Wiederbelebung durch Widerstand – „Lieblings Platz“ im Theater am Schlachthof

11. November 2015 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Manch Liebe verliert sich im gemeinsamen Älterwerden, viele Ideen und Ideologien verblassen oder siechen dahin. Manchen Paaren bleibt nur noch die Erinnerung, denn das Leben ist grau und belanglos geworden. Man weiß, was der andere sagt und denkt, nur verstehen tut man ihn nicht. Da muss schon etwas passieren, um den alltäglichen Trott zum Bröckeln zu bringen. Markus Andraes neue Komödie im TAS nimmt sich der Paarmonotonie an, platziert sie in eine gläserne globale Big-Brother-Welt und verzichtet nicht auf Spitzen wider gesellschaftliche Missstände.

Da sitzen sie nun, hier auf der Parkbank, im lauschigen Grün. Als Paar. Frau und Herr Küppers. Das Leben hat seine Spuren hinterlassen, im Alltag, im Menschen und in der Beziehung. Es gibt nichts Neues. Es gibt kaum etwas, was sie sich noch zu erzählen haben – hätten. Wenn sie reden, dann nicht in ganzen Sätzen. Jeder weiß von ihnen beiden, wie der andere tickt. Die Sätze, sie sind die gleichen. Über Jahre schon. Wie auch das Leben, zusammen als Paar. Man weiß, was der andere sagt, sagen will. Nur verstehen, verstehen muss man ihn nicht. Will man vielleicht auch nicht mehr.

So haben sie ihre Rituale, die sie ans Leben erinnern: wandern durch den botanischen Garten, Platz nehmen auf ihrer Lieblingsbank und pausieren mit Kaffee aus der Thermoskanne und geviertelten Karotten aus der Frischhaltebox. So könnte es ewig weitergehen. Reden, aneinander vorbei. Starren ins Leere. Aber heute ist etwas anders. Da ist diese Frau im engen Rock auf Stöckelschuhen, die stetig aus dem Gestrüpp auftaucht, um verwirrende Anweisungen zu geben, derweil sie am Handy fremdgesteuert etwas zu organisieren scheint. Dazu gibt es noch einen Mann, ebenfalls hinterm Gebüsch lauernd, der sich in einer Live-Schalte befindet und in versteckte Kameras redet. Ein Schauspieler. Sie kennen ihn von der Bühne. Von damals, als sie noch ins hiesige Theater gingen. Doch ihr Abo ist lang schon gekündigt. Dort passierte zu wenig, zumindest nichts, was sie bewegte.

Ehe im Höchststadium der Langeweile

Aber die Monotonie des Alltags und ihr Desinteresse am Leben ändern sich schlagartig. Denn was sich für das Ehepaar Küppers hier puzzleartig Stück für Stück zusammensetzt, ist in der Bedrohung derart groß, dass Taten verlangt sind. Aus dem botanischen Garten soll ein Wohnpark im Luxusambiente werden, für den die letzte städtische Idylle geopfert werden muss. Auch der Baum samt Lieblingsplatz, wo sich einst das Pärchen verliebte, soll weg. Ohne es richtig mitzukriegen, sind die Küppers plötzlich mitten im Geschehen, im Imagefilm für den Wohnpark und im Live-Stream im Netz.

Da plötzlich wehrt sich ihr altes „Aktivistenherz“. Wer in jungen Jahren gegen Pershings und Ölkriege demonstrierte, der lässt sich auch im Alter nicht das Zepter gänzlich aus der Hand nehmen. Der Lieblingsplatz ist alles, was sie noch haben. Drum werden die alten Protestbanner, Klamotten und das altbewehrte Igluzelt ausgegraben und die Lichtung kurzerhand besetzt. Und siehe da, im gemeinsamen Aufstand fängt die alte Liebe wieder an Funken zu schlagen…

Beziehungsalltag mit gesellschaftlichen Seitenhieben

Die neue kabarettistische Komödie von Markus Andrae, dem künstlerischen Leiter des Theaters am Schlachthof, gestaltet sich dezent obskur und gewollt absurd. Da sitzen sie und warten. Worauf eigentlich? Bis dann doch etwas passiert. Alltagsmonotonie stößt auf World Wide Web, verklärte Vergangenheit auf gläserne Zukunft. Und rundherum Belanglosigkeit – die sich dann doch als Bedrohung entpuppt. Das Leben ein Schaukasten, der menschliche Antrieb der Profit.

Vier Schauspieler mit Begeisterung und überzeugender Darbietung. Markus Andrae wie man ihn kennt, unterwegs im Reich zwischenmenschlicher Feinheiten, in subtilen Szenen, mit geliebtem Wortspiel und einer guten Portion Lokalkolorit und Gesellschaftskritik. Ein amüsanter Abend, leicht und locker, gegen trübe Einblicke.

(Weitere Infos und Termine auf www.tas-neuss.de und unter 02131-277 499)