(Zu) Starke Gefühle – „Wie Betty das Wut-Gewitter bändigt“

17. Juni 2016 | Von | Kategorie: Neusser Leben

Es gibt Kinder, die haben nicht nur sehr feine Antennen für ihre Umwelt, sondern oft auch das Problem, von äußeren Reizen, die sie viel stärker wahrnehmen, und den eigenen Gefühlen regelrecht überwältigt zu werden. Diese Kinder sind „hochsensibel“. Das kann ganz schön anstrengend und schwierig für sie selbst, aber auch für ihr Umfeld sein. Die Neusser Diplom-Psychologin Stefanie Kirschbaum hat sich mit dem Thema „Hochsensibilität“ beschäftigt und ein ebenso unterhaltsames wie kindgerecht-lehrreiches Buch dazu verfasst.

Kirschbaums kleine Heldin Betty ist ein aufgewecktes Mädchen, das in die 3. Klasse geht, gerne mit ihren Freundinnen spielt, die Oma besucht, Tiere mag und zu Hause liebevolle Eltern und einen nur manchmal etwas nervigen kleinen Bruder hat. Betty ist glücklich. Doch immer wieder gibt es Situationen, in denen ihr plötzlich alles zu viel wird: Die Mitschüler oder der Bruder sind zu laut, die Lehrerin behandelt sie ungerecht, der neue Pulli kratzt unerträglich, sie gerät in Streit mit ihren besten Freundinnen. Betty wird dann wütend, sehr wütend: „Es ist, als ob in ihr dunkle Wut-Gewitterwolken aufziehen“, heißt es im Buch. Und das Schlimme daran ist, sie kann nichts dagegen tun, die Wut überwältigt sie einfach: „Dann macht es „WUMM!“ Das Wut-Gewitter legt richtig los.“ Am Ende sind dann erstmal alle sauer auf Betty und sie selbst ist furchtbar traurig. „Ich wollte das doch auch gar nicht… Aber dann ist es einfach passiert“, weint sie bei ihrer Mama.

.
Besonders sensibel
„Das starke Fühlen und die intensive Wahrnehmung äußerer Reize, zum Beispiel von Gerüchen oder der Lautstärke, ist charakteristisch für Hochsensible“, sagt Stefanie Kirschbaum. Gerade negative Gefühle wie eben Wut, aber auch Trauer, Enttäuschung oder Angst würden von hochsensiblen Kindern besonders stark erlebt. „Die können sie nicht so einfach abschütteln, sondern müssen sie länger und tiefer verarbeiten.“ Typisch sei etwa auch ein besonders stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Die Psychologin mit eigener Beratungspraxis hat durch ihren Beruf viel mit hochsensiblen Menschen zu tun, hat sich aber auch aus persönlichem Interesse in das Thema Hochsensibilität eingearbeitet. Die Mutter von zwei Töchtern weiß: „Kinder sind bereits im Kindergarten und in der Schule von vielen Reizen umgeben, zum Beispiel durch die Lautstärke oder später durch den Leistungsdruck. Hochsensible Kinder reagieren darauf schneller gestresst, angespannt oder überreizt.“ Für solche Kinder sei der Schulalltag richtig anstrengend. „Sie brauchen daher Rückzugs- und Entspannungsmöglichkeiten.“ Am Beispiel von Bettys Erlebnissen zeigt sie nun anschaulich und bewusst ohne erhobenen Zeigefinger, wie es gehen kann. Kirschbaum ist es dabei wichtig, darzustellen, dass Hochsensibilität nicht nur negative Seiten hat. „Hochsensible Kinder sind sehr einfühlsam und bringen oft eine hohe Fähigkeit mit, zu kreativen Lösungen ihrer Probleme zu kommen“, erklärt die Autorin. Ohnehin seien sie in der Regel gerne kreativ, drückten sich beispielsweise durch Malen, eigene Geschichten oder im Tagebuch aus. „Mir ist es wichtig, dass die Kinder am Beispiel meiner Geschichte erkennen, ‚Ich bin zwar in manchen Punkten etwas anders als andere, aber ich bin okay so‘“, erklärt Kirschbaum.

.
Für alles eine Lösung
In der Geschichte mit zehn Kapiteln sind es ganz einfache Dinge, die Betty schließlich helfen: die verständnisvolle Familie, ein eigenes Zimmer als Rückzugsort, eine kleine Auszeit mit malen, lesen oder Musik hören, das Kuscheln mit dem Familienhund oder ein Besuch der geliebten Oma, die immer gute Ideen bei Problemen hat. Aber auch Betty selbst ist eben einfallsreich darin, Schwierigkeiten zu meistern. Das Ganze ist sehr schön bebildert von der Illustratorin Anne Wöstheinrich, einer langjährigen Bekannten Kirschbaums. Buchhändlerin Dorothea Gravemann (‚Bücherhaus am Münster‘) hat von Kundinnen schon positive Resonanz auf das Buch erhalten und kann es nur empfehlen: „Das Besondere am Buch ist die konsequent aus der Sicht des Kindes gewählte Perspektive, die die Kinder ernstnimmt und ihnen angemessen erklärt, was mit ihnen anders ist. Hilfreich ist zudem das Aufzeigen von Möglichkeiten, Wutanfälle und kritische Situationen zu vermeiden.“ Ein Lesevergnügen also für sensible Kinder (und ihre Eltern), die sich hier wiederfinden können, aber auch für alle anderen, „die so erkennen, dass manche Kinder eben sensibler sind, und mehr Verständnis dafür entwickeln können“, so Stefanie Kirschbaum.
„Wie Betty das Wut-Gewitter bändigt“ ist im Wiener Festland Verlag erschienen.