Erleben im Moment

19. November 2015 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

„Das Virtuelle im Konkreten“ – Ausstellung von Rita Rohlfing im Clemens Sels Museum

Versteht man das Verneinen von Stabilität und Dauer als Spiegel der Gegenwart, so bilden diese Werke einen klaren zeitgenössischen Ausdruck. Auch wenn an sich an diesen kaum etwas eindeutig erscheint, weder die Form und die Farbe, noch die Schärfe, nicht der Umriss noch der genutzte Raum. Denn Rita Rohlfings Arbeiten heben Grenzen auf, spielen mit der Wahrnehmung und lassen Gattungen ineinander verschwimmen. Bis zum 10. Januar kann das nicht Greifbare im Konkreten in der aktuellen Wechsel-Ausstellung des Clemens Sels Museums erforscht werden.

Das man hier gefordert ist, lässt sich schnell erkennen, wenn man das Foyer des Clemens Sels Museums betritt. Das Grau der Treppe wird von feinen Strukturen überlagert; eine Projektion, die sich wohlkalkuliert auf ausgewählte Betonflächen zieht. Kleine Fächer, Fenster und eine Fassade lassen sich bei näherem Betrachten erkennen. Ein Wolkenkratzer aus New York mit Feuerleitern, perspektivisch irritierend durch die extreme Unteransicht. Das kann es sein, muss es aber nicht. Ein paar Schritte nach links und wieder der Blick auf die Betontreppe, die sich rätselhaft mit dem Raum verbindet und mit der Wandfläche hinter ihr.

In Richtung Gartensaal trifft man auf vier imposante, 200 x 125 x 3 cm große Fotografien (Lambda Print hinter Acrylglas auf Alu-Dibond) mit dem Titel „s c h e i n b a r“. Sie sind dunkel gehalten, um Farbe geht es nicht, mehr um Struktur und die kaum deutbaren Zeichen, die von Materialität erzählen. Beton, Eis, Glas? Dazu Lichtkegel. – Und wieder steht man vor Fragezeichen und kommt nicht wirklich voran, geht näher und scheint sich damit mehr und mehr dem Motiv zu entfernen. Doch von Rätselhaftem nicht genug, steht man einen Raum weiter Glaskästen gegenüber, die im Innern einen stetigen Wandel vollziehen. Nicht real, nur durch die Betrachtungsperspektive. Jeder Schritt eine Änderung in der Farbe und der im Hohlraum eingearbeiteten Formen. Schlicht diffuses Weiß bekommt violette Elemente. Eine Fläche wird zur Linie. Realität und Virtualität begegnen sich. Im Detail wie im großen Ganzen. Kein Element oder Objekt steht nur für sich. Jedes dringt in den Raum, in die gesamte untere Etage des Museums und in den Garten hinein. Auch die Aluminiumplatten, die anfangs noch klar umrissen scheinen und dann doch in Gestalt und Proportion zur Verwirrung beitragen. Dazu das Licht von außen, das sich tages- und wetterbedingt ändert und hier und im Moment durch ein farbig gestaltetes Fensterobjekt in variierter Weise eindringt. „ANSCHEINEND“ heißt die 4 Meter hohe und knapp 2 Meter breite Rauminstallation, „AMBIVALENZ“ die mehrteilige Wandskulptur zu ihrer Seite. Die Namen, sie sind Programm.

Maßgenaue Geheimnisse

Alles gehört zusammen, bedingt sich gegenseitig. Zum Greifen nah und doch virtuell. In unserem Kopf, unserer Empfindung und unserer Assoziation. Das ist das Faszinosum von Rita Rohlfings Objekten, die sich ebenfalls der Gattung entziehen. Aus Farbmalerei im Ursprung entstanden Skulpturen, die das Licht brechen und das eigentlich Unsichtbare in Farbe zerlegen. Der Betrachter nimmt Einfluss, durch seine Perspektive und durch seine subjektive Sicht.

Das Agieren mit der Farbe und mit dem Augenblick, das kennen wir von Rita Rohlfing schon. Bereits zur 100-Jahr-Feier des Clemens Sels Museums 2012 war die Kölner Künstlerin hier am Werk, als sie magentafarbene Teppichbahnen auf die Wiese hinterm Deilmann-Bau rollte. „Mapping the city“ hieß die Aktionskunst, die nur an einem Tag zu bestaunen war, und die die historische Achse zwischen altem und neuem Standpunkt vor den Zuschauern zog. Eine Installation, die eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart im Kontext eines einmaligen zeitgenössischen Ausdrucks baute.

Emotionale Komplexität aus rationaler Kühle

Rohlfings Arbeiten sind Experimente mit Farbe, Licht und Figuration, neuerdings auch mit Fotografie. Einfangen und auflösen, erschließen und verlieren, näherkommen und distanzieren. Sorgfältig ausgewogene Geheimnisse, zum stetig neuen Erfahren. Ihr Werk ist vom Dualismus aus rationalem Kalkül und emotionaler Komplexität geprägt. Mag man den Formen in minimalistischer Knappheit den Part des Konkreten zuordnen und der Farbe und ihrer teilweisen Auflösung den des assoziationsträchtigen Imaginären, so ist auch dies den schwimmenden Grenzen freigegeben. Gewichtig ist das Licht als Transportmittel, als Überbringer der Farbe, in aller Vielfalt durch Brechung, Reflexion, Filterung und Diffusion. Kanten verschwimmen, Konturen verstärken sich. Spiel der Wahrnehmung. Zusammenhang von Objekt, Raum und Zeit. Nichts hat Bestand.

Für die Ausstellung „Das Virtuelle im Konkreten“ hat Rita Rohlfing die Architektur des Clemens Sels Museums eindringlich studiert. Der Schwere und Abgeschlossenheit des 70er-Jahre-Baus setzt sie ein ortsspezifisches Konzept entgegen, das Leichtigkeit, Flüchtigkeit und Tiefenräumlichkeit einziehen lässt. Eine präzise, überzeugende Schau. Einnehmend und wunderbar weitgreifend. Jedoch stößt sie in der ganzheitlichen Betrachtung in kleinen Übergangsbereichen „ortsspeziell“ auf Grenzen, dort wo Objekte anderer Abteilungen ins Gesamtbild ragen.

(Nähere Infos unter www.clemens-sels-museum-neuss.de)