„Die Studentin und Monsieur Henri“ im Theater am Schlachthof – Vom Menschenfeind zum Kümmerer

4. April 2016 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Ob Henri glücklich ist, wen kümmert es. Ihn auf jeden Fall nicht. Denn seit seine Frau tot ist, hat er sich gänzlich in seiner Pariser Wohnung verschanzt. Wartet. Wartet darauf, dass sein Leben zu Ende geht. Denn die Menschen um ihn herum nerven ihn nur. Doch plötzlich steht dieses junge, wilde Geschöpf namens Constance vor ihm und will eines seiner Zimmer beziehen. Eine Idee von Henris Sohn, damit sein Vater nicht alleine ist. Eigentlich eine absolut schwachsinnige Idee, findet Henri. Doch dann wittert der lebensverachtende alte Grantler in der ungewöhnlichen Wohngemeinschaft eine Chance. Das TAS bringt die humorvolle Generationskomödie des französischen Gegenwartsautors Yvan Calbérac unter der Regie von Sven Post auf die Bühne. Ein Abend, spritzig witzig und unterhaltsam, aber nicht ohne nachdenklich stimmenden Unterton.

Eine Wohnung in Paris. Das Domizil von Monsieur Henri. Hier hat er sich begraben, den Kontakt zu Außenwelt abgebrochen. Er ist ein Misanthrop, einer, der die Menschheit verachtet. Einer, der an allen und allem etwas auszusetzen hat. Er hat einen Sohn. Gut. Aber auch an dem lässt er kein heiles Haar – egal wie sehr sich dieser um die Gunst des Vaters bemüht. Und die Schwiegertochter Valérie, sie ist lange schon ein Dorn im Auge des Herrn Henri. Sie geht ihm einfach durchweg auf die Nerven.
Eine weitere Schikane, so scheint es dem bärbeißigen Witwer Henri, ist, dass sein Sohn ein Zimmer in seiner Wohnung untervermieten möchte. Paul macht sich Sorgen um Henris Gesundheit, da sein Vater schon mehrmals daheim umgekippt ist. Daher lässt er dem gebrechlichen Alten keine Wahl: Entweder er akzeptiert einen Mitbewohner, der ihn im Auge behält, oder er muss ins Altersheim. Zähneknirschend und mit Kampfansage stimmt Henri zu. Und siehe da, er stößt auf einen Gleichgesinnten bzw. eine Gleichgesinnte – zumindest in Sachen Halsstarrigkeit. Mit dem frech-dreisten Auftritt der jungen attraktiven, chronisch unter Geldmangel leidenden Studentin Constance geht er den Deal ein. Aber nicht den seines Sohnes, sondern eine eher bösartige Variante: Constance darf kostenfrei bei ihm wohnen. Allerdings muss sie dafür Henris Sohn verführen, damit Henri endlich von seiner „dämlichen“ Schwiegertochter befreit wird.

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„Ein seltsames Paar“ auf Französisch
Und schon läuft Geschichte auf Hochtouren. Eine Boulevardkomödie vom Feinsten, die allerdings nicht nur mit köstlich humorvollen Dialogen punkten kann. Denn obendrein gibt es eine Menge einfühlsame Zwischenmenschlichkeit. Klar strapaziert es die Lachmuskeln, wenn Paul (herrlich gespielt von Daniel Marré) kurzweilig in Constance seine Angebetete erkennt und im gelben Fliegerblouson und knalligen Turnschuhen – statt grauem Feinstickpulli und Anzugjacke – als jugendlicher Dandy über die Bühne flaniert. Auch Constances Rivalenkämpfe mit Valérie (gekonnt ausgekleidet von Natascha Popov), die sie in Kochduelle ziehen, sind nicht ohne. Doch der Anker des Stücks, er liegt auf Henri (als prachtvoller Griesgram gespielt von Bertolt -Kastner), der in jeder humorvollen Geste auch immer einen Funken Traurigkeit versprüht. Ein Mensch, der sich in sich selbst vergraben hat und nach und nach unter seiner selbst gepflegten Kruste auftaucht. So erinnern manche Szenen zwischen Constance und Henri an eine französische Variante der legendären Revierstreitigkeiten des Komiker-Duos Jack Lemmon und Walter Matthau aus dem US-amerikanischen Spielfilm „Ein seltsames Paar“. Hier wie da, aus den Bissigkeiten blitzen menschliche Sehnsüchte und Ängste hervor. Am Ende mag man nicht mehr wissen, wer der Gute und wer der Böse ist. Die Zerbrechlichkeit lässt sie zusammenwachsen. Denn Probleme haben alle genug. Altersschwäche, Existenzangst, Erwartung, Anerkennung, Unfruchtbarkeit und Liebe, thematisch ist einiges drin. Yvan Calbérac packt in seine Komödie aus dem Jahr 2012, die in Frankreich mehrfach ausgezeichnet wurde und 2015 Deutschland-Premiere feierte, grundlegende Fragen. Seine Figuren spielen nicht nur, sie entwickeln sich auch.
Ein Stück somit, wie es gut zum Regisseur Sven Post passt. Wir kennen ihn aus zahlreichen feinfühligen Inszenierungen, auch in der Alten Post und bei den Musicalwochen. Noch bestens in Erinnerung hier sein Erfolg mit „Fame“ im vergangenen September im Neusser Globe. So ist er der Richtige am Werk. Mit der quirligen, wandlungsfähigen Barbara Wegener als Constance hat er einen guten, trotzigen Wildfang gefunden, der forsch und beherzt – und dennoch infantil zerbrechlich – durchs Spiel zieht. Fazit eindeutig: Hingehen empfehlenswert!
(Weitere Vorstellungen am 15., 16. und 17.04. und am 06., 07. und 08.05.2016. Karten im Vorverkauf für 15,40 € (ermäßigt 12,10 €) und an der Abendkasse für 18,- € (ermäßigt 14,- €). Infos im Netz
www.tas-neuss.de und telefonisch unter 02131 – 277 499)