Ein Spiel ohne Spielen

13. Mai 2014 | Von | Kategorie: Neusser Kultur

Palmetshofers „Faust hat Hunger und verschluckt sich an einer Grete“ unter der Regie von Bettina Jahnke im RLT

Faust sucht nach dem Sinn des Lebens. Aber anders als bei Goethe sucht Palmetshofers Faust nicht in der Welt nach dem Kern des Seins, sondern im Menschen. Seine Geschichte baut sich aus Monologen und frontal gerichteten Dialogen, seine Sprache ist kompliziert und komplex. Kein Spiel, nur Worte; und die zu gern in Fetzen zersetzt. Verben werden vernachlässigt, Umgangsphrasen philosophischen Betrachtungsbrocken gegenübergesetzt. Kein leichtes Stück, um es in Szene zu setzen. Hut ab, Bettina Jahnke gelingt es mit ihrer aktuellen Inszenierung am Rheinischen Landestheater wunderbar, aus Sprache Leben zu generieren und schafft einen eindringlichen Theaterabend der Extraklasse.

Es ist die Geschichte von Goethes Faust ins Hier und Jetzt geholt, interpretiert von einem derzeit weit beachteten Gegenwartsautor, von Ewald Palmetshofer. Die Szenerie ist eine Party, eine Grillparty auf dem Balkon eines Mehrfamilienhauses. Sechs Menschen, drei Paare treffen sich so regelmäßig: „Bring what you eat“ und habe Abwechslung! Es wird geredet. Viel. Mit- und übereinander. Und philosophiert; über die Welt, das Leben und den Mensch. Ergiebiges passiert nicht auf diesen Zusammentreffen. Die Abwechslung und Einsicht dort hält sich in Grenzen.

Einer von ihnen, Paul, lädt immer dazu noch seinen alleinstehenden Freund ein. Den unsichtbaren Siebten, der, nur mit einem Sixpack Bier und einem Laptop voll Musik kommend, mehr oder minder begeistert in der Runde aufgenommen wird. Damit auch er in den Genuss gemeinsamen „Glückes“ kommt – wobei sich die Frage nach Glück an sich im Stück durchweg stellt – und nicht alleine bleibt, bittet eine der Frauen ihre ebenfalls alleinlebende Kollegin, eine Sozialarbeiterin, dazu. So sind sie diesmal mit dabei, Heinrich und Grete, Goethes Faust und sein Gretchen, als Widersacher der gutbürgerlichen Konsumgesellschaft. Sehen kann man sie nicht. Die „Freunde“ berichten von ihnen, übernehmen auch abwechselnd ihre Positionen und verleihen ihnen Stimme.

Jeder ist sich selbst Mephisto

Eine Party, wie sie überall sein kann. Eine banale Alltagssituation. Zwei Menschen, die allein sind, sollen verkuppelt werden. Auch nicht ungewöhnlich. Irgendwie passen sie ja zusammen, meinen die anderen. In ihrer Andersartigkeit, so meinen sie. Zumindest passen sie nicht zum Rest der Gruppe. Denn ER ist ein Weltverbesserer. Einer, der mit den etablierten Werten nichts anfangen kann, der nach dem Besonderen, dem Höheren und Absoluten strebt. SIE sucht auch. Nach einer Lebensberechtigung, nach Bedeutung. Die sie auf der „Spießerparty“ nicht findet. So haut sie ab, und er folgt. Und beide landen im Bett. Doch Faust hat Hunger, auf das, was die Welt zusammenhält. Das kann das Glück nicht sein, eine „Sozialarbeiterin, die Samstagabend ganz allein auf einer Spießerparty tanzt“. Zu klein das Glück. Gretes Untergang nimmt seinen Lauf, denn da „wollen zwei das Gleiche, was doch nicht das Selbe ist“. Faust geht wieder nach Afrika, um Latrinen zu bauen. Sie in den Wald. Wo sie ihr Kind gebärt – und tötet. Faust hat Hunger und verschluckt sich an einer Grete. Und sie verblutet am Schluss daran.

Auch wenn das Streben, die Welt im Kern zu begreifen, noch Antrieb der Geschichte ist, so setzt Palmetshofer den Faust ins moderne Gewand, ob von den Werten, den Bildern oder der Sprache. Himmel und Hölle gibt es bei ihm nicht mehr, die Aufklärung hat ihre Spuren hinterlassen. War Mephisto bei Goethe „des Pudels Kern“, war „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ und „der Geist, der stets verneint“, so ist es der Mensch bei Palmetshofer selbst. Er ist sein Unglück. „Im Mensch drinnen ist kein Mensch.“

Wörter zum Vulkan in Kopf und Bauch

Palmetshofers verwobenen Erzählstränge und seine Kunstsprache verlangen dem Publikum hohe Aufmerksamkeit ab. Auch der Regie und dem Ensemble. Bettina Jahnke schafft es, den Wörtern die Bilder folgen zu lassen. Jede Äußerung, ist sie noch so kurz, sitzt und forciert eine Geschichte im Kopf. Wir kennen ihren Hiob und schätzen ihn. Ein Stück dieser Art haben wir von der RLT-Intendantin hier noch nicht gesehen. Jetzt wissen wir, das beherrscht sie ebenso. Ihre sechs brillanten Schauspieler treffen vorzüglich den Ton, laut, leise, zynisch, provokant oder belehrend, ignorant wie sensibel, wo immer es passt. Ein Spot aufs Gesicht. Die Augen erzählen. Sie stehen vor ihren Mikros, mit nichts. Und doch sieht man sie streiten, handeln und flirten, spürt man die Palette des Lebens in ihnen. Sie haben nur ihre Hände, die sie verschränken, über den Hals streichen oder in die Hüfte stemmen. Nicht mehr. Nicht weniger. Und jeden, den sie verkörpern, den hat man schon gesehen. „Ein Teufel kennt den anderen.“ Es ist unsere Welt, die Gesellschaft, in der wir leben. Nur das. „Und plötzlich nur mehr Welt.“ Funken und Pfeilspitzen, Tränen und Entsetzen, Angst und Wegdrehen. 1,5 Stunden Konzentration. Am Anfang zwei Vorhänge, die den Schleier heben. Glasklar der Blick auf tiefe Abgründe. Und Alltag, und Gegenwart und Menschen, die uns umgeben – und der Blick auf uns selbst. Wir mittendrin. 1,5 Stunden gebannt; Theater anders, reduziert im Spielen, nicht in der Situationsgewalt. Ergreifend wie anspruchsvoll, prima gemacht!