Eine Prise Salz in die uniforme Soße

2. März 2015 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

„Ins Weite schrumpfen“ von Katja Hensel im Theater am Schlachthof

Hochglanzmagazine, architektonische Wunderwerke und exotische Reisen, die Welt ist Genuss. Wer den Mix aus Karriere und Spaß beherrscht, dem blüht das Leben. Willkommen in der heutigen Zeit! Wir sind ganz oben, haben eine Menge erreicht. Globalisierung heißt das Zauberwort. Wer will, der kann. Wer kann, der wird; selbstbezogen und lustorientiert geht es nach vorn. Nur ist da diese seltsame Leere unter dem Überfluss. „Langweilt mich!“, das haben wir schon gehört. Der Käfig ist vergoldet, doch wo kommen neue Perspektiven her? Die Berliner Autorin Katja Hensel nimmt sich dem Problem an. Und siehe da, ihre Erkenntnis, sie wiegt folgenschwer: Die Welt, sie schrumpft – demografisch wie moralisch. Im Theater am Schlachthof kann man es jetzt miterleben. Doch keine Angst, dem kollektiven Schrecken wird mit gehörig skurrilem Humor entgegengewirkt.

Ich sehe keine Unterschiede mehr. Wo ich auch bin, eine uniforme Soße.“ Robert ist Journalist, ein aufgeweckter, begabter Kerl, mit dem gewissen Gespür für die richtige Story. Zumindest war er das einmal. Gerade allerdings befindet er sich in einem kreativen Loch. Alles schon gesehen, alles schon geschrieben. Wo man hinschaut, nichts Neues in Sicht. Alles glänzt, ist aufpoliert. Nicht nur die Städte. Es gibt keine Ecken und Kanten mehr. Eins gleicht dem anderen, eine Folge des globalen Denkens.

Ein richtiges Thema muss her, das noch den Kern trifft. „Schrumpfende Städte“, das ist es. Hier könnte Aufregung zu finden sein. Meint Robert. Sein Verleger Hans-Maria sieht das jedoch anders: „Mich stört dieses Engagierte. Das muffelt so nach WG-Küche.“ Warum den schönen Lack abschaben? „Unser typischer Abonnent hat den Zenit seines Lebens überschritten und rollt nun ganz langsam dem Sarg entgegen.“ Es ist kein Geheimnis, dass die Bevölkerung überaltert. Die Konsumenten auch. „Das ist eine lange Fahrt abwärts, oft länger als der Aufstieg, da will man gut unterhalten werden.“ Die Gesellschaft schrumpft. Die Vororte sind längst verwaist. Aber will das einer wissen? „So ein alter Sack interessiert sich für jungen Wein, eine verlassene Gattin für die neuen Länder. Hoffnung. Sex. Bequeme Anreisemöglichkeiten“, damit, so Hans-Maria, kann man Quote machen. Und überhaupt: „Schreib was Schönes. Das tut dir auch selber gut.“

Im Dilemma der Sinnlosigkeit
Stimmt, Robert braucht Auftrieb. Schaffenskrise, Beziehungsprobleme und dann ist da noch die Sache mit dem Älterwerden. Die Augen machen nicht mehr richtig mit und der Bauch hat sich in genussvolle Breite gedehnt. Prickeln tut es lang nicht mehr. Egal, wohin er schaut.

„Ich integriere pausenlos die weichen Ränder des wachsenden Europas und sehe gar nicht mehr, wie knallhart begrenzt meine eigene Beziehung funktioniert“, erklärt seine Freundin Anka, die wie er nach lebensbejahender Sinnhaftigkeit sucht. Igor hat sie auf ihrem Weg schon gefunden. Wer weiß, vielleicht kann sie ihm weiterhelfen; oder er ihr. Und derweil Robert noch nach eigenem Fortkommen strebt, wird sein Leben schon von außen angeschoben. Denn die fesche Vivi aus dem Fitnessstudio bringt ihn auf Trab. Dann ist da noch das Ehepaar Montag im verlassenen Randgebiet. Durch den Bildband des Jahres „Hallo ist da noch jemand. Vom Verschwinden der Städte“ ist Robert auf den vereinsamten Stadtteil aufmerksam geworden. Die Straßenschilder wurden abmontiert, als der letzte Mieter die Wohnung verließ. Nur das bizarre Pärchen lebt noch hier. Sie rennt durch die Wohnungen und entzündet vereinzelt Licht. Er erfreut sich über das aufflackernde Leben im Block. Und wenn es doch zu triste wird, dann schiebt Frau Montag ihren Mann in die Sonne, damit seine Augen wieder strahlen.

Spielfreudiger Galopp über Abgründe
Etwas skurril ist die Story schon, futuristisch anmutend das Szenario. Die Gedanken, an denen die Geschichte entbrennt, sind jedoch nicht aus dem Himmel gegriffen: Shrinking Cities (schrumpfende Städte), Geburtenrückgang, Werteverlust und Oberflächlichkeit, das sind reale Gesellschaftsprobleme der Zeit. Wie sie hier durchleuchtet werden, hat allerdings eigentümlichen Charakter. Filzstift gegen Speck und Scheinehe gegen Langeweile, mit Einfällen zaudert die Komödie nicht.

Nach „Das Meerschweinchen“ und „Ein kleines Spiel so nebenbei“, ist „Ins Weite schrumpfen“ die dritte Regiearbeit von Katja Lillih Leinenweber am TaS. Einmal mehr durchleuchtet sie das Thema Beziehung mit Wortwitz und Absurditäten; und diesmal hinsichtlich Schrumpfpotential und Weltentfremdung. Hier verdorrt das Leben, und obendrein die Macht des Mannes. Ein heiter flotter Abend, der im Galopp über gesellschaftliche Abgründe springt.
(Nähere Infos unter www.tas-neuss.de)