Ein Stadtbild zum Wohlfühlen und Energiesparen der Zukunft: Geht das zusammen?

26. Juli 2016 | Von | Kategorie: Neusser Leben, Neusser Umwelt

Schöne Häuser und schöne Ecken gibt es in Neuss. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Während der Hafenkiez leider bis auf das Haus Jordans abgerissen wurde, konnte das Gründerviertel auf der anderen Seite der Neusser Hauptachse für die Nachwelt gerettet werden. Doch nun gibt es neue Probleme. Stehen sich energetische Standards und Denkmalpflege im Wege?

Das wurde beim 9. Neusser Stadtgespräch „Stadtbildpflege und energetische Sanierung – ein Widerspruch?“ erörtert. Selbst Mieter in einem 80er-Jahre Mehrfamilienhaus, habe ich mich bisher zwar an den beeindruckenden Stadthäusern erfreut, über die alte Römerstraße, wo einst meine Großeltern wohnten oder die Kettelerstraße im selben Karree. Aber jetzt weiß ich, dank Roland Kehl und der Neuss Agenda 21 e.V., dass diese Schönheit nicht nur ihren Preis hat, sondern auch immer umweltfreundlicher sein soll. Die Referentinnen Katja Gilges und Stefanie Müller, der Neusser Architekt und Stadtplaner Eckehard Wienstroer sowie der bewährte Moderator und Journalist Andreas Vollmert führten uns an diesem Abend durch den spannenden Dschungel von Faszination, Schönheit, Altem, Modernem, Energiewendungen und die Abgründe des Regulierungswahns. Aber der Reihe nach.
Die Neusser Architektin Katja Gilges, Energieberaterin (BAFA) und Sachverständige für Feucht- und Schimmelschäden, ist eine der Experten der energetischen Sanierung in Neuss. Sie besitzt viele Qualifikationen, kennt sich mit Lehmbau, Schadstoffen, Schimmel und Emissionen aus. Nimmt man ein 08/15 Haus, kann man durch Wärmedämmung, Photovoltaik oder Erneuerung der Heizanlage Finanzierungen und Kredite erlangen.

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Energie sparen und die Umwelt entlasten – ist doch gut, oder?
Das Potenzial der Einsparung kann eventuell sehr groß oder notwendig sein. Wärme-Profiler wie Katja Gilges können mit dem Wärmebild Defizite offen legen. Dazu sollte aber die Temperaturdifferenz zwischen innen und außen groß genug sein, was den Winter für diese Ermittlungsmethode empfiehlt. Jenes Wärmebild ist aber sowieso nur ein Mosaiksteinchen der energetischen Analyse. Denn erst nach der kompletten Erfassung der Gegebenheiten ist eine realistische Planung möglich. Dabei rangiert z.B. der Schutz gegen Feuchtigkeit vor der Wärmedämmung. Was macht Sinn? Wie dick sind die Wände, aus welchem Material, wie gut ist die Verglasung? Bei der Planung müssen individuelle Vorlieben einfließen: „Wie ist das Lüftungs- und Heizverhalten der Bewohner?“, so Katja Gilges. „Lebt man gerne bei 24° ohne Luftzirkulation oder bei 20° und etwas Brise? Damit ist eine völlig andere Ausgangslage gegeben.“ Architekt Eckehard Wienstroer ergänzt die Aussage: „Gute energetische Sanierung gibt‘s nicht einfach im Baumarkt! Das geht nur mit Experten. Sonst heißt es heute saniert und morgen verschimmelt.“ Mit energetischer Sanierung wird ein riesiges Geschäft betrieben. Hier ist guter Rat und Planung das A und O. Denn wo schnelles Geld verdient wird, wird auch viel Murks veranstaltet. Noch spezieller wird energetisches Sanieren bei Baudenkmälern. Womit wir beim zweiten Vortrag des Abends angekommen sind. Architektin Stefanie Müller vom Neusser Referat Denkmalschutz erinnert daran, dass keineswegs im Krieg alles zerbombt wurde, sondern sogar komplette Stadtteile den Krieg überstanden haben, wie das Gründerzeitviertel größtenteils zwischen 1890 und 1910 erbaut , also große Teile der Erftstraße, Drususallee, Liedmannstraße, Kaiser-Friedrich-Straße, Kanal- und Breite Straße. Der NGZ gegenüber äußerte sich Stefanie Müller anlässlich einer Stadtbegehung: „Kaum zu glauben, dass nach Kriegsende ernsthaft darüber nachgedacht wurde, diese wunderbaren historischen Straßenzüge abzureißen, um Platz für großstädtisches Bauen zu schaffen. Immerhin konzentrieren sich in diesem Bezirk rund 250 der insgesamt 300 Baudenkmäler der Neusser Innenstadt. Und die gilt es zu bewahren.“ Sind nun Energieziele zu erreichen, die vielleicht den Tod des Denkmals bedeuten könnten? „Nein“, sagt sie, es gilt die Energieeffizienz zu optimieren, dieses individuell nach den Wünschen der Besitzer und Bewohner herauszuarbeiten und das sei auch ihre Aufgabe als Denkmalpflegerin. Außendämmung kommt für sie nicht in Frage. Sie hat in anderen Städten grässliche Experimente mit nachgebauten historischen Fassaden aus Dämmmaterial gesehen. Doch Außendämmung ist oft sowieso eine Schimmelfalle und genau so ein „No Go“ wie Kunststofffenster. Diese sind für sie in mehrfacher Hinsicht Sondermüll. Was bei beiden Referentinnen und in der anschließenden Diskussion offen geblieben ist, sind die konkreten Finanzierungsmodelle und die Hürden, die zu nehmen sind, um Bezuschussungen zu erhalten. Aber thematisch ging es ja um das große Ganze, ein Stadtbild mit Charme, unverkennbarer Note und Wellness-Faktor, auch in der abschließenden Diskussion.

