Am Schöpfen scheitern

8. Oktober 2014 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Auftaktpremiere der Intendantin am RLT: „Das Himbeerreich“ von Andres Veiel

Sie sind mächtig, schieben dreistellige Milliardensummen hin und her und ziehen die Fäden des Landes. Wirtschaft wird hier gemacht, die Politik sitzt mit im Boot. Sie sind Investmentbanker, ihre Büros nah am Himmel gebaut. Ganz oben, hoch oben in den Towern der großen Bankhäuser; in den Vorstandsetagen der Finanzgiganten. Kaum einer, der ihr Geschäft versteht. Doch so schnell, wie sie aufsteigen, so abrupt werden sie „abgeschossen“. Andres Veiels Stück erzählt von ihnen, von ihrem Antrieb, ihrer Gier, ihrer Machtbesessenheit. Ein Einblick in eine eigene, sonst weitestgehend hermetisch abgeriegelte Welt mit speziellen Gesetzen. Von der RLT-Chefin Bettina Jahnke eindringlich, akzentuiert und nachdenklich in Szene gesetzt.

The sky is the limit“, sagt einer von ihnen, der aufstrebende Hedgefonds-Trader Modersohn. Und seine Augen leuchten. Aber nur dann, wenn er von seinen großen Taten berichtet, von den Coups, die er gelandet hat. Da oben, wo es so rasant schnell für ihn hinging, weil er es wagte und kühn sein Ziel fixierte, etwas bluffte und einfach mithielt, denn verstehen kann man das alles nicht. Auch er nicht. Die richtige Strategie, darauf kommt es an. Und schnell sein, schneller als die anderen. Und selbstsicher, sonst geht es nicht. Nur keine Schwächen zeigen. Klar, Risiken gibt es. „Die Schöpfungsgeschichte ist auch durch Heil und Unheil gezeichnet“, erklärt Frau Dr. Brigitte Manzinger alias Ulrike Knobloch. Und so eine Art „Schöpfer“ sind sie schließlich. Das ist o.k., da sind sie sich einig. Wenigstens da. Sonst kämpft jeder für sich allein. Warum die Welt und die Normalsterblichen draußen verärgert sind, verstehen sie nicht. Sie wollen nur das Beste: Profit. Zumindest für sich selbst. Und wenn die Investition den Bach runtergeht, so kann man noch auf den Untergang setzen. Das rechnet sich auch. Wer fit ist, gewinnt überall, einmal an der Investition, dann an der Versicherung und letztendlich am Untergang. Und weiter geht’s, wieder zu neuen Geschäften. Sie sind fein raus. Verlieren tun andere. Das ist das Business.

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Das Spiel ist aus
Doch jetzt sitzen sie in einer Reihe und starren ins Leere. Der philosophierende Dr. Dr. hc Walter K. von Hirschstein (Joachim Berger), jahrzehntelang im Bankenvorstand, und die kalt zielstrebige CEO Manzinger mit ihrem einstigen Konkurrent Kastein (Henning Strübbe). Mit im Raum sind noch Controller Bertram Ansberger (Philipp Alfons Heitmann), der es kommen sah, und Jungmanager Modersohn (Markus Gläser), der es nicht begreift. Hier unten im Keller. Aussortiert. Bei vollen Bezügen. Ohne Funktion. Aber noch mit Chauffeur. Und fangen an zu reden. Wie das Geschäft läuft, was sie erreicht haben. An der Wand steht einer, der es mit anderen Augen sieht. Immer schon, aber früher hochschauend. Jetzt kommt er zu Wort, der Chauffeur Hinz (Stefan Schleue), der redet und redet, aus dem Volk; was hier keiner hören will.

Bettina Jahnke startet mit einem aktuellen und viel diskutierten Stück in die neue Spielzeit. „Das Himbeerreich“ von Andres Veiel, der vor allem mit seinem Dokumentarfilm „Black Box BRD“ über Deutsche Bank-Chef und RAF-Opfer Alfred Herrhausen bekannt wurde, durchleuchtet die Mechanismen in die Finanzkrise und blickt in die Köpfe der Mächtigen. Mit dem Titel zitiert er die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, die mit „Himbeerreich“ das Paradies BRD benannte. Sein Werk, das 2013 als Co-Produktion in Stuttgart und Berlin uraufgeführt wurde, basiert auf intensiver Vorarbeit und umfangreichem Recherchematerial aus über 20 Interviews mit führenden Bankern. Das Ergebnis ist eine beklemmende Innenansicht in einen gigantischen Machtapparat.

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Hire and fire
„Was man wissen muss, wie geht das System mit Abweichlern um“, setzt einer in den Raum. Es ist Kastein, der das Fachsimpeln unterbricht, der nichts mehr schön redet. Sie sind klug, sind arrogant. Sie erklären und erklären, als wüssten sie alles. Doch das tun sie nicht, sie verkaufen sich nur gut. Hochstapeln bis zum tiefen Fall. Alle tun das. Nüchtern auf die Dinge sehen. „Als Investmentbanker sind Sie mehr am Gewinn beteiligt als jeder Aktionär. Ohne jemals etwas gezahlt zu haben“, sagt Kastein. „Aus einer kleinen Krise macht die Angst eine große“, deklariert Dr. Manziger. Und: „Spekulative Blasen hat es immer gegeben, sie sind ein Teil des Marktregulativs.“ Also bitte keine Panik. Alles nur Hysterie? Die Finanzsphäre ist keine Realsphäre, das muss man wissen.
Die Inszenierung am RLT startet leise, als distanzierte Ansicht und arbeitet sich akribisch in die Menschen vor. Aus den Erklärungen zu Finanzmechanismen und den Rollen der Fädenzieher flackern mehr und mehr ihre Geschichten und ihre Charaktere hervor, bis sich Rationalität in einer Wucht von Emotionalität entlädt. „Wer Himbeerreiche anzündet, kann nicht erwarten, deren Früchte zu tragen”, sagt Hinz, der Chauffeur. Hire and fire, sie kennen das System. Sie sind die Opfer ihrer selbst. „We can be heroes, just for one day“, dringt der Bowie-Song in den Raum. Just for one day. „Das Himbeerreich“ der Hausherrin hat es in sich. Kein leichter Stoff, aber viel Nährwert, den die Regie und die sechs Akteure hervorragend nach außen transportieren. Eine Bearbeitung mit Feingefühl und sauberer Akzentuierung. Eindringlich und äußerst sehenswert.
(Nähere Infos unter www.rlt-neuss.de)