Paradoxe Identitätswechsel im Rausch des Spielens

5. März 2014 | Von | Kategorie: Aktuelles

„Perplex“ von Marius von Mayenburg im Rheinischen Landestheater

Eine Rolle ist eine Rolle. Ein Schauspieler ein Schauspieler; und die Bühne ein Abbild der Wirklichkeit. – Doch was ist Wirklichkeit, was Existenz und was nur Einbildung; ist Wahrheit das, was man sieht? Kann man ein Spiel erfassen und muss man das. Ein Spiel ist ein Spiel – und darum spielen sie. Es ist Theater. Nicht mehr, nicht weniger. Soweit ganz einfach und doch absurd. Der Zuschauer erst einmal überfordert, sozusagen „perplex“. Und schon ist man mittendrin im Stück von Marius von Mayenburg mit selbigem Titel. Keine Identität ist hier von Behauptung, noch von Bestand. Jede Situation, die sich ergibt, löst sich gleichwohl wieder auf. Das Stück eine Farce, eine Assoziationskette, szenisch Perle für Perle aufgezogen. Verwirrung pur und überaus lebendiger Theatergenuss.

Zwei Schauspieler betreten die Bühne: Linda (Riebau) und Henning (Strübbe) sind ein Paar. Gerade kommen sie aus dem Urlaub zurück. Doch die Wohnung erkennen sie nicht so recht wieder. In der Küche steht eine Pflanze, die es vorher noch nicht gab. Der Strom ist abgestellt. Ein merkwürdiges Paket thront auf dem Tisch. Und das befreundete Pärchen, Ulrike (Knobloch) und Rainer (Scharenberg), das sich zum Blumengießen bereit erklärt hatte, steht plötzlich in der Wohnung und verhält sich so, als wenn das Heim das seinige sei. Plötzlich funktionieren die Lichtschalter wieder. Die Dunkelheit erhellt sich. Im Raum. Aber nicht im Stück. Denn da weiß der Zuschauer schnell nicht mehr, welcher Handlung er folgen kann. Kurzerhand werden die Urlauber aus der Wohnung gedrängt. Doch die Schauspieler kehren zurück, jetzt als Sohn und Au pair-Mädchen des Freundespaares. Doch die Rollen sind nicht von Haltbarkeit. Noch während jeder Szene verabschiedet sich eine Identität in die nächste. Aus dem Kind wird im Handumdrehen ein Partygänger, aus dem verführerischen Kindermädchen eine Putzfrau oder gestrenge Gemahlin.

Jeder mit jedem und keiner mit Verlass

Szenen fließen ineinander, die Identitäten switchen im szenischen Lauf. Einer der Schauspieler ist immer nicht sofort up to date, muss sich erst in die neue Rolle finden. Wie der Zuschauer auch. Denn da wird einiges aufgetischt mit ruckzuck neuem Kostüm: pseudophilosophische Betrachtungen, Sozialkritik, Beziehungskämpfe und Paargelüste. Jeder mit jedem und keiner mit Verlass.

Die Bühne tut ihr Übriges: Türen, die sich öffnen, haben plötzlich keinen Ausgang mehr. Die Rückwand drückt bedrohlich nach vorne und nimmt den Schauspielern schleichend den Platz zum Spielen. Und nach rund 100 Minuten Spielzeit, ohne Pause, wird die Bühne einfach abgeräumt. Aber das Spiel ist noch nicht zu Ende. Nicht für die Schauspieler, denn sie kämpfen unermüdlich weiter. Obschon sie sich mittlerweile vom Regisseur verlassen fühlen. „Manchmal hab‘ ich den Eindruck, es gibt überhaupt keinen Regisseur“, beklagt Ulrike. „Gibt es überhaupt noch ein Unten und Oben?“, will Rainer wissen. Und Henning ist sich zumindest sicher: „Echt ist anders, die spielt doch nur.“

Absurdität auf leichten Füßen

Und das tun sie alle ganz vorzüglich. Sie rutschen, tapsen und drücken sich in die neuen Rollen, erobern sich darstellenden Raum und Bühnenpräsenz, mit Leib und Seele und unglaublicher Spielbegeisterung. Und der Zuschauer? – Er folgt und hört und mag nicht von den Fersen weichen. Wenngleich perplex. Nicht alle, aber die meisten. Denn das hier ist ein riesiger Spaß auf der Suche nach Antworten, die in der absurden Welt nicht zu finden sind. Und doch dringen die bizarren Handlungen und Gedanken, die sich wild und freizügig auf der Bühne entwickeln und formieren, in den Zuschauersaal. Was machen die da oben, mag sich das Publikum zeitweise fragen. Doch was machen wir da unten und wofür sind wir eigentlich alle da?

Zu sehen sind großartige Schauspieler, wunderbar wahllos zu diversen Identitäten mutierend, und das Theater auf der Suche nach sich selbst. Kokett und locker einnehmend inszeniert von Peter Wallgram. Je skurriler die Handlung desto vehementer versucht sich Normalität durch munter pointierten Schlagabtausch zu behaupten. Absurdität auf leichten Füßen. Das Bühnenbild von Pia Maria Mackert weiß gekonnt den stetigen Wandel zu unterstreichen. Immerzu verändern sich Spielfläche und Ausgänge. Die Welt existiert nicht. Nichts bleibt, wie es ist. Der Druck lastet auf den Darstellern. Alles Spiel. Und dann ist das Spiel doch – fast unerwartet – irgendwann aus. Schade!