Jazz, Graffiti und Lebenswege

9. März 2015 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Jazz, Graffiti und Lebenswege

1933 lebten in Neuss 227 Menschen jüdischen Glaubens. 49 davon flüchteten, die anderen blieben; wurden deportiert und ermordet. Im November 1942 gab es in Neuss keinen jüdischen Bürger mehr. Die Schatten der Vergangenheit, sie lasten schwer auf Deutschland. Nicht vergessen, ist ein erklärtes Anliegen. Nicht stigmatisieren auch. Die Generationen danach, sie haben die Chance, daraus zu lernen, Integration und ein Miteinander zu schätzen. An vielen Stellen ist das längst Alltag. Jüdische Kultur ist heute wieder Teil unserer Gesellschaft, bewusst, auch selbstverständlich. Die Jüdischen Kulturtage fördern dies. Vom 22. Februar bis 22. März werden im Rheinland 355 Veranstaltungen geboten. Neuss beteiligt sich auch 2015 mit einem vielseitigen Programm aus Lesungen, Ausstellungen, Film und Tanz.

Die Jüdischen Kulturtage im Rheinland erinnern in diesem Jahr mit ihrem Motto „angekommen – jüdisches [er]leben“ an das Kriegsende 1945. Vor 70 Jahren begann für die Überlebenden der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft eine Reise in ein neues, noch ungewisses Leben. Sie kamen aus dem Elend. Ihr Gepäck waren die Erinnerungen an die unvorstellbaren Grausamkeiten. Um sie herum nur Zerstörung und die Auswirkungen des 2. Weltkrieges. War unter diesen Bedingungen ein Leben wieder möglich, ein jüdisches Leben im Nachkriegsdeutschland? Konnte es einen Neuanfang geben? Wie und wo?

Diejenigen, die den Neuanfang wagten und Vertrauen in ihre Zukunft in Deutschland setzten, sind heute angekommen. Sie sind Bürgerinnen und Bürger, überwiegend schon in dritter oder vierter Generation. Sie gründeten ein jüdisches Leben, mit Gemeindezentren, Synagogen, jüdischen Kindergärten, Schulen und einer Infrastruktur, die das „angekommen – jüdisches (er)leben“ jeden Tag bestätigt. In Nordrhein- Westfalen leben derzeit 29.000 eingetragene Gemeindemitglieder in 19 jüdischen Gemeinden. Im Rheinland sind es 22.000 jüdische Menschen, die in neun jüdischen Gemeinden eine Heimat gefunden haben.

Kultur als Brückenschlag

Kunst und Kultur spielen eine große Rolle im jüdischen Gemeindeleben. Dies zeigt sich auch im umfangreichen Programm der Jüdischen Kulturtage im Rheinland, die ins Leben gerufen wurden, um kulturelle Aktivitäten als Brückenbauer zu nutzen und so Gemeinsamkeiten entstehen zu lassen. Unterschiedliche Lebensformen, Religionen und Sprachen finden über den Austausch zueinander und geben Beispiele für ein vertrauensvolles Zusammenleben. Eine wichtige Aufgabe, der sich die 15 Städte, ein Kreis, der Landschaftsverband Rheinland sowie die 9 jüdischen Gemeinden der Region in diesem gemeinsamen Projekt stellen. Die Förderung u.a. durch NRW-Ministerien, den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein und der Landeshauptstadt Düsseldorf weist auf die Bedeutung. Ebenso die Schirmherrschaft, die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster übernommen haben. Zudem ist als Kulturpartner WDR 3 mit im Boot.

Das Veranstaltungsangebot ist weit gefächert, reicht von Fotografie, Musik, Tanz, Film und Lesungen und zieht den Bogen von der Vergangenheitsbetrachtung bis zur zeitgenössischen Kunst. Auch in Neuss. So zeigt das Hitch-Kino am 22.03. „Der letzte Mentsch“ mit Mario Adorf. Vergessen hat dem Holocaust-Überlebenden Marcus ein Weiterleben ermöglicht. Doch am Lebensende keimt in ihm der Wunsch auf, als Jude beerdigt zu werden. Das ist leichter gesagt als getan, denn Marcus muss erst beweisen, dass er jüdischer Abstammung ist.

Den Fragen, woher jüdische Einwanderer nach Deutschland kommen, warum und mit welchen Erfahrungen, begegnet die Ausstellung „Angekommen!? Lebenswege jüdischer Einwanderer“ in der Stadtbibliothek bis zum 21. März. Die Alte Post zeigt Holzschnitte, Zeichnungen und Skulpturen des in Israel geborenen Künstlers Abi Shek (Ausstellungseröffnung am 01.03.). Zudem wird der Neuss-Düsseldorfer Graffiti-Künstler Kj263 hier am 5.3. von seinen Erkundungen der israelischen Graffiti-Szene berichten und das Axel Fischbacher Trio, featuring Ohad Talmor, am 8.3. Jazz-Schmaus bieten. Im Romaneum ist am 10.3. der Autor David Safier zu Gast. Seine Romane „Mieses Karma“, „Jesus liebt mich“, „Plötzlich Shakespeare“, „Happy Family“ und „Muh“ erreichten Millionenauflagen. Sein neues Buch „28 Tage lang“, aus dem er an diesem Abend liest, zeigt eine weitere Seite des Erfolgsautors. Erzählt wird die Geschichte der 16-jährigen Mira, die sich im Warschauer Ghetto dem Widerstand anschließt.
(Infos zum Neusser Angebot und über alle Veranstaltungen der Jüdischen Kulturtage Rheinland unter www.juedische-kulturtage-rheinland.de)