Der neue Schwelm ist da: „Neuss ist schöner wie Paris“

5. November 2014 | Von | Kategorie: Neusser Leben

Der 2. Roman des Neusser des Neusser Kabarettisten, Comedian und Slam-Poetry-Hosts Johannes Schwelm trägt diesen grammatikalisch schrägen Titel. Um es vorweg zu nehmen, das Buch hält Wort.

Dem Erstling „Das kranke Haus“ folgt nun mit „Neuss ist schöner wie Paris“ (Ludwigsfelder Verlagshaus ISBN 978-933022-83-7) ein etwas anderer Heimatroman, eine „Dramedy“, eine Tragik-Komödie: Ich-Erzähler Christoph Häusser hat seine Kindheit und Jugend in einem Heim in Wesel verbracht. Er ist 19 und versucht das Trauma einer spontanen, für ihn selbst unerklärlichen, Gewalttat nach offenem Vollzug und psychologischer Betreuung durch einen „Tapetenwechsel“ hinter sich zu lassen. Neuss wird seine neue Heimat. Denn hier wohnt seine schrullige Tante Else. In Neuss hat er ein Dach über dem Kopf und kann einen Job in einem Jugendzentrum antreten. Er hat einiges grade zu rücken, wird von einer Liebessehnsucht getrieben, wird Kontakte knüpfen, Joberfahrungen machen und seine Sexualität ausloten müssen. Im Job fühlt er sich durch aggressive Jugendliche bedroht. Es sind Menschen wie der schwule polnische Büdchenbesitzer Antek (dessen Zitat den Roman betitelt), Tante Else, später seine große Liebe Yvonne, sowie der stets positiv eingestellte, geistig gehandicapte Christian, die ihm Neuss letztendlich zur Heimat machen.

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Einige Fragen an den Autor:

Ich bezeichne das Werk augenzwinkernd als Heimatroman. Als Neusser und vor allem Further sind mir viele Handlungsorte sehr vertraut. Hättest du den Roman auch in, sagen wir mal, Düren handeln lassen können?

Nein. Ich kann nur Orte beschreiben, die ich kenne. Meine Methode würde ich als Montage bezeichnen. Sie setzt sich zusammen aus Erlebtem, Beobachtetem und Erdachtem. Daraus entstehen Ort, Personen und Handlung. Vielleicht jeweils zu einem Drittel. Aber das heißt nicht, dass man in Düren den Roman nicht verstehen und lieben kann. Da steckt halt immer der Rheinländer Johannes Schwelm drin. Das ist auch bei meinen Parodien so. Ob Kleinstadt, Großstadt, Vororte, Provinzielles ist überall. Ob man mich in Bayern versteht, da bin ich mir nicht so sicher. Aber, gerade fällt mir ein, ich parodiere ja auch den Beckenbauer ganz gut…

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Zurück zum Buch, der Protagonist des Romans Christoph Häusser kommt aus Wesel…

Ja, ich kenne Wesel ein wenig, bin dort schon öfters aufgetreten. Ich habe Wesel als aufgeräumt, überschaubar und ordentlich empfunden. Das war für mich genau der richtige Ort für meinen Helden Christoph. Der sollte in einem guten Heim mit guten Erziehern aufwachsen, die es natürlich genau so gibt, wie üble. Neuss als seine wichtige Station hat dann eine großstädtische Steigerung.
Bevor wir noch etwas tiefer den Protagonisten betrachten, ist es angebracht auf weitere „Hauptfiguren“ einzugehen, Else und Antek. Else kenne ich schon aus deinen ganz frühen Bühnenprogrammen.
Else hat ein reales Vorbild in meinem Umfeld. Mit ihrem schroffen Neusser Dialekt und radikal konservativen Ansichten ist sie nur schwer zu ertragen. Im Roman ist sie Christophs Hoffnung auf ein wenig Familienidyll. Stattdessen läuft alles anders…

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Was wir hier nicht verraten. Gehen wir zu Antek.

