Hiob“, „Das Himbeerreich“ oder „König Richard III.“ gehören zu den Glanzleistungen ihrer Amtszeit in Neuss und weisen aufs Spektrum. Was Jahnke anfasst, wird in saubere Form gegossen, sei es sperrig, sei es aus einer anderen Zeit oder schwierig auf der Bühne vorstellbar. Denn gerade das ist kein Hindernis, sondern der besondere Reiz. Dafür schätzen wir sie, deswegen lassen wir uns auf ihre Wege ein, auch wenn sie uns von den eigenen Vorstellungen wegführen. „Ich erforsche gerne Neuland“, sagt sie. Und: Sie sei nicht missionarisch beeinflussend unterwegs. Auch das ist erkennbar. Vielmehr ginge es ihr ums Aufrütteln und darum, eine andere Sicht auf Eingefahrenes zu eröffnen. Schlichtweg um den Dialog. Mit sich, mit dem Ensemble – und dem Publikum. Dummheit, das sei das Schlimmste, was man ihr entgegenbringen könne, hat sie mal gesagt. Das kann so alleine stehen.

Hans-Otto-Theater Potsdam
als neue Wirkungsstelle

Jetzt allerdings müssen wir uns – und das nicht ohne Wehmut – von ihr als Hausherrin am Rheinischen Landestheater verabschieden. Sie hat eine neue, große Herausforderung gefunden. Wer mag es ihr übel nehmen, im Gegenteil, man sollte sich für sie freuen. Denn die Intendanz des Potsdamer Hans-Otto-Theaters, die sie mit der Spielzeit 2018/19 übernimmt, ist ein guter Schritt nach vorne. Rund 20 bis 22 Neuproduktionen bringt das Schauspielhaus je Saison raus. Mit etwa 600 Veranstaltungen pro Spielzeit ergibt sich ein beachtlicher Umfang, der den des hiesigen Landestheaters ums Mehrfache übersteigt. Hinzu kommt, dass sie sich Richtung „Heimat“ bewegt. Denn die 53-Jährige ist in Wismar geboren und in Rostock aufgewachsen.

So hat man sie hier für diese Chance vorzeitig aus dem Vertrag entlassen und den jetzigen Chefdramaturg Reinar Ortmann für die Spielzeit 2018/19, die schon gemeinsam vorkonzipiert wurde, als Interimsintendant benannt. Eine Findungskommission aus Vertretern des Trägervereins, der Stadt Neuss, des Landes NRW und des Deutschen Bühnenvereins wird in dieser Zeit mittels Auswahlverfahren die Jahnke-Nachfolge ab 2019/20 klären.

Märchen als Kapitalismuskritik
zum Saisonauftakt

Aber noch ist sie da, diese Spielzeit ist unter ihrer Federführung entstanden, auch wenn Bettina Jahnke nur noch eine der geplanten Premieren selber umsetzt. Der Saisonauftakt ist Chefsache, auch in diesem Jahr. Und die Auswahl wieder einmal beachtenswert. „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff steht am 16. September auf dem Programm, ein populäres Märchen: Peter Munk arbeitet tief im Wald als Köhler. Doch mit seinem ärmlichen Schicksal hadert er. Als Sonntagskind hat er beim guten Waldgeist, dem „Glasmännlein“, drei Wünsche frei. Also will er immer so viel Geld in der Tasche haben wie der reiche Ezechiel und so gut tanzen können wie der Tanzbodenkönig. Den dritten Wunsch verweigert das Glasmännlein, denn Peter hätte sich besser den nötigen Verstand wünschen sollen. Dennoch ist Peter nun zu Reichtum gekommen und wird Besitzer einer Glasbläserei. Aber positiv wirkt sich das nicht aus, die meiste Zeit verbringt er im Wirtshaus und verprasst sein Geld. Als ihm das Glasmännlein nicht mehr weiterhelfen will, verkauft er sein Herz an den dämonischen Holländer-Michel. Sein neues Herz ist aus Stein. Was soll es, denn er wird wieder reich. Aber auch eiskalt, zynisch und hartherzig. Selbst seine Mutter fertigt er mit Almosen ab. Erst als Lisbeth, Peters liebreizende Frau, durch sein Verschulden ums Leben kommt, befällt ihn Reue. Er versucht, sein Herz aus Fleisch und Blut zurückzubekommen.

Wilhelm Hauff schuf 1827 mit diesem Kunstmärchen eine Kapitalismuskritik, die sich treffsicher ins Hier und Heute rücken lässt. Rebekka Kricheldorf (Jahrgang 1974) hat den Stoff humorvoll ironisch überarbeitet. Rücksichtsloser Egoismus regiert die Welt. Verantwortungsbewusstsein und Empathie stehen nicht im Lebensplan.

Wie so oft in Jahnkes Inszenierungen gibt es musikalischen Input. Ein ungewöhnlicher Auftakt, ein interessantes Unterfangen. Die Neugier ist wieder einmal mehr geweckt.

(Infos über die gesamte Spielzeit 2017/18 unter http://www.rlt-neuss.de)

Marion Stuckstätte