Im Reich des Rechts und der Richter

11. September 2015 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Saisonstart am Rheinischen Landestheater

„Gerechtigkeit“ heißt das Motto der neuen Spielzeit 2015/16 am Rheinischen Landestheater. Eine Tugend, doch was verbirgt sich hinter ihr: Gleichheit, Gemeinschaft und Güterteilung oder Glück, Geschenk und Gottesgabe? Strebt der Einzelne nach Gerechtigkeit für sich, für seine Sippe oder die Gesamtheit? Ein weites Feld mit vielen Geschichten, die nachdenklich stimmen, Angst erzeugen oder skurril wie witzig sind. Mit einem biblischen Stoff nach Thomas Mann geht es am 4. September im RLT los, Kafkas „Der Prozess“ und Woody Allens „Geliebte Aphrodite“ folgen. Am Ende der Spielzeit wird Shakespeares „König Richard III“ seine ganz eigene Sicht auf die „gerechten“ Dinge legen.

So traurig es ist, wenn die Ferien zu Ende gehen, so schön ist es doch, wenn sich die Kulturhäuser wieder mit Leben füllen. Die Proben am Rheinischen Landestheater laufen auf Hochtouren. Zum Saisonstart inszeniert Theaterchefin Bettina Jahnke „Joseph und seine Brüder“ von John von Düffel nach der Romanvorlage von Thomas Mann. Eine Herausforderung gleich zum Anfang. Aber das kennen wir aus den vergangenen sechs Jahren der Intendanz schon. Ob „Hiob“, „Die Nibelungen“ oder „Das Himbeerreich“, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und dass sie auf Erfolgskurs ist, muss Bettina Jahnke in Neuss nicht mehr beweisen.

Über 15 Jahre arbeitete Thomas Mann an seiner Version des großen biblischen Stoffes. Das Ergebnis: ein vierbändiger Roman, den John von Düffel für die Bühne verdichtete (Uraufführung 2009 im Düsseldorfer Schauspielhaus). Den renommierten Dramatiker, derzeit Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin, kennen wir hier schon. Seine „Sieben Sonette“ brachte Katharina Schmidt 2012 für das RLT auf die Bühne, den Reigen über die Liebe, das Leben und das Älterwerden, ausgehend von sieben Sonetten William Shakespeares und ihren erotisch-rätselhaften Fährten. Shakespeares Wortgewalt und poetische Spitzfindigkeit mit Theater der Gegenwart zu verknüpfen, gelang ihm überzeugend und einnehmend. Jetzt darf man gespannt sein, was sich zum Thema Gerechtigkeit auf der RLT-Bühne formt.

Auslegungen der Gerechtigkeit

Die Generaltugend soll in dieser Spielzeit näher durchleuchtet werden. Ist Gerechtigkeit ein unerreichbares Ziel? Wer sucht Gerechtigkeit für wen? Schon die Definition ist schwer ergründbar, die Inhalte modifizierbar. Die Politik lebt es vor. Geht es um Gleichverteilung der Güter, Gleichstellung aller Menschen oder Chancengleichheit innerhalb einer Gesellschaft? Hat Gerechtigkeit auch mit Glück zu tun, dem Glück am richtigen Ort zur richtigen Zeit geboren zu sein. Gedanken, die sich in unserer Zeit mehr und mehr in den Raum drängen, aber seit jeher Thema des menschlichen Miteinanders und der Suche nach angemessener Regierungsform sind.

Joseph, der Auserwählte unter seinen Brüdern, der verstoßen wird und sich auf einen langen Weg begeben muss, um durch erlittenes Unrecht zu sich selbst zu finden, macht hier den Anfang, das Thema dramaturgisch zu durchleuchten. Die Facetten einer Saison sind jedoch bekannt vielfältig. So gibt es einen Agit-Pop-Abend mit Live-Musik „Bella Ciao! – Lieder für eine gerechte Welt“, an dem Gesänge der Klassenkämpfe und Revolutionen vergangener Jahrzehnte ertönen. Ebenfalls steht ein bekanntes Familienstück auf dem Programm: Erich Kästners „Das doppelte Lottchen“, in dem die Zwillinge ihr Schicksal selbst lenken, um Gerechtigkeit zu erzielen. In Shakespeares „König Richard III“ zeigt sich ein Mann, für den es nur eine Form von Gerechtigkeit gibt, nämlich seine. Macht ist hier ein Thema, genauso wie bei Franz Kafka, wenngleich der Bankangestellte Josef K. diese in „Der Prozess“ auf seltsam skurrile Art erfährt. Doch die Beklemmung weicht dem Witz, wenn Woody Allens „Geliebte Aphrodite“ auf die Bühne zieht. Neurotiker im Streben nach Gerechtigkeit, auch das wird es in dieser Spielzeit geben, genauso wie Klassiker à la „Miss Sara Sampson“ von Gotthold Ephraim Lessing und Stücke zu Oscar prämierten Filmen wie „The King’s Speech“ von David Seidler.

Theaterfest mit Kleinganoven

Die Spannbreite ist groß, das Ensemble neu aufgemischt. Und wie jedes Jahr gibt es zur Einstimmung auf die Saison ein Theaterfest. Am 6. September von 14 bis 18 Uhr warten Kleinganoven und Verbrecher, Gerechtigkeitsfanatiker und Streitsüchtige auf den Bühnen, im Foyer oder in dunklen Nebenräumen aufs Publikum, um mit kleinen Stückausschnitten einen Vorgeschmack aufs Programm zu geben. Die Dramaturgen führen durch die „Katakomben“ des Theaters, die „Theatermaske“ öffnet ihre Türen und ein Clown sorgt für die Verzauberung des Theaternachwuchses. Auch die beliebte Versteigerung von Kostbarkeiten aus dem Kostümfundus wird in diesem Jahr nicht fehlen. Bleibt nur zu hoffen, dass diese auch „gerecht“ vonstattengeht…

(Nähere Infos zum Spielplan 2015/16, zum Saisonauftakt und zum Theaterfest unter www.rlt-neuss.de)