Ein Leben für den Karneval

4. März 2014 | Von | Kategorie: Neusser Leben

Diesen Mann treffen sie immer und überall im Neusser Karneval – Vom Kappes Tünn zum Ordens-Akademiker

„Sir Karneval Reiner Franzen“ ist u.a. Vize im Neusser Karnevalsausschuss (kurz KA), Vize-Baas bei der Künstlervereinigung Kappesköpp, Vize bei der neu gegründeten Ordens-Akademie, 1. Vorsitzender und Präsident bei Blau-Rot-Gold und Kommentator bei der Center TV Liveübertragung vom Kappessontagzug. Wir treffen uns Anfang Februar auf dem Gipfelfest der rund 140 Events, an denen er in dieser Session beteiligt ist

Reiner Franzen, kurz RF, Kennzeichen NE-RF 1959, demnach 5 x 11 Jahre alt, erinnert sich: „Mit neun Jahren hat mich das Karnevalsfieber gepackt.“ Mit zwölf schon tritt er in der einst sehr beliebten „Karnevalistischen Hitparade“ im WDR in die Bütt. Neben der „Jugend-Bütt“ wird er im bürgerlichen Leben Fleischermeister und lässt sich in die Ferne ziehen. Landet in der karnevalistischen Diaspora Hessen und macht dort zwischen 1976 und 1986 eine typische Hotel-Karriere: Vom Koch und DJ zum Vize-Hoteldirektor. Es wird eine prägende Phase in seinem Leben, was seine Flexibilität und sein eigenes Leistungs-Management betrifft. Nicht ganz ohne Karneval. Der lokale Mini-Karneval, von der Damen-Gymnastikgruppe gestaltet, bittet ihn in die Bütt und bald landet er auf den hessischen Sitzungsbühnen und öfter im HR3 Fernsehen. Zurück in der Heimat möchte er erst einmal Abstand vom aktiven Karneval halten, um sein Ziel zu verwirklichen, einen Veranstaltungsservice in Ruhe aufzubauen. Doch die alten Freunde lassen nicht locker:

De Kappes Tünn muss zurück in de Bütt!

Das führt zum Rückfall. Als Kappes Tünn begeistert er das Rheinland. Nebenbei macht ihn KA Urgestein Erhard Schiffers kurzerhand zum Zugleiter beim Kappessonntagszug. Seit 1991 ist er dazu 1. Vorsitzender und Präsident bei der NKG Blau-Rot-Gold e.V.. Heute sucht er als Vize im KA mit dem Präsident Jakob Beyen u.a. das Prinzenpaar, moderiert diverse Veranstaltungen, organisiert die Proklamation, engagiert Künstler, entwirft Orden, findet mit Präsident Beyen das Sessionsmotto und – ganz wichtig – er generiert Sponsoren. Ob das alles denn nicht zu viel neben seiner Firma auf seinen Schultern wäre möchte ich von ihm wissen. „Nein, das empfinde ich nicht als Überfordern, weil ich steuern kann was ich mache und was nicht.“ Anders war es mit seinen Auftritten in der Bütt, die er inzwischen ad Acta gelegt hat. Da sollte er vor einigen Jahren nach einer Vorführung einen begehrten Vertrag rund um das Sprungbrett „Karnevalissimo“ im ZDF mit 110 Auftritte pro Session unterschreiben. „Und was ist, wenn die Leute mich plötzlich nicht mehr mögen?“, hat er sich gefragt, „dann habe ich alle Brücken hinter mir abgebrochen und meinen Beruf vernachlässigt.“ Nein da wollte er lieber sein eigener Herr bleiben, empfahl den Zweitplatzierten, der nichts lieber sein wollte als Karnevalsprofi.

Der Sitzungskarneval ist im Wandel. – Nicht nur zum Guten.

Mit der Künstlervereinigung „Kappesköpp e.V.“ will er negativen Entwicklungen entgegen steuern und Perspektiven schaffen. Na, auf den Kneipenkarneval in Neuss könnt ihr ja stolz sein, meine ich. „Ja, sind wir auch. Doch der einst starke Pfarrkarneval siecht langsam dahin. Dabei haben die meisten erfolgreichen Karnevalisten regional und überregional dort ihre ersten Erfolge gefeiert.“ Diese einst festen Termine in der Gemeinde haben heute statt 200 nur noch 50 bis 70 Besucher. „Mal ganz abgesehen von der Überpräsenz im Fernsehen: Die Mundart bleibt jänzlich op de Streck.“ In Köln z.B. geht keiner mehr op Platt in de Bütt, weil das Publikum, das mit Bussen aus „Kannixverstan“ herangekarrt wird, kein Platt versteht. Reiner Franzen würde der globalisierten Spaßkultur gerne etwas entgegen setzen. Mundart, Brauchtum und Humor sind Werte, die die Neusser Karnevalisten erhalten wollen. Unterstützung und Hilfe von Erfahrenen, angefangen bei der Dramaturgie einer Sitzung über das Begleiten junger Talente für die Bütt bis zur Beratung bei der Musikauswahl, Hilfe beim Texten und Komponieren. Die Neusser Karnevalisten stonn parat. Die Bands hat RF kritisch im Fokus: „Ein paar Lieder von den Bläck Föös oder Höhner nachspielen und der irrigen Ansicht sein, dafür 1.000 Euro kassieren zu können oder mit halbstündigen Vorträgen die Sitzungen platt spielen, sowas lasse ich nicht durchgehen. Zwei, drei Lieder und Schluss. Ob es eine Zugabe gibt oder nicht, das entscheide ich, wenn ich den Vorsitz habe. Der Fluss der Veranstaltung muss stimmen. Bei Musikern, mir sind die Amateure mit Spaß an der Freud lieber als die Bands, die meinen, im Karneval kann man Kohle machen.“ Heißt, wer vom Herzen gerne im Karneval mitmachen möchte, kann sich jederzeit an den KA oder die Kappesköpp wenden. Die haben das ganze Jahr geöffnet.

Nach der Session ist vor der Session oder:

Die Ordensakademie e. V.

Eigentlich endet der „Karnevalsstress“ für die Nüsser mit dem Höhepunkt, dem Kappessonntag. Genauer genommen mit der Mottoverkündung für die nächste Session am Rosenmontag. Danach könnte man sich fallen lassen oder bei den Nachbarn mitfeiern. Könnte man. Man kann aber auch bei einem lecker Bierchen mit Gleichgesinnten über die vergangene Session „rekeln“. Typisch für Franzen und Konsorten. Ohne sie, namentlich Petra und Jürgen Kinold, Karlheinz Giesler, Willi Jasper und Jürgen Müller, würde es weder Zug noch Wagen geben und nun auch keinen Hammtor-Orden. Jährlich wird ein Karnevalist gekürt, der bisher mit Ehrungen sträflich vernachlässigt wurde. Erster Würdenträger war der scheidende Blaue Funken Präsident Andreas Radowski, Sohn des karnevalistischen Urgesteins Egon Radowski, quasi ein gebürtiger Karnevalist. Radowski möchte mal ein Leben ohne Karnevals-Amt ausprobieren. Die Auszeichnung nimmt er mit in den Rückzug. Besteht Rückfallgefahr? Und wer wird der nächste Geehrte? Wir dürfen gespannt sein. Die Würfel fallen im Sommer und dann gilt bis zum letzten Sonntag vor dem 11.11.2014 höchste Geheimhaltung, so die Satzung. Dreimal „Ons Nüss Helau!“