Guten Gewissens in die Zukunft schauen?

5. April 2017 | Von | Kategorie: Aktuelles, Neusser Leben

Immer knappere Ressourcen, voran schreitender Klimawandel, belastetes Grundwasser, sterbende Ozeane, wachsende Weltbevölkerung, Hungersnöte nebst Flucht und Vertreibung. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Weil es da mit fleißig Müll trennen allein nicht getan ist, hat sich das Forum Stadtentwicklung und neuss agenda 21 e.V. zum 12. Stadtgespräch der Frage „Anders Leben – wie gestalten wir unser Leben zukunftsfähig?“ gewidmet. Robert Wolf

Dem Publikum im bis zum letzten Platz gefüllten Saal der alten Post gab Zukunftsforscher Matthias Wanner mit seinem Referat die nötigen Impulse und einen Überblick über die offenen globalen Baustellen. Zwar lassen sich rückblickend auf die Millenniums-Ziele der Vereinten Nationen global positive Entwicklungen feststellen: Weltweit weniger Kindersterblichkeit, mehr Grundschüler, mehr Gleichberechtigung, mehr erneuerbare Energie und das Ozonabkommen hat gewirkt, denn die Ozonlöcher sind gestopft. Aber Plastik im Meer, Klimawandel, Artensterben, saure Ozeane und die Verschwendung biochemischer Stoffe wie z.B. Phosphor sind alles andere als Schritte in Richtung Nachhaltigkeit.

Dazu sind es globale Trends, die über die Entwicklung im Lokalen nichts aussagen. Wenn weltweit der Wohlstand in der Mittelschicht steigt, weil vor allem China und Indien in den letzten Jahrzehnten massiv aufholen, hilft das in unserer Region gar nichts. Wie stehen wir da? Empfinden wir Selbstwirksamkeit durch Handeln im Lokalen oder Fremdbestimmtheit, vielleicht sogar Kontrollverlust?

Biolandwirt Heiner Hannen misst seine Lebensqualtät nicht am Materiellen, sondern findet Befriedigung im Wandel durch Handeln. Er stellt sich mit ökologischer Landwirtschaft gegen die Globalisierung der Argrarindustrie und möchte im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) ethisch und verantwortungsvoll wirtschaften. Der Solawi (Solidarische Landwirtschaft) Düsseldorf hat er ein Feld zur Selbstversorgung verpachtet. Sie müssen nur einen Gärtner (vor-)finanzieren, der die Maschinen des Lammertzhof mit benutzen kann. Bauer Hannen lässt auch die weniger ansehnlichen Produkte nicht vernichten, sondern vom „Lebensmittel Fair-Teilen e.V.“, der auch die Nachernten auf seinem Hof veranstaltet, umsonst oder gegen kleine Spenden unter die Leute bringen. Pfarrer Sebastian Appelfeller wiederum sieht die Kirche ebenfalls in der Pflicht, achtsam und verantwortungsvoll, gerade im Geiste der Schöpfungsgeschichte, einen vernünftigen und zukunftsorientierten Umgang mit der Umwelt und den Ressourcen anzuregen. Und das fängt in der Gemeinde an. Diese möchte er allerdings weder politisch, noch religiös, sondern offen als Gemeinschaft sehen, denn Kirche habe keinen Alleinstellungsanspruch. Die „Aldisierung“ von Bio- und Fair-Trade Produkten wiederum hat für ihn nichts Negatives. Die Discounter können und wollen ein Umdenken vielleicht nicht so einfordern , wie er das von der Kanzel vermag. Dafür erreichen sie aber fast jeden. Anne Mommertz ist freischaffende Künstlerin. Sie versucht, durch Kulturarbeit in der Nachbarschaft Kreativität und Kommunikation unter den Menschen lebendig zu halten. Als Kunstlehrerin wurde sie schon von Eltern gefragt, ob man nicht den Kunstunterricht weglassen und dafür mehr Mathe anbieten sollte. Wie kann man sich mit so einer Haltung kreativ an der Gestaltung der Zukunft beteiligen? Die Ganztagsschule verringert einen vernünftigen Ausgleich zwischen Wissensvermittlung und Freundeskreis, Familie, Verein und Zeit für Kreativität.

Ideen für soziales und ökonomisch wie ökologisch vernünftiges Verhalten gibt es genug, wie sich im Dialog zwischen Publikum und Podium herausstellt.

Anregungen: Lernen am Modell, im Dialog mit Freunden und Nachbarn. Das bringt mehr als Broschüren. Ob Fahrgemeinschaften, Carsharing, (Auto-) Fasten, (Fleisch-) Verzicht, Radfahren oder Vielfliegerei vermeiden: Viel schädliches Verhalten lässt uns im Alltäglichen den Kurs korrigieren. Man sollte anders, vor allem einfacher leben, damit Menschen woanders überleben können. Viele kleine Schritte ergeben einen gewaltigen Schritt und für eine Haltungsänderung ist es nie zu spät. Die Erkenntnis, der Markt kümmert sich nicht um die Ökologie, er macht nur ein Geschäftsmodell daraus, traf an diesem Abend weder im Publikum noch auf dem Podium auf Widerspruch. Abschließend ein Tipp: Selbstversorgung im eigenen Garten, Lebensmittel retten, Waren und Fähigkeiten leihen und tauschen oder Geräte reparieren? Dies und vieles mehr, befriedigende Selbstwirksamkeit und vor allem Gleichgesinnte findet man z.B. in der Transition Town Neuss Gruppe. www.transitiontown-neuss.de