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Das Wohnen im Denkmal kann nicht alle Kriterien des optimalen Wohnens erfüllen
Aber es hat Charakter. Barrierefreiheit ist eher schwierig, dafür hat man bei 2,5 bis 3 Meter hohen Decken kein Problem, Fußbodenheizung und Isolierung einzubauen. Aus dem Publikum werden weitere Probleme genannt. Nicht nur dass man im ganzen Haus keinen wirklichen rechten Winkel findet, was wenig produktiv für Normen und Maße ist. Auch seien „schwingende Böden“ aus Holz eine echte Hürde, die erst genommen werden muss, bis die Fußbodenheizung störungsfrei funktionieren kann. Als es weiter in die Details ging, wurde klar, dass man einem netten Schlagabtausch zwischen der Saniererin im Publikum und der Denkmalpflegerin auf dem Podium beiwohnte. In der Planung hatte man sich Punkt für Punkt geeinigt. Die Heizanlage von 2003 wird noch nicht verschrottet, sondern erst, wenn sie versagt. Für Photovoltaik war das Dach nicht geeignet und Erdwärmegewinnung war für die Inhaber nicht finanzierbar. Das Haus wurde auch noch gelb gestrichen, nicht im Sinne Katja Gilges aber es war der Wunsch der Familie. Katja Gilges: „Ich habe heimlich geflucht aber dieses Gelb gehört durchaus zu den historischen Farben.“ Es folgte die Einbeziehung nicht denkmalgeschützter aber erhaltungswürdiger Häuser. Deren Eigentümer lassen sich oft nicht auf die KfW-Förderung und das Durcheinander ein: „Nein, das will ich nicht.“ „Das ist mir auch zu teuer“, „das ist mir egal“ oder „das rechnet sich erst, wenn ich schon lange im Grab liege“ etc. Das sind nachvollziehbare Reaktionen. Wenn dann trotzdem gedämmt wird, geht das oft ästhetisch in die Hose. Denkmalpflegerin Müller fährt mit dem Fahrrad nicht mehr gern die Viktoriastraße entlang: „Die ist eingedämmt worden. Dabei hätte es bessere Möglichkeiten gegeben.“ „Bevor eine komplette Außen- oder Innendämmung beschlossen wird, sollte man alle Alternativen abwägen“, mahnt Katja Gilges. Eckehard Wienstroer: „Man muss nicht Weltmeister im Energiesparen sein. Ob man mit 20 Zentimeter Styropor die Welt retten kann, bezweifele ich sowieso.“ Das beflügelt das Agenda21 Urgestein Heinz Hick, seinen Unwillen über eine Sanierung in Weckhoven freien Lauf zu lassen, die sein ästhetisches Empfinden extrem stört. Moderator Vollmert bündelt das in der Frage: „Scheinbar überall Dämmwahn. Wie hässlich darf Neuss noch werden?“ Ein Architekt im Publikum äußert sich dazu: „Neubauten und erneuerte Bauten dürfen was riskieren. Sonst würden wir immer noch in Kaiser Wilhelm Bauten wohnen. Dies geht wohl schöner und energetischer.“ Zuvor haben wir erfahren, dass er die Ursache der vermeintlich optischen Entgleisung in Weckhoven ist. „Wir sind mit den 75.000 Euro KfW-Geld ausgekommen und haben die jährlichen Heizkosten für das Haus auf 220 Euro gesenkt.“ Von den Nachbarn, die jährlich bis zu 1.800 Euro Heizkosten haben, hätte sich schon der nächste Interessent gemeldet. Andreas Vollmert gibt darauf zu bedenken, dass Ästhetik sowieso eine individuelle Angelegenheit sei, gerade wenn es um Farben und Formen außerhalb des historischen Raums, des Denkmalschutzes geht: „Warum sollte ich mich anpassen wenn ich die Häuser um mich herum als potthässlich empfinde?“ Ein Statement, mehr als eine Frage, die dann auch unbeantwortet blieb. Erwähnt wurde auch, dass die EnEV Dämmwerte immer „anspruchsvoller“ werden. Wie viel Lobbyarbeit und wie viel Umwelt-Politik dahinter steckt, ist schwer zu beurteilen. Ähnlich sieht es Architekt Wienstroer: „Ein modernes Gebäude ist ein High-Tech Produkt. Oft werden die Ziele dann gar nicht erreicht. Wir haben verrückte Vorgaben dank der Lobbyarbeit. Da muss sich der Architekt auch mal sperren, von der Sanierung abraten. Es geht auch um die Lebensqualität.“ Hieße das, so Vollmert, auch mal einen Kunden sausen zu lassen? „Das mache ich so“, antwortet Wienstroer.
Fazit: Wir müssen die Politik in die Pflicht und die richtigen Berater in Anspruch nehmen. Dann klappt es vielleicht auch mit der energetischen Sanierung.