Alles hat seine Zeit

28. August 2015 | Von | Kategorie: Neusser Leben

Mit diesem Song-Zitat der Puhdys lud der scheidende Regiments-Oberst Dr. Heiner Sandmann zu seinem letzten Ehrenabend. Nicht die einzige pragmatische Lebensauffassung, die der passionierte Schütze des Reiterkorps auf Lager hat.

Vorsicht: Ich bin kein Schütze. Kurz vor dem Abi brachte ich mal einen Zug ins Rollen, der auch heute noch aktiv dabei ist. Schön, wenn ich die Jungs treffe. Die immensen Streitereien über zu dunkle Unterhosen, entweichende Körperwinde zur falschen Zeit, unkorrektes Gehen oder auch fehlende Orden und Marschbefehle gingen mir zu sehr auf den Keks. So sehr, dass ich ausstieg. Aber es geht hier nicht um mich. Hier geht es um den Mann an der Spitze des Regiments, für den unpassendes Verhalten oder offene Knöpfe am Stehkragen ein inakzeptables Gräuel sind: Oberst Heiner Sandmann. Na, das kann heiter werden.

Lust auf eine Kastration?

Ich muss in Dr. Sandmanns Tierarzt-Praxis erst einmal warten. Die Zahn-OP bei einem Hund verlief aufwendiger, als erwartet. Eine knappe Viertelstunde später sitzen der Doktor und das liebe Ich in seinem bescheidenen Büro. „Das passiert“, demonstriert er mit seinen Fingern, „wenn der Zahn drei Wurzeln hat. Dann muss ich erst mal hier sägen und da schneiden…ist aber kein Problem.“ Patient also wohlauf. Wuff, das ist die Hauptsache. Ich frage mich, ob die Arbeit der Grund dafür ist, dass er aufhört. Wie viel Zeit nimmt der Posten als Oberst in Anspruch? „Viel. Sehr viel. Man kriegt schon gar nicht mehr mit, wie viel. Ich gehe zu den Zügen zum Fackelbau, ich besuche auf Wunsch auch Zugtreffen, wenn es Dinge zu klären gibt. Es ist immer irgendwas. Man kann aber nur wissen, was wirklich läuft, wenn man bei der Basis ist“, erklärt er mir. Dass Oberst Sandmann bei seinen „Jungs“, wie er die Schützen nennt, beliebt und angesehen ist, hatte ich bereits vorher erfahren. Ebenso, dass er nur zehn Jahre Oberst sein wollte und es nun fünfzehn Jahre geworden sind. „Ich halte es für falsch“, antwortet er auf die Frage dazu, „so lange wie möglich an einem Amt zu kleben. Der Verein ist extrem alt, obwohl wir viele gute junge Leute haben, die Dinge sicher genauso gut oder noch besser machen können“, so der 62-Jährige. „Das Amt ist verführerisch, sich selbst zu wichtig zu nehmen. Aber es ist ein Amt und nicht man selbst. Das darf man nie vergessen, sonst funktioniert das nicht“, mahnt er, steht auf und fragt: „Wollen Sie zugucken? Ich muss mal eben nach nebenan zu einer Kastration.“ Mein zögerliches Kopfschütteln quittiert er mit einem lächelnden „bin gleich wieder da“. Pragmatisch, der Mann.

Herrjeh, ein Nichtneusser!

Dass er selbst einst Oberst wurde, war für ihn schon überraschend, war er doch als Nichtneusser evangelischen Glaubens in zweiter Ehe lebend für viele nicht gerade das Paradebeispiel eines Regimentsführers. Aber da irrte er. Heiner Sandmann wurde Jahr für Jahr mit überwältigender Mehrheit gewählt. Wie war das erste Mal eigentlich? „Das weiß ich noch wie heute. Die erste Wahl war dramatisch aufregend. Das erleben zu dürfen, das ist schon genial. Wenn man dann von einer vollen Stadthalle beklatscht wird, das ist Gänsehaut pur“, so der Tierarzt und passionierte Reiter. Über das Reiten kam er übrigens zum Schützenfest. „Wir waren damals nach Neuss gezogen und hatten hier unsere Praxis eröffnet. Und da das Reiterkorps dünn besetzt war, bin ich damals einfach gefragt worden, ob ich nicht mitmachen möchte“, erinnert er sich. Dass ihm norddeutsche Distanz innewohnt, weil er, wie oft gemeint wird, ein Kieler Junge ist, stimmt nicht wirklich. Dort geboren ist er und auch „Platt schnacken“ ist kein Problem. Da sein Vater aber beruflich öfters umziehen musste, verbrachte Heiner Sandmann seine Kindheit und Jugend auch in Elmshorn, Braunschweig, Duisburg und Kassel. Seit er in Neuss ist, begeistert ihn das Bürger-Schützenfest. „Ich finde es einfach fantastisch, wie diese Stadt das Fest trägt und umgekehrt. Das gibt es in anderen Städten so nicht. Das ist faszinierend, eine andere Jahreszeit! Ich freue mich immer wieder sehr darauf.“

Ich mach mein Ding

So erfrischend seine Begründung der Amtsniederlegung ist, fällt auch seine Reaktion auf die Frage, ob er etwas vermissen wird, aus. „Nichts“, lächelt er und zuckt mit den Schultern, „was soll ich vermissen? Ich bin mit mir komplett im Reinen. Außerdem bleibe ich ja Schütze.“ Da passt es , dass „Ich mach mein Ding“ von Udo Lindenberg zu seinen Lieblingssongs gehört. Und gemäß dieser Zeile will er mit seiner Frau nach dem Oberst-Amt verstärkt dem Reisen nachgehen. Kanada, Neuseeland und Australien stehen auf dem Programm. Worauf könnte er eigentlich beim Bürger-Schützenfest verzichten? „Was ich überhaupt nicht abkann, sind sternhagelvolle Schützen. Ich trinke auch gerne zwei, drei Bier. Aber nicht so, dass ich betrunken bin. Deshalb kann man mich auch nicht unter den Tisch trinken. Ich trinke einfach nicht mit“, vertritt Oberst Sandmann gewohnt strickt seine Linie. Hut ab. Und was wünscht er sich für dieses Jahr? „Schönes Wetter! Das ist extrem wichtig. Die Jungs wollen laufen und der König hat nur eine Parade. Und die soll er auch haben.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.