„Gefallene Engel“ im Rheinischen Landestheater: Pumps, Power, Trauer – und Genderspiel

16. Juni 2017 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Kultur

Sie heißen Darlene, Dorothy und Daphne und treffen sich auf der Bühne des RLT-Studios. Schon bei den Namen muss man an Marilyn Monroe und „Manche mögen’s heiß“ oder an Judy Garland denken. Und liegt auch nicht verkehrt. Denn hier schlüpfen drei Darsteller, zwei Männer und eine Frau, in die Rollen bekannter weiblicher Weltstars, deren Dasein traurig endete. In einem kleinen Badezimmer, irgendwo auf der Welt, werden Amy Winehouse, Whitney Houston oder Billie Holiday wieder zum Leben erweckt. In ihrem Glanz, auch in ihrem Elend. Das Rampenlicht war ihr Traum und zugleich ihr Untergang. Sie zerbrachen am Ruhm, an Einsamkeit und letztlich an sich selbst. RLT-Schauspielerin Linda Riebau entwickelte fürs Studio eine musikalisch-szenische Collage mit bewegenden, gleichwohl humorvollen Elementen. Eine clevere, mitreißende Zusammenstellung. Ein gelungen abgemischter Abend, zum Mitfühlen, Schmunzeln, Staunen und Genießen.

Die Ängste und Sehnsüchte von uns Künstlern sind immer noch dieselben. Wir geben alles von uns dem Publikum preis und finden im Scheinwerferlicht Himmel und Hölle zugleich“, erklärt Linda Riebau. Als beliebte Ensemble-Schauspielerin des Rheinischen Landestheaters ist sie uns wohlbekannt, als Regisseurin eher weniger. Jetzt hat sie eine eigene Idee auch gleich selbst in Szene gesetzt. Und das mit feinem Gespür, reich an Einfällen und viel Esprit. Beiträge über Idole und ihre tragischen Lebenswege gibt es viele, denn das Balancieren am Abgrund hat seine Faszination. Nehmen wir Amy Winehouse: Sie war eine schillernde Persönlichkeit und eine Ausnahmekünstlerin. Ihre Stimme ein Unikat, ihre Wesen provokant – ihre Seele zerbrechlich. Sie hatte es geschafft, bis ganz oben – und doch war sie nicht glücklich. Wie viele vor ihr, wie Whitney Houston oder Marilyn.

Über den Triumph in den Abgrund

Sie werden bewundert; und zugleich bedauert. Ihre Lebenswege führen über den bitter erkämpften Zenit in den frühen Tod. Ein Stoff, aus dem Geschichten entstehen. Bei Linda Riebau allerdings nicht in altbewährter Form, sondern in frischer Abmischung. Fünf Damen geht sie in ihrer Spurensuche nach: Neben Winehouse, Houston und Monroe lässt sie ebenso einschlägige Momente aus Judy Garlands und Billie Holidays Vita aufleben. Dass der Glanz des Ruhms nicht aus purem Gold ist, war bekannt. Auch die Lebenswege der Diven sind weit verbreitet. Dennoch ist die Art, wie sich aus den Erlebnisfragmenten der Einzelnen ein Gesamtbild baut, bemerkenswert. Auch dass zwei Männer und eine Frau die Rollen der „Gefallenen Engel“ übernehmen, bringt eine kuriose, witzige und zugleich bewegende Stimmung. Mokiert sich Schauspieler Rainer Scharenberg noch gerade aus männlicher Sicht über das unplatziert genante Verhalten eines aufsteigenden Starlets, so muss er schon in nächster Szene selbst die Hosen runterlassen, um auf roten Lackpumps sexy vor den Produzenten zu flanieren. 

Aus rasantem Rollenswitch, kokettem Gendermix oder gut gesetzten Filmanspielungen entwickelt sich ein abwechslungsreiches wie spannendes Programm. Die musikalische, akzentuierte Spurensuche setzt den Auserkorenen ein Denkmal, ehrt sie mit ihren großen Songs, stellt jedoch ihr Streben, das Showbusiness und die Wege zum Ruhm zugleich in Frage. So wird der rote „Fummel“ im Klo runtergespült oder verirrt sich ein Starlet im Niemandsland hinterm Schminkspiegel. Egal wohin die Reise geht, sie halten sich am Mikro fest – und am Ende am Alkohol.

Dass Rainer Scharenberg das Komische, Traurige und Bewegende gleichsam in sich trägt, hat er auf der RLT-Bühne schon oft bewiesen. Dass Alina Wolff tragische Momente bestens vom Innersten nach außen transportiert, bewies sie schon als Jungfrau von Orleans. Aber was Richard Lingscheidt in dieser Inszenierung von seinem Können preisgibt, hat in dieser bestechenden „Strahlkraft“ noch nicht den Weg ins Neusser Publikum gefunden. Mimik, Stimme und Performance – Mann oder Frau, zäh oder zart, gehemmt oder ekstatisch, hier präsentiert er mannigfaltige Facetten und eine breite Palette seines künstlerischen Vermögens in perfekter Show. Drei starke Interpreten in einer ausgefallenen, mitreißenden Inszenierung. Hingehen empfehlenswert!

(Nähere Infos unter http://www.rlt-neuss.de)

Marion Stuckstätte