Literarischer Sommer 2015 – Reisen ins eigene Leben und in die Vergangenheit

5. August 2015 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

In gewohnt abwechslungsreicher Manier präsentiert sich auch in diesem Jahr das deutsch-niederländische Literaturfestival „Literarischer Sommer / Literaire Zomer“. Sechs deutsche Städte, Aachen, Bedburg-Hau (im Museum Schloss Moyland), Düsseldorf, Krefeld, Mönchengladbach und Neuss, und 2 niederländische, Kerkrade und Vaals, beteiligen sich am Festival, das vom 28. Juni bis zum 9. September läuft. 29 Veranstaltungen werden geboten, in denen der Fantasie freien Lauf gelassen wird und dem Erlebten weiten Raum.

„Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen“, so Franz Kafka (1883 – 1924). Ein Gedanke, den der Literarische Sommer in seiner 16. Auflage aufgreift. Und so ist es an der Zeit, sich wieder einmal piksen zu lassen. Auswahl dazu gibt es genug: Geschichten aus Süditalien, von der Ostsee oder Afghanistan; Erzählungen über die Liebe, den Karriereknick, das Leben, über Krieg und über Abenteuer.
In Neuss ist Arjan Visser am 7. Juli um 19:30 Uhr in der Stadtbibliothek zu Gast, der aus seinem Roman „Der blaue Vogel kehrt zurück“ liest:

In letzter Minute konnte der Hobbyboxer und Diamantenschleifer Jonah Jacobsen vor den Nazis aus den Niederlanden fliehen. Sein brasilianisches Exil meint es gut mit ihm. Dort findet er die große Liebe und einen wertvollen Stein. Doch sein Leben lang wird er verfolgt von der Erinnerung: „Lass mich hier nicht zurück …“. Nach sechs glücklichen Jahrzehnten ist aus dem muskulösen, lebenshungrigen jüdischen Mann von einst ein gebrechlicher alter Herr geworden. Nach dem Tod seiner Frau und seines besten Freundes bindet ihn nichts mehr an Südamerika. Wohl aber an Amsterdam. Denn seine damalige Fluchthelferin Linda war angeschossen worden, Jonah ließ sie verletzt zurück und floh allein. Sie wiederzusehen ist seine Hoffnung.

Hochbetagt, beinahe 90 Jahre alt, möchte er mit der Reise nach Amsterdam sein Leben in Ordnung bringen. Aber ein kapitaler Schwächeanfall mit folgenschwerem Sturz bringt ihn vorher ins Krankenhaus. Dort führt er die teils reale, teils gedankliche Aufarbeitung seines Lebens zwischen Wachsein und Trance fort. Er entschwindet mehr und mehr der körperlichen Welt, bis er sich vollständig vom Irdischen löst.

Der in Amsterdam lebende Autor Arjan Visser, geboren 1961 in Werkendam (Noord-Brabant), arbeitet als Journalist und freier Schriftsteller. Sein Debütroman „De laatste dagen“ (2003) wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem renommierten Anton Wachterprijs, und für den AKO-Literaturpreis nominiert. „Der blaue Vogel kehrt zurück“ ist sein vierter Roman.

„Risiko“ – ein Spiel mit der Weltgeschichte

Auf eine ganz andere Reise schickt Steffen Kopetzky den Leser in seinem Buch „Risiko“, aus dem er am 15.7. am Neumarkt liest. Er hat einen funkelnden Abenteuerroman geschrieben, der auf historischen Fakten beruht. Kopetzky folgt einer legendären Afghanistan-Expedition auf der 5000 Kilometer langen Tour und begegnet historischen Personen wie Lucien Camus, dem Vater von Albert, oder Alois Musil, auch genannt Musil von Arabien. „Eine der atemberaubendsten Lektüren in diesem Jahr … Mich hat ‚Risiko‘ in einen regelrechten Leserausch versetzt“, so Denis Scheck, ARD Druckfrisch. Auch Christoph Schröder vom Tagessspiegel teilt das Lob: „Ein deutschsprachiger Geschichts- und Abenteuerroman, ungemein intelligent und klug verzahnt mit der Gegenwart, geradezu hemmungslos unterhaltsam und spannend noch dazu.“
Der gleiche Ort, eine andere Zeit: Afghanistan 2003 aus der Sicht des Autors Norbert Scheuer. Weniger die politischen Konflikte und seine Tätigkeit als Sanitäter der Bundeswehr beschäftigen Paul Arimond im Roman „Die Sprache der Vögel“, als er nach Afghanistan geschickt wird. Den 24-jährigen Ornithologen interessiert die vielfältige Vogelwelt des Landes, das schon sein Ururgroßvater auf der Suche nach der Universalsprache der Vögel bereist hat. Doch es gelingt ihm nicht, seine Schuldgefühle nach einem von ihm mitverursachten Autounfall zu verdrängen, und allmählich verliert der sensible Vogelliebhaber die Kontrolle über sich selbst. Inmitten einer zunehmend gefährlichen Bedrohungslage beginnt Paul immer unberechenbarer und anarchischer zu handeln.
Norbert Scheuer verbindet in seinem für den diesjährigen Leipziger Buchpreis nominierten Roman, aus dem er am 22.7. in der Neusser Stadtbibliothek liest, Kriegskulisse, Vogelkunde, Familien- und Liebesgeschichte und fordert seine Leser auf, die offenen Stellen dieses kunstvollen Textes selbst zu füllen.
Das Festival lädt ein, auf Entdeckungstour zu gehen. Das Repertoire ist groß, weit gesteckt wie die Facetten des menschlichen Daseins; weit und rätselhaft. Rätselhaft wie auch der erstaunliche Erfolg des Mammutwerkes „Das Büro“ des Niederländers J. J. Voskuil, der in einer Art siebenbändiger Seifenoper den in keiner Weise aufregenden Alltag unscheinbarer Angestellter beschreibt. In einer fünfteiligen Ringlesung geht der Literarische Sommer auch diesem Phänomen nach.

(Nähere Infos zu den Veranstaltungen, Preisen und Orten unter www.literarischer-sommer.eu)