Das ist Konsens des öffentlichen 2. Neusser Stadtgespräches mit Experten: Neuss muss soziale Stadt bleiben

17. Juli 2013 | Von | Kategorie: Neusser Leben

Eingeladen hatten das Forum Stadtentwicklung – neuss agenda 21, das Kulturforum Alte Post und der BDA (Bund Deutscher Architekten). Rund 60 Besucher und die Experten – Stadt- und Kultursoziologe Prof. Dr. Reinhold Knopp aus Düsseldorf, Robert Niess, US-Architekt mit Büro in Berlin und Lehrstuhl in Düsseldorf, sowie Sozialdezernent Stefan Haan – stellten sich der Frage, was eine soziale Stadt ausmacht. In Berlin, wo das seit 2002 ein Thema ist, sieht man es so.

Menschen möchten in Wohngegenden leben, die kulturell, ökonomisch und sozial ihren Lebensumständen oder Vorlieben entsprechen. Umgekehrt prägen ihre Lebensumstände, ihre Gewohnheiten und ihre Wünsche den Stadtraum.

Eine vitale Mischung aus Kulturen und Kreativität macht den Stadtteil begehrenswert, lockt neue finanzkräftige Bewohner an. Wohnwert und Mieten steigen, was wiederum die ärmeren Stadteilbewohner aus dem begehrten Viertel an den unattraktiven Rand der Stadt drängt. Man spricht von Gentrifizierung. Eine Entwicklung, die zum Ausschluss ganzer Quartiere und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner von der gesellschaftlichen Teilhabe führt. Hier soll soziale Stadtentwicklung die Idee der solidarischen Gesellschaft fördern und die Bewohner/innen für das urbane Miteinander qualifizieren.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen: Die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, trägt viel zur Stabilisierung von Stadtvierteln bei. In den Quartiersmanagements finden Politik, Bürger und Verwaltung an den „Runden Tisch“, Partizipation ersetzt blinde Planung.

Prof. Dr. Reinhold Knopp zeigt in seinem Vortrag intakte und problematische Wohnquartiere, deren Qualität weniger im Jahrzehnt ihrer Grundsteinlegung, als der Mischung und Interaktion ihrer Einwohner begründet liegt. Armen- wie Reichen-Ghettos lassen die Städte veröden, zerstören Attraktivität und verschärfen die Konflikte. Knopp, der Kindheit und Jugend in Neuss verbracht hat, fehlen heute die Hintergründe, um sich konkret über Neuss zu äußern. Dafür kennt er Defizite der Düsseldorfer Stadtplanung. Gentrifizierung allerorts. Besserverdiener drängen in die Stadt, möchten schick und urban wohnen, möglichst nah dem „prallen Leben“. Die urige ehemalige Arbeitersiedlung Flingern ist begehrt. Die (Miet-) Kosten explodieren, das Rufen nach (Nacht-) Ruhe, Ordnung und Sicherheit tötet einst pulsierendes Leben. Knopp findet diese Tendenzen ebenfalls in Teilen von Bilk und Derendorf.

Die Gentrifizierung greift auch linksrheinisch an Raum. Wenn in Oberkassel nicht sowieso ihre Wiege stand. Heute kann man an Heerdter Pinnwänden lesen: „Zahlungskräftige VODAFONER suchen dringend Wohnungen in Heerdt zum Kauf oder Miete.“ Passend dazu werden dem Publikum unglaubliche Quadratmeter-Preise rund um die Drususallee kolportiert.

US-Architekt Robert Niess spricht sich an diesem Abend für bewahrende Architektur aus, die Gegebenes verbessert, ohne sozial zu verdrängen. Er benutzt Ausschnitte von Luftaufnahmen, um beeindruckend gewachsene Neusser Karrees darzustellen. Bestehend aus einem Kranz an Wohnraum bieten sie viele Möglichkeiten nach innen, um Lebensqualität zu gestalten. Sanieren statt abreißen, mit Blick auf die Ressourcen. So handeln Neusser Bauverein und GWG bereits seit Jahren. Sie sanieren, erneuern und gestalten Umgebung, bekommen dafür viel Lob. Später wird in der Diskussion der Vorwurf laut, dass sie nicht immer im Sinne einer gesunden Durchmischung des Klientels zu bauen. Z.B. die soziologisch unbeliebten Insellösungen, hier Sozialwohnungen (Südliche Furth) und da Luxuswohnen (Marianum). So etwas mit Sachzwängen zu begründen dürfte nach diesem Abend schwieriger werden. Die Forderung der Grünen Ratsfrau Susanne Benary-Höck, zukünftig keine großen Bauvorhaben ohne Durchmischung, ohne Anteil an Sozialbauwohnungen anzugehen, findet breite Zustimmung.

Im Gegensatz zu Knopp und Niess kennt und benennt Sozial-Dezernent Stefan Haan die Neusser Wohn- und Lebensqualität. Neuss hat u. a. einen Kern mit 60.000 Einwohnern, erfreut sich seines attraktivem städtischen Flairs, ist vernetzt durch Brauchtum und bietet wenig großstädtische Anonymität. Im Norden liegt die Furth mit 40.000 Bewohnern, mit wenig Flair aber Potenzial. Der Neusser Süden setzt sich aus kleinstädtisch/dörflichen und kritischeren Reissbrett-Siedlungen zusammen. Exemplarisch ist die Belegung der Kindergärten/Krippen mit einem Migrantenanteil zwischen 22 Prozent in der Innenstadt und 92 Prozent in den Trabanten. Ein Problem, das durch Eingriffe wie gesteuerte Durchmischung nicht zu lösen ist. Wichtig ist deshalb die Unterstützung vor Ort und bessere Lebensqualität durch Umgestaltung. Mit Kommunikation und Bildungsangeboten kann auch aus einer Bausünde der 60er/70er Jahre ein warmherziger Kiez entstehen. Solche Eingriffe und das Stoppen der Gentrifizierung sind beim 2. Stadtgespräch Konsens zwischen Publikum und Experten. Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum überall in Neuss. Das verdeutlicht sich in der Diskussion, bei der Moderator Andreas Vollmert das Publikum gut einbindet. Probleme werden genannt aber auch Positives berichtet, z.B. über eine visionäre Mietergemeinschaft mitten in Neuss. Auch der frühere CDU Ratsherr Heinz Hick kommt zu Wort, der sich unermüdlich für Finanzierungsfonds stark macht, die auch Einkommensschwächeren Wohneigentum in der Stadt erschließen.

Fazit: Vieles wurde angesprochen, Konsens gefunden und Partizipation gelebt. Das dürfte die Einlader und speziell Grünen Ratsherr und agenda neuss 21 Vorsitzenden Reinhard Kehl gefallen haben.