Antek ist auch eine Figur aus meinen Bühnenprogrammen. Mit seinem Büdchen auf der Furth habe ich ihm einen Ort gegeben, an dem sich diese sympathische Figur entfalten und mit anderen Gestrandeten kommunizieren kann.
Antek, mit dem kreativ-lustigen Polski-Sprech, ist schwul und trifft auf den Gewaltverbrecher Christoph. Das könnte auch der billige Plott einer Scripted Reality im TV Nachmittagsprogramm sein.
Ist es aber nicht, denn der Christoph ist kein typischer Jugendlicher. Er reflektiert Gesehenes und Gelesenes, setzt sich mit seiner Umwelt auseinander. Er trägt das große Thema Schuld auf seinen Schultern, was ihn zu erdrücken scheint. Trotzdem hat er so viele liebenswerte Seiten. Die Gewissensbisse machen ihn zu einem kompletten Menschen.

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Gibt es aus deiner Sozialarbeit eine Blaupause für Christoph?

Nein, Christoph ist aus viel Erfahrung montiert. Als Student habe ich in einem Jugendzentrum gejobbt, mit Behinderten und Heimkindern gearbeitet. Bin in der Sozialarbeit straffälligen Gewalttätern begegnet, die nett und fürsorglich waren, ihre anderen Seiten zeigten. Widersprüchlich. Denn die Tat steht immer im Raum. In großen Buchstaben: Dein Leben ist versaut! Das alles ist in Christoph.
Dein Roman spielt in der Gegenwart. Aber dein Protagonist läuft ruhelos um die Blocks, hat kein Smartphone, liebt Musik aus den 90ern fern von NDW und Ballermann, die also ein Jugendlicher kaum kennen dürfte. Er schnappt beim Treppensteigen nach Atem.
Ja, das ist Retro, 90er, wie ich. Aber doch irgendwie denkbar. Schließlich ist Christoph Häusser anders. Es unterstreicht seine Person. Ich sehe ja auch, dass die Kids im Bus und sonst wo nur noch übers Smartphone kommunizieren. Das habe ich aber weggelassen, weil es nicht meine Welt und nicht relevant für den Roman ist. Das mit den Treppen ist der Schwelm in der Figur Christoph. Wie du vielleicht weißt, ich war Deutscher Meister im Team-Radfahren, bin die Berge rauf und runter geradelt und bin trotzdem auf jeder Treppe ins Schnaufen geraten. Dieses zumindest für die Leser lustige Handicap lasse ich im motorisch rastlosen Christoph weiter leben.

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Abschließend, neben den gut heraus gearbeiteten Romanfiguren haben mir als gebürtigen Neusser auch die Präzision der Orte, ja sogar die Existenz der Buslinien Vergnügen bereitet. Das Drama und die Komödie deines Romans halten sich für mich wirklich die Waage. Was ist dein Fazit?

Mit dem Roman bin ich zufrieden. Jetzt ist aber Zeitmanagement angesagt. Denn soweit es Arbeit, Auftritte und mein kleiner Sohn zulassen schreibe ich aufs Neue. Im nächsten Roman schreibe ich über meine Tingelei als Comedian. „Meine hundert schlimmsten Auftritte. Ein depressiver Komiker packt aus“, wird er heißen. Ich werde z.B. vom völligen Desaster berichten, als ich meine Reiner-Calmund-Show bei der 2. Wahl zur rheinland-pfälzischen Milchkönigin aufgeführt habe. Oder wie mir ein Schützenkönig nach 10 Minuten das Mikro aus der Hand gerissen hat, weil mich keiner lustig fand. Komik ist eine todernste Angelegenheit. Und es gibt nichts Sinnloseres als einen Komiker, der nicht lustig ist. Aber ich glaube, es wird ein lustiges Buch. Ich hab jedenfalls Spaß beim Schreiben.