Alte Post im Jubiläumsjahr: Absurdes Theater von Sławomir Mrożek

4. November 2014 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Reden gegen Schicksal

Vor 25 Jahren wurde das Kulturzentrum Alte Post im ehemaligen preußischen Postamt eröffnet. In seiner Funktion als Vorbereitungsstätte auf professionelle künstlerische Ausbildung, als Galerieplatz und Kleinkunstbühne ist es ein Vorzeigeobjekt mit Zuspruch weit über die Neusser Grenzen hinaus. Im Kostenaufwand viel diskutiert, aber auch gerade in der Ausbildung herausragend und sehr erfolgreich, kämpft die Alte Post stets ums Bestehen. Was an Leistung in diesem Haus steckt, beweist es einmal mehr durch die aktuelle Premiere von Sven Post, einem eindringlichen Theaterabend gebaut aus den Einaktern des polnischen Gesellschaftskritikers und Erfolgsautors Sławomir Mrożek.

Verschiedener könnten sie kaum sein, die zwei Männer, die unter der Treppe gemeinsam in einem Raum im Keller hausen. Einer trägt bevorzugt Hemd und Anzug und versinkt in seinen Büchern. Der daneben hat mit Ästhetik nichts im Sinn, ist einfach im Gemüt, kein Intellektueller. Er ist ein Arbeiter, der im verschwitzten Unterhemd und durchlöcherten Socken auf seiner Pritsche rumlungert, wenn er nicht am Malochen ist. „Bin ich ein Hund, dass ich Hundefutter esse?“ Er ist einer, der raucht und prahlt, und schwindelt. Er ist hier, um Geld zu verdienen, um zurück zu seiner Familie zu reisen, als einer, der es geschafft hat. Es ist Silvester. Hier unten ist es kalt und dunkel. Oben, da lachen andere. Aber mit denen haben sie nichts zu tun. Sie sind allein. Sie reden. Jeder auf seine Weise. Der eine analysiert und philosophiert. Der andere versteht kein Wort von dem, was sein Gegenüber reflektiert. „Wenn du nichts willst, warum redest du dann?“ Er hat Muskeln, ist ein Mann, hat sexuelle Fantasien und kann hart arbeiten. Und sehnt sich nach Heimat. Wie sie heißen, erfährt man nicht. Von ihnen mag es viele geben. Dennoch haben sie eins gemeinsam. Sie sind Emigranten, kommen aus Polen und sind hier nicht zu Hause.

Bitterböse Zerfleischung

Die Suche nach sich selbst und nach Existenzberechtigung steht im Mittelpunkt des Einakters „Emigranten“ von Slawomir Mrożek, den Sven Post mit seiner Inszenierung „Der Hirsch/ Emigranten/ Auf hoher See“ in der Alten Post aufgreift. Mrożek ist in seiner skurrilen, stichsicher sezierenden Betrachtungsart und attackierenden Gnadenlosigkeit einer seiner Lieblingsautoren. „Er war zunächst selbst ein strammer Stalinist unter russischer Knute, hat dann aber später satirisch scharfe Bühnenstücke geschrieben und damit geschickt das Leben unter der Polizei-, Partei- und Staatskontrolle kritisiert“, so Post. „Ich finde ihn hochaktuell und freue mich, dass wir rund ein Jahr nach seinem Tod mit unseren Produktionen an ihn erinnern.“ Um Mrożeks Gedanken Raum zu geben, begnügt er sich nicht nur auf dieses eine Stück des polnischen Autors, sondern kreiert einen zweieinhalbstündigen Theaterabend aus drei Werken. Im Zentrum der Kellerraum der „Emigranten“, daneben das Floß von „Auf hoher See“. Auch diese Protagonisten kämpfen um ihre Existenz, versuchen sich gegeneinander zu behaupten. Die Situation hier nur bei weitem absonderlicher angelegt: Drei auf einem Floß und der Proviant am Ende. Einer muss zur Speise geopfert werden. Die Demagogie beginnt.

Sehnsucht mit Realität unterkühlt

Markant der Einfall, die Gondel aus „Der Hirsch“ vor der Szene der Emigranten vorbeiziehen zu lassen. Bühnentechnisch schlicht wie eindrucksvoll umgesetzt, schiebt sich die lärmende Meute Reisender an den Zuschauern entlang, derweil sich im Inneren die Hatz auf einen „Aufmüpfigen“ vollzieht. Hier wie dort sind es die gleichen subtilen, beängstigenden Mechanismen einer „wohlfunktionierenden“ Gesellschaft, die sich selbst zersetzt. Mrożek hält dem Mensch den Spiegel vor. Und dem Betrachter. Er enttarnt die schöngeredeten Lügen gerechten Miteinanders. Zwei Möglichkeiten gibt es, unter „Mitmenschen“ nicht unterzugehen: Macht ergreifen oder sich den Mächtigen ergeben, manipulieren oder ducken.

Sven Post gelingt es, den Kern des Stoffs erschütternd wie pointiert aufzugreifen. Schockierende Einsichten flankiert er mit spitzem Witz, arglistige Angriffe lässt er mit Worten weichreden, Sehnsucht mit Realität unterkühlen. Die Bedrohung ist da, von allen Seiten, auch wenn sie keinen Namen trägt. Sie kommt aus jedem Einzelnen, aus der Dummheit wie aus der Intelligenz; und mit Wucht aus der Masse.

Anspruchsvolle Kost packend umgesetzt

Rund ein Dutzend Darsteller aus den beiden Erwachsenenensembles der Alten Post sind in diesem Mammutwerk auf hohem Niveau im Einsatz. Herausragend die Leistung von Falk Merlin Grossmann, der einen so einfachen wie arglosen, aggressiven wie verletzlichen Gastarbeiter gibt, der in dieser Welt verzweifelt seinen Platz sucht und längst verloren ist. Posts Spiel durchleuchtet vielschichtig und akzentuiert gesellschaftliche Zwänge und Machenschaften. Zwar hätte die Kombination von „Emigranten“ und „Der Hirsch“ gereicht und vielleicht den Abend noch prägnanter und ohne Exkursion auf den Punkt gebracht. Über die „Weltenverknüpfung“ mittels „TV-Ausflug“ kann man ebenfalls unterschiedlicher Meinung sein. Dennoch, es ist ein ideenreicher, ambitioniert ausgeklügelter Theaterabend. „Hut ab!“ für Regie und Ensemble.

(Weitere Infos und Aufführungstermine unter www.altepost.de)